Mit dieser Bezeichnung soll wohl die Verfassungsurkunde gemeint sein, die schriftlich abgefassten Verfassungsgesetze, in erster Linie das Bundes-Verfassungsgesetz. Und dieses Bundes-Verfassungsgesetz, wie es von Hans Kelsen konzipiert und später immer wieder geändert und ergänzt worden ist, also so wie es heute besteht, das also soll "wunderschön", "elegant" sein?
Ja, wann das so wäre, warum dann gibt es in unserer Verfassungswirklichkeit so große Unterschiede zwischen den Verfassungsgesetzen und der Verfassungswirklichkeit? Wie steht es z.B. um die Gewaltentrennung, vor allem zwischen gesetzgebenden und vollziehenden Organen. Liegt tatsächlich die souveräne Staatsgewalt beim Volk oder seinem Vertreter, dem Parlament? Gibt es wirklich das freie Mandat der Abgeordneten? Wie sind die tatsächlichen Machtverhältnisse verteilt? Liegt wirklich die ganze politische Macht bei den in der Verfassung genannten Organen? Wie steht es da z.B. um die Macht der politischen Parteien, der Sozialpartner, der Landeshauptleutekonferenz?
Und wie ist jetzt die Gesetz- und Verfassungslage in einer Krisensituation:
- Bei einer praktisch weitgehenden Selbstausschaltung des Parlaments und seiner Kontrollrechte über die Regierung und die einschlägigen Regierungsmaßnahmen?
- Mit einer Regierung, die für die Krisenbewältigung praktisch den Gesetzgeber spielt?
- Mit Verordnungsbefugnissen, die nicht genau durch Gesetze definiert und durch diese eng eingeschränkt sind?
- Wo Minister mit Verordnungen in Grundrechte und Verfassungsbestimmungen eingreifen, ohne dass ihnen durch ein Gesetz Grenzen gezogen würden?
- Mit einem Verfassungsgericht, das so langsam agiert, dass erst im Nachhinein – wenn alles vorbei ist – festgestellt wird, ob alles nach Gesetz und Verfassung abgelaufen ist?
- Und mit einem Bundespräsidenten als Hüter der Verfassung, der regelmäßig als (ehemaliges) Parteimitglied seiner Partei, wenn die an der Regierung ist, nicht weh tun will?
Eine Verfassung, die all das zulässt, kann also so "wunderschön" und "elegant" wohl nicht sein. Bisher, in der Zweiten Republik, war sie zwar immerhin recht brauchbar. Aber sind wir, das Volk, wirklich vor einer Wiederholung eines Rechts- und Verfassungsputsches wie im Jahr 1934 durch diese Verfassung abgesichert?
Wenn man sich die jüngste Entwicklung der Rechts- und Verfassungslage ansieht, könnten einem schon Zweifel hochkommen. Vor allem dann, wenn sich auch die Oppositionsparteien überfahren lassen und zustimmen, dass Kontrollrechte des Parlaments über die Regierung außer Kraft gesetzt werden – zwar anlassbezogen, aber wer weiß …
Dr. jur. Peter F. Lang ist Richter und Diplomat gewesen.