Merkel und ihr toller Urgroßvater

Beim groß angelegten Integrationsgipfel der deutschen Bundesregierung hat Angela Merkel gestern über die eigene Familiengeschichte schwadroniert. Die erschütternde Undifferenziertheit, die sie dabei an den Tag gelegt hat, erklärt gut, warum sie 2015 so realitätsfremd gehandelt hat.
Natürlich ist es für perfekt Integrierte manchmal belastend, auf ihre Herkunft angesprochen zu werden. Umgekehrt könnte man das in vielen Fällen auch unverkrampft als Interesse an der Lebens- bzw. Familiengeschichte deuten. Und ja, es liegt in der Natur der Sache, dass Menschen mit einem nicht mitteleuropäischen Aussehen öfter darauf angesprochen werden.

Die Undifferenziertheit, mit der Merkel das Thema Integrationsfortschritt betrachtet, ist an Naivität fast nicht zu überbieten: Sie schließt aus ihrem polnischen Urgroßvater und ihrer eigenen Integration, dass in vierter Generation jeder problem- und mühelos integriert ist. Dazu wären vielleicht folgende kritische Rückfragen hilfreich:

  •  Ist ihr Urgroßvater in einen großteils polnischen Stadtteil gezogen, in dem es nahezu die komplette Infrastruktur - vom Lebensmittelgeschäft über den Friseur bis zum Wirtshaus - in polnischer Sprache gegeben hat?
  • Hat er seine Kinder in Schulen geschickt, wo der Großteil der Schüler im Schulhof nicht deutsch gesprochen hat?
  • Hat er darauf bestanden, dass seine Kinder ausschließlich Polen heiraten - und diese sicherheitshalber im Heimatland für sie gesucht und nach Deutschland geholt?
  • Hat er seine Kinder mit dem Tod bedroht, wenn sie mit jemandem ausgegangen sind, der nicht der katholisch-polnischen Marienfrömmigkeit angehängt ist?
  • Haben er und seine Familie ausschließlich polnischsprachige Medien konsumiert?
  • Hat er auf Jobs verzichtet, weil sie unter seiner Würde waren oder weil er dafür jahrelang am Abend büffeln hätte müssen?

Ich würde vermuten, der Großteil der Fragen wäre mit einem klaren Nein zu beantworten. In unserer Familie gab es etliche Auswanderer, die vor der bitteren Armut der Zwischenkriegszeit bzw. der Nachkriegszeit nach Nordamerika geflohen sind. Diese Auswanderer haben bereits mit ihren eigenen Kindern zu Hause nur noch Englisch gesprochen, weil es ihr größtes Anliegen war, dass es die Kinder einmal besser haben als sie selbst.

Natürlich schmerzt es uns, wenn wir auf Besuch fahren und mit den nachfolgenden Generationen kein Wort Deutsch mehr sprechen können. Aber rational weiß ich, dass es die richtige Entscheidung von ihnen war, sich voll auf die neue Kultur einzulassen.

Solange es bei uns einen erheblichen Teil an Migranten gibt, wo die zweite und dritte Generation (über die vierte kenne ich keine Statistiken) schlechter integriert ist als die erste, ist es kein Zeichen von Xenophobie, sondern von Verantwortungsbewusstsein, wenn man sich nach dem Integrationsfortschritt erkundigt - wenn es schon der Staat nicht tut.

Der Autor ist in exponierter Position im Kommunikationsbereich tätig, kann daher nicht unter seinem eigenen Namen schreiben.

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung