Nomenklatura im Machtrausch

Dem altösterreichischen Ökonomen und Sozialphilosophen Ludwig von Mises verdanken wir folgende Erkenntnis, die er 1944 in seinem Buch "Bürokratie" niedergeschrieben hat: "Dieser ganzen fanatischen Verteidigung von Planwirtschaft und Sozialismus liegt oft nichts anderes zugrunde als das insgeheime Bewusstsein der eigenen Minderwertigkeit und Ineffizienz. Menschen, die sich ihrer Unfähigkeit im Wettbewerb bewusst sind, verachten ‚dieses kranke Konkurrenzsystem‘. Wer seinen Mitmenschen nicht zu dienen in der Lage ist, will sie beherrschen.".

Besonders der letzte Satz hat es im Hinblick auf Charakter und Qualifikation der Regierenden in sich. In der Tat: Ohne den Staat und die ihn umgebenden, von Kapitalverzehr, Ineffizienz, Nepotismus und Korruption geprägten Biotope – welche Karrieren hätten die Damen und Herren Minister wohl gemacht? Oder, anders gefragt: warum haben sie denn (von seltenen Ausnahmen abgesehen) niemals versucht, außerhalb geschützter Werkstätten beruflich zu reüssieren? In einem Umfeld nämlich, in dem es darauf ankommt, Waren und Dienstleistungen zu liefern, die unter Wettbewerbsbedingungen zu erbringen sind und die vor dem unerbittlichen Urteil freiwillig zahlender Kundschaft bestehen müssen.

Die Antwort auf diese Frage gibt der zweite Satz des obigen Zitates: Sie wären dazu schlicht unqualifiziert. Denn keine der Fähigkeiten, die einen "erfolgreichen" Politiker ausmachen, ist auf der freien Wildbahn des Marktes gefragt: Warme Luft zu produzieren, zu täuschen und zu lügen, ohne dabei zu erröten, oder mit ihrem Charisma zu glänzen, trifft dort auf wenig Nachfrage (man sollte auch nicht übersehen, dass es oft gerade die charismatischen Politiker waren, die das größte Unheil über die Menschheit gebracht haben). Beim Dienst am Mitmenschen zählen vielmehr Fähigkeiten und technische Fertigkeiten, die einen – gleich ob selbständig oder unselbständig – in die Lage versetzen, Kundenwünsche bestmöglich zu erfüllen. Und das unter der unausweichlichen Tyrannei der Ungewissheit und dem ständigen Risiko, einen Irrtum zu begehen oder einen Fehler zu machen, für den man selbst geradestehen, und dessen Kosten man selbst tragen muss.

All das gilt für die herrschenden Parteienoligarchen nicht. Anders als sie und ihre willfährigen Herolde immer gerne behaupten, tragen sie nicht die geringste Verantwortung für ihr Handeln. Sie können, wie das Beispiel ihrer Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Auftreten des SARS-CoV-2-Virus anschaulich zeigt, tausende Betriebe in Schwierigkeiten bringen oder gar in die Insolvenz treiben und Legionen von Unselbständigen um ihre Existenz bringen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Anders als ein von ihnen ruinierter Unternehmer, stehen sie nicht vor dem Bankrott.

Wenn eines sicher ist, dann sind es ihre Einkommen. Eine Politikerhaftpflicht existiert – zum Schaden der Normalsterblichen – nicht. Die immensen Kosten politischer Fehlentscheidungen haben andere zu tragen. Politiker können, anders als unter Marktkonditionen tätige Menschen, die negativen Konsequenzen ihrer Handlungen stets auf Dritte abwälzen. Liegen sie mit einer ihrer Entscheidungen zufällig einmal richtig, lassen sie sich für ihre stupende Weisheit feiern; liegen sie daneben, zahlt dafür der unterworfene Steuersklave.

Der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti schreibt in seinem Buch "Masse und Macht":

"Wer über Menschen herrschen will, sucht sie zu erniedrigen; ihren Widerstand und ihre Rechte ihnen abzulisten, bis sie ohnmächtig vor ihm sind wie Tiere."

Damit ist das Treiben der politischen Klasse zur Zeit der Pandemie exakt beschrieben. Mit beispielloser Arroganz behandelt sie mündige Bürger wie Horden hilfloser Narren, denen in täglich zelebrierten, an Gottesdienste erinnernden Ritualen eingehämmert wird, weshalb sie aller Bürgerrechte – insbesondere jener auf Erwerbs- und Versammlungsfreiheit – entkleidet werden. Die Lust am Herrschen und Beherrschen, ihre Freude daran, anderen ihren Willen zu oktroyieren, ist mit Händen zu greifen. Jetzt sind die Damen und Herren Minister in ihrem Element: unfähig und/oder unwillig, den Menschen zu dienen, schwelgen sie stattdessen im Machtrausch: endlich können sie den Menschen – die zuvor planmäßig, bewusst und in engem Schulterschluss mit den Medien geschürte Panik macht es möglich – bis in den letzten Winkel ihres Privatlebens hinein Vorschriften machen.

Ständig wiederholte Drohungen, der Gebrauch einer martialischen Sprache, das an-die-Wand-Malen apokalyptischer Bilder, die tägliche Pflege des Mantras von der absoluten Alternativlosigkeit der von der Regierung diktierten Maßnahmen, das alles passt perfekt in die von Mises und Canetti gemalten Bilder einer außer Rand und Band geratenen, dysfunktionalen Politelite.

Das Allerschlimmste aber ist: das vom Kindergarten an jeglicher Selbstverantwortung entwöhnte Stimmvieh zeigt sich für die ihm angetane Gewalt auch noch dankbar! Nicht mehr daran gewöhnt, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, verschiedene Fachleute zu hören und sich anschließend ein eigenes Urteil zu bilden, folgen sie lieber blind dem Führer. Der erteilt ihnen für ihre widerspruchslose Kooperation – maskentragend – Absolution. Sie machen alles richtig; sie sind keine "Gefährder".

Dafür werden Nonkonformisten und Dissidenten von devoten Untertanen gnadenlos denunziert. Die gleichen dunklen Gestalten, die während des Kriegs ihre Mitmenschen für das Hören von "Feindsendern" ans Messer geliefert haben, vernadern heute ihre zu viert auf dem Balkon sitzenden Nachbarn. Der hasenherzige Untertan in seinem Element: wer selbst im Staub kriecht, erträgt den Anblick aufrecht gehender Zeitgenossen nicht. Ein Anruf bei der Polizei ist schnell erledigt – und die schreitet bei Verstößen gegen Corona-Diktate erstaunlich prompt ein. Nichtkonformes Verhalten wird drakonisch bestraft.

Noch haben viele Zeitgenossen nicht begriffen, was im Gefolge des Lockdowns auf uns zukommen wird: Massenarbeitslosigkeit, Vermögens- und Einkommensverluste, Staatsschuldenexplosion und – wahrscheinlich – eine länger andauernde Stagflation. All das geht nicht etwa auf das Konto eines Virus (Viren schließen keine Betriebe!), sondern ist der vollkommen überzogenen Reaktion der Politik auf eine zwar ernsthafte, keinesfalls aber apokalyptische Bedrohung geschuldet. Wir haben es, nach allem was die Fachleute dazu wissen, schließlich nicht mit einer Seuche wie der Pest oder mit Ebola zu tun.

Die dräuenden Konsequenzen des wirtschaftlichen Niedergangs sind schwer abzuschätzen, weil sie in dieser Dimension nicht einmal von heute Hundertjährigen bewusst miterlebt wurden. Von einer still erduldeten Verarmung der Massen, bis hin zu bewaffnet ausgetragenen Verteilungskämpfen ist alles möglich. Einen kleinen Vorgeschmack auf das Kommende geben bereits die Einlassungen verschiedener linker Traumtänzer, die sich von der Enteignung der "Reichen", der Erfindung neuer und der Erhöhung bestehender Steuern das Heil versprechen.

Doch eines steht jetzt schon fest: mehr Steuern bedeuten mehr Sozialismus. Und der ist in einer Lage, die nach mehr Produktion und nicht nach mehr Umverteilung schreit, das Letzte, was wir brauchen. Aber erklären Sie das einmal den Mitgliedern einer Nomenklatura, die glaubt, dass der Wohlstand einer Nation der Notenpresse entstammt.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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