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Wo die Regierung zu loben ist, und wo sie Fehler begeht

Nach zwei Wochen des nationalen Ausnahmezustandes hat die Regierung ein neues Paket an Maßnahmen im Anti-Corona-Krieg vorgelegt. Daran ist etliches ausdrücklich zu loben, manches andere aber ebenso ausdrücklich zu kritisieren.

Beginnen wir mit dem Positiven.

  1. Die Aussage des Bundeskanzlers ist absolut wohltuend, dass es unter den Experten – was sowohl auf Ärzte wie auch Ökonomen wie auch Juristen zutrifft – sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Der bisherige Angela-Merkel-Stil, der eingeschlagene Weg wäre "alternativlos", war angesichts der vielen sehr kritischen Stimmen sehr seriöser Experten abschreckend und hat viel Vertrauen gekostet (auf etliche hat das Tagebuch in der Rubrik "Spannend" schon verlinkt). Die Menschen können es schon verstehen, dass auch eine Regierung nicht allwissend ist. Sie können es aber nicht verstehen, wenn sie angeschwindelt oder im ORF-Stil einseitig informiert werden.
  2. Auch die grundsätzliche Entscheidung ist nachvollziehbar, dass die Regierung im Zweifel lieber den Stimmen der Pessimisten folgt, die aus Sorge vor Überlastung der Intensivbetten und Beatmungsgeräte zu noch restriktiveren Maßnahmen raten. Natürlich mag sich am Ende – wann auch immer das ist – manches als übertrieben herausstellen. Aber zweifellos gilt bei der Gesundheit: Besser zu viel als zu wenig – allerdings nur soweit, dass nicht anderswo gewaltige Schäden verursacht werden. Wobei ja auch scheinbar bloß ökonomische Schäden letztlich immer auch menschliche Schäden bedeuten.
  3. Anzuerkennen ist auch, dass sich die Regierung jetzt generell bereit zeigt, unberechtigten europäischen Hochmut abzubauen und von den erfolgreichen Beispielen aus Ostasien zu lernen. Daraus folgt nun die vorerst teilweise Einführung der Maskenpflicht, auch wenn viele heimische Experten (und ORF-"Wissenschaftsredakteure") davon abgeraten haben (im Unterschied zu den Großexperten hat das Tagebuch etwa schon vor neun Tagen hier eine Maskenpflicht empfohlen). Masken reduzieren eindeutig die Ansteckungsgefahr durch Infizierte. Vor allem durch jene, die noch nicht um die eigene Infektion wissen. Jene, die schon um ihre Krankheit wissen, bleiben ja hoffentlich sowieso in Isolation.
  4. Sehr lobenswert ist, dass endlich eine repräsentative Stichprobe gezogen wird, die zeigen wird, wieviel Prozent eigentlich schon mit dem Virus infiziert sind, oft ohne es zu wissen. Ist deren Zahl doch zweifellos viel größer als die täglich atemhechelnd als Spitzenmeldung vieler Fernsehnachrichten gemeldete Zahl der Infizierten. Denn erstens dürften viele Menschen eine Infektion völlig symptomfrei hinter sich haben. Zweitens haben viele möglicherweise eine Corona-Infektion bloß für eine spätwinterliche Erkältung gehalten, der sie ja bei mildem Verlauf gleicht. Und drittens sind – was ein arger Skandal bleibt – viele Fälle bekannt, wo Erkrankte von dem anfangs so heftig beworbenen Corona-Telefon des Gesundheitsministeriums einfach abgewimmelt worden und daher nie getestet worden sind – etwa weil sie in keinen Risikogebieten gewesen sind. Als ob nicht längst ganz Österreich ein Risikogebiet wäre.
  5. Richtig, wenn auch großteils wohl nur Theorie ist die Intensivierung der Abstandspflicht in den Supermärkten. Meiner Beobachtung nach sind nämlich viele Menschen ganz ohne böse Absicht außerstande, räumlich zu denken: Sie suchen konzentriert ein bestimmtes Produkt in den Regalen und merken gar nicht, dass sie bei dieser Suche in andere Menschen stoßen.
  6. Weiters ist die Pflicht, gefährdete Personen bei vollen Bezügen frei- oder auf Home-Office umzustellen, eindeutig positiv. Auch wenn die volle Refundierung dieser Lohnkosten ein weiterer ungedeckter Scheck auf die Zukunft ist.
  7. Noch positiver ist, dass in Hinblick auf die Prioritäten klargemacht worden ist, es werde wichtiger sein, zuerst die Betriebe und dann erst die Schulen wieder zu öffnen. Denn Lernen kann man nachholen, untergegangene Arbeitsplätze, Aufträge und Unternehmen sind meist dauerhaft weg.
  8. Die Regierungspressekonferenz hat auch den spätest möglichen Zeitpunkt genutzt, um – wenngleich ein wenig verwaschen – klarzumachen, dass es auch nach Ostern keine Schule geben wird.
  9. Richtig ist auch, dass man jetzt erstmals offen die bisher geheimgehaltenen Zahlen der noch freien Intensivbetten und Beatmungsgeräte kommuniziert.
  10. Erfreulich – wenn auch kein direktes Verdienst der Regierung – ist schließlich die Information, dass es massive Fortschritt bei jenen Tests gibt, die Antikörper messen (die freilich erst in einer späteren Phase einer Infektion nachweisbar sind).

An den Regierungsankündigungen war vieles richtig und in Ordnung (auch wenn "Ordnung" in Zeiten wie diesen eigentlich wohl kein passendes Vokabel ist …). Man bekommt vor allem das Gefühl, dass die Regierung langsam erkennt, wie wichtig Offenheit und damit das Vertrauen in die Politik ist. Auch wenn noch nicht überall diese Offenheit eingekehrt ist.

In Anbetracht der Tatsache, dass viele Länder hinter Österreich nachhinken, sei auf die sich bei vielen Punkten eigentlich aufdrängende Frage verzichtet: Warum eigentlich erst jetzt? Warum etwa sind unter einem Minister Darabos alle Spitalsreserven des Heeres weggespart worden, die Österreich jetzt nutzen könne? Usw.

Konzentrieren wir uns lieber auf Gegenwart und Zukunft. Da ist jedenfalls besonders hervorzuheben, dass Österreich das erste Land Europas ist, das eine repräsentative Infektionszahl erhebt. Dadurch werden wir in Kürze wissen, welchen Prozent- oder Promillesatz der Infizierten stellen jene Menschen wirklich dar, die im Spital landen. Oder auf dem Friedhof. Wir könnten dann vielleicht auch erstmals diskutieren, ob schon eine Durchseuchung begonnen hat.

Eine solche Repräsentativerhebung wird zwar aufs erste naturgemäß die bisherigen offiziellen Infektionszahlen vom Tisch wischen und viel höhere Zahlen ergeben. Das macht aber nichts. Es wäre sogar sehr beruhigend, sollte sich herausstellen, dass die Dunkelziffer sehr hoch ist.

Die Defizite im Anti-Corona-Krieg

Aber trotz dieser vielen positiven Punkte drängen sich einige sehr kritische Anmerkungen auf.

  1. Es ist weiterhin unklar, ob alle gemeldeten Toten AN Corona gestorben sind, oder ob man das überhaupt nicht weiß, sondern nur, dass sie MIT Corona gestorben sind. Das würde ja einen Riesenunterschied machen.
  2. Es ist weiterhin völlig rätselhaft, wann es endlich zu der schon in der Vorwoche von Sebastian Kurz verlangten Erhöhung der Tests auf 15.000 pro Tag kommt, also zu den genauen Tests, die den Virenbefall untersuchen (und nicht nur die erst später im Infektionsverlauf nachweisbaren Antikörper). Die Regierung informiert nicht, woran das noch immer scheitert, und was alles getan wird, um dieses Ziel endlich zu erreichen. Ist die ganze chemische und Pharma-Industrie im Land schon abgeklappert worden, ob sie da nicht helfen kann?
  3. Es ist auch sehr bedauerlich, dass sich Kurz offenbar mit seinem "Big Data" genannten Vorstoß wenig durchgesetzt hat. Damit könnte viel gezielter die Ausbreitung von Infektionen bekämpft werden und – genauso wichtig – im Gegenzug die Verwandlung des ganzen Landes in ein Gefängnis und die Rückführung der Wirtschaft in die Steinzeit abgemildert werden. Vorerst bleibt daher der Verdacht groß, dass wir den Verlust zentraler Grundrechte wie Bewegungs- und Meinungsfreiheit jenen Datenschutzfanatikern und parteipolitischen Paranoikern zu verdanken haben, die eine gezielte, zeitlich beschränkte und juristisch sauber aufgesetzte Einschränkung des Datenschutzes für einige Infizierte blockieren und dadurch aber allen schaden.
  4. Die nunmehr von der Kurz-Idee offenbar übrigbleibende Verkürzung auf eine App, die dann bei Infektionsnachweis Kontaktpersonen warnen könnte, ist zwar eine nette Idee, aber in den immer wieder als Vorbild genannten – demokratischen! – Ländern wie Südkorea hat man die Handynutzung im Anti-Corona-Kampf viel weitergehend eingesetzt.
  5. Das Schlimmste an den jüngsten Auftritten der Regierung war der mehrfache Verweis auf den "Weltmarkt", wo man halt bestimmte Dinge nicht bekomme. Mit Verlaub: Das ist einfach nicht hinnehmbar. Denn uns wird damit suggeriert, das Land und seine Menschen wären nicht imstande, durch Konzentration aller Kräfte das Fehlende selbst zu produzieren. Aber eine wirkliche Konzentration aller Kräfte hat ja gar nicht stattgefunden. Eine solche hätten wir viel stärker und öffentlicher sehen müssen.
  6. Wenn schon überall von Krieg geredet wird, dann möge man sich doch wirklich ein Vorbild nehmen, welche Kräfte in einer wirklichen Kriegswirtschaft mobilisiert werden können. Man schaue nur in die Bücher der Wirtschaftsgeschichte, was da oft zu Kriegszeiten geschafft worden ist. Auch das finanzielle Argument zählt da nicht: Würde man da viel Geld in die Hand nehmen, würde sich das Land am Ende viel mehr Geld ersparen, was uns die jetzige weitgehende Demolierung der Wirtschaft noch kosten wird.
  7. Ja, die Regierung müsste dabei auch den Mut haben, mit Sondergesetzen Unternehmen, die auf ausreichende finanzielle Anreize nicht sofort anspringen (was ich mir ehrlich gesagt ohnedies kaum vorstellen kann), notfalls zur Umstellung der Produktion zwingen. So unerfreulich solcher Zwang auch ist – aber wie in vielen derzeit aktuellen Fragen ist die Alternative halt noch viel unerfreulicher.
  8. Es kann und darf einfach nicht sein, dass Österreich – obwohl vor allem der Gesundheitsminister schon seit Monaten um die Probleme gewusst haben sollte – nicht längst in voller Breite an der Substitution von allem Fehlenden arbeitet, dass es nicht wenigstens jetzt im Rekordtempo neue Intensivstationen und Beatmungsmaschinen baut oder bauen lässt. Man denke nur, wie schnell die Chinesen ganze Spitäler gebaut haben.
  9. Dazu würde als erstes einmal die Veröffentlichung einer nationalen Bedarfsliste von allem gehören, was geschehen müsste, was wir für den befürchteten schlimmsten Fall alles benötigen. Diese Liste hätte breitest in die Öffentlichkeit getragen gehört und nicht nur in irgendwelchen Beamten-Task-Forces behandelt. Denn auch wenn es Hochbürokraten nicht gerne hören: Die Intelligenz der vielen ist mit absoluter Sicherheit immer der Planung irgendwelcher Staatsplaner hinter verschlossenen Türen überlegen.
  10. Es tröstet wenig, wenn der Bundeskanzler versichert, dass er und zwei Minister ständig herumtelefonieren, ob man das Benötigte irgendwo in der Welt vielleicht doch bekommen kann. Viel wichtiger wäre ein eigener rund um die Uhr kämpfender Corona-Kriegswirtschafts-Bevollmächtigter. Freilich sehe ich in Politik und Spitzenbürokratie niemanden, der mit Energie sowie politischer, wirtschaftlicher und medizinischer Sachkenntnis diese Rolle übernehmen könnte. Wäre ich Sebastian Kurz, würde ich mir daher als erstes die Telefonnummer des langjährigen Wirtschaftsministers und jetzigen erfolgreichen Pharma(!)-Industriellen Martin Bartenstein geben lassen. Zweifellos könnte auch ein Kaliber wie Dietrich Mateschitz eine solche Aufgabe übernehmen. Ein oberösterreichischer Volksschullehrer wird es hingegen nicht schaffen.

Speziell beim letzten Punkt des Fehlens eines effizienten Beschaffungs-Managers fällt der Verzicht auf die Frage besonders schwer: Warum erst jetzt? Aber auch hier muss gelten: besser spät als gar nicht. Das ist zumindest dann richtig, wenn man das wörtlich nimmt, was Kurz formuliert hat: Jetzt herrscht noch die Ruhe vor dem Sturm.

Neben diesen zentralen Problemen nehmen sich die restlichen Kritikpunkte fast – aber auch nur fast – wie Kleinigkeiten aus:

  • Es wäre hoch an der Zeit, in Sachen Schule und Matura jetzt schon über die Möglichkeit zu sprechen, dass eventuell auch das oberste aller Tabus fallen kann: nämlich der schulfreie Juli.
  • Zur Propagierung der neu verhängten Maskenpflicht wären statt vieler Worte natürlich Bilder die entscheidende Sprache gewesen: Kurz und seine Minister sollten künftig bei ihren Auftritten selbst Masken tragen, wollen sie wirklich glaubwürdig sein.
  • Die Sprache des Innenministers ist immer um zwei Umdrehungen zu martialisch. Das hat jetzt wieder besonders geschmerzt, als er die vielen tausenden Österreicher, die da von seinen Polizisten angezeigt worden sind (obwohl viele Angezeigte wohl bei einem späteren Verfahren Recht bekommen werden) gleich pauschal als "Lebensgefährder" bezeichnet hat. Das ist ja nur ein anderes Wort für Mordversuch. Mit solchen Übertreibungen heizt Herr Nehammer nicht nur das üble Denunziantentum mancher Menschen an. Damit legt er auch die Grundlage, gleich auch jeden Autofahrer als "Lebensgefährder" zu denunzieren. Kommen doch im Verkehr im Jahr rund vier Mal so viele Menschen um, wie an Corona bisher gestorben sind. Die Grünen werden sich in ihrem Autohass wohl nicht lange bitten lassen, ein solches Argument aufzugreifen.
  • Eine Provokation ist es auch, dass bei allen Regierungspressekonferenzen dem ORF als erstes das Wort erteilt wird – obwohl dieser immer als erster aus Live-Übertragungen aussteigt.
  • Wenig intelligent ist es auch, wenn große Bereiche des Lebensmittelhandels erst aus Pressekonferenzen erfahren, dass bei ihnen in Kürze die Pflicht zum Verteilen von Infektionsmasken besteht. Die sie gar nicht haben. Offenbar besteht in der Regierungsperspektive der Handel nur aus Spar, Billa und Hofer. Mit denen hat man vorher geredet, aber eben nicht mit kleinen Ketten, wie beispielsweise den ländlichen Einzelhändlern, die in "Nah&Frisch" zusammengefasst sind.

Zum Schluss zwei heitere Fußnoten in trüben Zeiten.

Die erste hat Oppositionschefin Rendi-Wagner geliefert. Diese bemüht sich ja verzweifelt, wenigstens in ihrem persönlichen Fachgebiet die Füße auf den Boden zu bekommen. Aber auch das gelingt ihr nicht. Auch da blamiert sie sich nach Strich und Faden:

  • Rendi-Wagner am 29. März: "Schutzmasken können die Infektionsgefahr erhöhen".
  • Rendi-Wagner am 30. März: "Masken nicht nur im Supermarkt, sondern überall".

Ebenso blamabel und zusätzlich teuer ist die jüngste Aktion des Wiener Bürgermeisters Ludwig. Er hat alle Wiener über 65 angeschrieben und empfiehlt Ihnen: "Bleib Daheim. Es könnte Leben retten. Bleiben Sie zuhause und meiden Sie soziale Kontakte".

Und dann schenkt er ihnen ausgerechnet - einen Taxigutschein.

Jetzt frage ich mich nur eines: Was empfiehlt Ludwig, wie die Beschenkten diesen Gutschein nützen sollen, wenn sie seine  gleichzeitige Aufforderung zum Daheimbleiben ernst nehmen sollten? 

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