Die Corona-Krise ist in ökonomischer Hinsicht „eine Dreifach-Krise“

Rekordarbeitslosigkeit, milliardenschwere Verluste an Wertschöpfung, wegbrechende Handelspartner, drohende Pleitewelle: Die unmittelbaren Folgen des Lockdowns greifen bereits um sich. Doch die eigentliche Tragweite kann man erst in einem längerfristigen Kontext erfassen, vor allem wenn man bedenkt, in welcher Situation sich die Weltwirtschaft zur Zeit des Lockdowns befunden hat. Wir erleben mehr als "nur" eine Lockdown-Krise, unterstreicht auch der deutsche Ökonom Gunther Schnabl, Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig.

Schnabl wird am Dienstag, 12. Mai, in einem Webinar über "Stagnation und wachsende Ungleichheit im Zeichen der Corona-Krise" sprechen und anschließend mit Franz Schellhorn (Agenda Austria) diskutieren. Eine Finanzkrise habe sich schon 2019 angekündigt, erklärt Schnabl in einem Interview mit dem Austrian Institute of Economics and Social Philosophy: Die Nachfrage in den Schwellenmärkten ging zurück, auch in Europa verlangsamte sich die Konjunktur. Im Dezember 2019 ereigneten sich in den USA schließlich Turbulenzen auf dem Repo-Markt. (Repo-Geschäfte dienen vor allem Banken dazu, vorübergehende Liquiditätsengpässe zu überbrücken, indem sie sich von anderen Banken oder Zentralbanken Geld leihen, diesen dafür aber Wertpapiere als Pfand überlassen, deren Rückkauf sie ebenfalls vereinbaren.) Doch nun, mit dem Lockdown, schlitterten wir in eine Dreifach-Krise: "eine Lockdown-Krise, eine Finanzkrise und zusätzlich haben wir noch einen starken Abschwung im realen Sektor der Weltwirtschaft".

Die Hauptursache sieht Schnabl in der expansiven Geldpolitik der vergangenen Jahre. "Da spätestens seit der Jahrtausendwende die Zinsen in Krisen sehr stark abgesenkt werden, ohne aber in der Erholung wieder entsprechend erhöht zu werden, hat das einerseits zu Übertreibungen auf den Finanzmärkten geführt, andererseits zu steigender Staatsverschuldung, steigender Unternehmensverschuldung und damit auch zu Überkapazitäten in der Industrie, speziell in China und in anderen Schwellenmärkten. Mit der geldpolitischen Reaktion auf die globale Finanzkrise ab 2007 hat sich die Unternehmensverschuldung nochmals deutlich erhöht. Die seither entstandenen Überkapazitäten mussten irgendwann sichtbar werden."

Die Überkapazitäten in China haben sich Gunther Schnabl zufolge indirekt auch in Europa niedergeschlagen, insbesondere in der deutschen Exportindustrie. Aber auch der Konsum dürfte durch die Geldpolitik begünstigt worden sein, vor allem in den USA, was zu weiteren Überkapazitäten im Dienstleistungssektor geführt hat, etwa im Tourismus, der durch die Corona-Krise nun besonders stark in Mitleidenschaft gezogen wird. "Mit der sich abzeichnenden fehlenden Auslastung der Überkapazitäten wurde die Tragfähigkeit der Unternehmensverschuldung grundlegend in Frage gestellt. Eine Finanzkrise im Segment der Unternehmensanleihen zeichnete sich ab. Der Lockdown hat diese Krise beschleunigt und verstärkt."

Es droht ein Abgleiten in die Staatswirtschaft

Die jetzigen Rettungsprogramme hält Schnabl aus kurzfristiger Sicht für sinnvoll, um im Abschwung zu stabilisieren. Noch wichtiger sind aber die langfristigen Erwartungen hinsichtlich dieser Rettungsaktionen, unterstreicht Schnabl: "Wenn wir erwarten können, dass die übermäßige Kreditvergabe, die jetzt geschieht, auf Dauer Bestand haben wird, dann sprechen wir ganz eindeutig von einer Verstaatlichung großer Teile des Unternehmenssektors. Das wird Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Unternehmen und damit auch auf das Wachstum haben."

So wie nach der letzten globalen Finanzkrise die Banken von der Fortführung der Niedrigzinspolitik abhängig geworden sind und teilweise verstaatlicht worden sind, geraten demnach dieses Mal große Teile des Unternehmenssektors unter staatliche Kontrolle. "Die Regierungen ersetzen nicht den Schaden, der durch die Lockdowns entstanden ist, sondern gewähren umfangreiche Kredite oder beteiligen sich an den Unternehmen. Die Zentralbanken kaufen in noch größerer Dimension direkt Unternehmensanleihen und gewähren gezielt über den Bankensektor umfangreiche Kredite an Unternehmen. Die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen werden deshalb in Zukunft stark von den Regierungen und Zentralbanken bestimmt werden."

Vor allem die kleinen, womöglich auch die mittleren Unternehmen könnten zu kurz kommen: "Zurzeit wird in sehr kurzer Zeit sehr, sehr viel Geld unter die Leute gebracht, und da ist es natürlich entscheidend, dass man gut positioniert ist und eine gute Verhandlungsposition hat. Große Unternehmen in Deutschland verhandeln direkt mit der Regierung. Kleinen Unternehmen wird es sehr viel schwerer fallen, große Teile dieser Rettungspakete zu bekommen."

Eine Folge dieser Entwicklung werde ein verstärkter Konzentrationsprozess sein und weniger Leistungsfähigkeit der bestehenden großen Unternehmen, da diese untereinander nicht mehr im Wettbewerb stehen werden, "sondern auf die Fortführung der Kredite durch Staaten und Zentralbanken hoffen können." Schnabl befürchtet daher eine fortschreitende Zombifizierung der Wirtschaft.

Fazit: "Das weitere Abrutschen in die Staatswirtschaft wird nicht ohne Konsequenzen auf das Leben der Menschen bleiben. Denn bei anhaltend niedrigen Zinsen und fast kostenloser Kreditvergabe sinkt der Anreiz, effizient zu wirtschaften."

Wie wir aus der Krise hinauskommen werden, ob mit noch mehr Sozialismus oder vielleicht doch wieder mit mehr Kapitalismus, das wird eine Schlüsselfrage für unsere Zukunft sein.

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Am Dienstag, den 12. Mai 2020, findet um 18 Uhr ein WEBINAR mit Gunther Schnabl und Franz Schellhorn, Direktor der Agenda Austria, statt. Thema: "Stagnation und wachsende Ungleichheit im Zeichen der Corona-Krise". Organisator ist das Austrian Institute of Economics and Social Philosophy.

Alle Infos befinden sich auf der Veranstaltungsseite, von der Sie auf die Anmeldungsseite gelangen. Interessierte können sich auch gleich hier anmelden.

Mag. Stefan Beig ist Projektmanager des Austrian Institute of Economics and Social Philosophy, das dieses Webinar organisiert hat.

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