„Inter“, „divers“ oder vielleicht „weder noch“? Womit sich österreichische Höchstgerichte beschäftigen

Eine Aussendung des "Rechtskomitees Lambda" (nicht zu verwechseln mit dem Lambda-Symbol der Identitären!), das sich der verdienstvollen Aufgabe widmet, die Diskriminierung "gleichgeschlechtlich l(i)ebender, transidenter und intergeschlechtlicher Menschen" in allen Rechtsbereichen zu beenden, zeigt, mit welch schwerwiegenden Grundrechtsfragen sich Österreichs Höchstgerichte zu beschäftigen pflegen: Eine intersexuelle Person, die seit der bahnbrechenden Einführung eines dritten Geschlechts als "divers" geführt wird, möchte lieber "inter" eingetragen sehen.

Aber der Reihe nach: Zunächst hat der Verfassungsgerichtshof 2018 festgestellt, dass außer "männlich" und "weiblich" jede(!) Geschlechtsbezeichnung gewählt werden könne, die einen Bezug zur sozialen Realität habe und nicht frei erfunden sei. Als ausdrücklich zulässig wurden hierbei die Begriffe "divers", "inter" sowie "offen" erklärt. Jedenfalls solange, bis nicht durch Gesetz oder Verordnung die Verwendung bestimmter Begriffe vorgeschrieben wird. Schließlich sei die selbstbestimmte Wahl der Geschlechtsidentität ein fundamentales Menschenrecht.

Nun aber tritt der böse Ex-Innenminister Herbert Kickl auf den Plan und wagt es, in einem Erlass an die Standesämter festzulegen, dass für das "dritte Geschlecht" der Begriff "divers" zu verwenden sei, und dass – horribile dictu! – auch dies nur dann zustehe, wenn ein sogenanntes "VdG-Board" (dieses Kürzel steht für "Variante der Geschlechtsentwicklung") bestätigt, dass es sich um eine intersexuelle (und nicht etwa bloß transsexuelle) Person handle.

Obwohl der VfGH also ausdrücklich auch "inter" als mögliche Geschlechtsbezeichnung zulässt, darf ein Standesamt in Dokumente nur "divers" eintragen. Glücklicherweise hat sich jedoch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der Judikatur des VfGH angeschlossen, was sodann vom Verwaltungsgerichtshof bestätigt und schließlich in einem weiteren Entscheid vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich bekräftigt worden ist. Das Gericht habe jedoch keine Möglichkeit, "inter" gegenüber der Behörde durchzusetzen. Hinzu kommt, dass "inter" in der Software des Innenministeriums als Eingabeoption gar nicht vorgesehen ist.

Schwerste Menschenrechtsverletzungen also, die sich mitten unter uns in Österreich abspielen! Doch nicht etwa, dass Standesämter sich weigerten, neben "männlich" und "weiblich" überhaupt ein drittes Geschlecht anzuerkennen. Oder dass man eine Geburtsurkunde nicht rückwirkend umschreiben könne. Nein, es geht ausschließlich darum, ob man auf den Eintrag "divers" festgelegt wird oder ob man auch "inter" sein darf.

Wohl ist es nachvollziehbar, dass eine deklariert intersexuelle Person nicht einfach nur "offen" (im Sinne von: noch nicht entschieden) und auch nicht unbestimmt "divers" sein will, wenn sie Intersexualität als die ihr eigene Geschlechtsbestimmtheit ansieht. Bloß: Warum beschließt man keine Verordnung, die das entstandene Begriffswirrwarr bereinigt? Die, nachdem es um den schmalen Personenkreis anatomisch bzw. physiologisch intersexueller Personen gehen soll, am passendsten "inter" als das "dritte Geschlecht" festlegt (oder besser "intersexuell", um nicht als vermeintlicher Fan eines italienischen Fußballklubs zwangsgeoutet zu werden).

Die Antwort scheint klar: Es ist politisch nicht gewünscht, es traut sich auch die ÖVP nicht drüber, bzw. es gibt in einer türkis-grünen Koalition keinen Konsens, das "dritte Geschlecht" tatsächlich nur auf intersexuelle Personen restringieren zu wollen. Dafür spricht auch, dass es die oben genannten "VdG-Boards" noch gar nicht gibt. Offenbar besteht kein Interesse, transsexuelle Personen von einer gleichsam freien Geschlechtswahl abhalten zu wollen.

Die klare Stoßrichtung, auch für künftige Erkenntnisse des VfGH wie VwGH, ist, dass jeder – zumindest jeder, der nicht eindeutig männlich oder weiblich ist respektive sich als eindeutig männlich oder weiblich sieht (also am Ende doch wieder jeder!) – irgendeine ihm passend scheinende Geschlechtsbezeichnung wählen können soll. Diese muss dem VfGH zufolge bloß irgendeinen Bezug zur sozialen Realität haben und darf nicht frei erfunden sein.

Wir dürfen also alsbald auf weitere richtungsweisende Judikatur hoffen. Wenn etwa das Computersystem auf der zuständigen Bezirkshauptmannschaft die gewünschte Geschlechtsbezeichnung "weder noch" nicht hergibt, stellt es mindestens für eine intersexuelle Person eine schwere Grundrechtsverletzung dar, wenn der zuständige Beamte jetzt nicht alle Hebel in Bewegung setzt, dass das schnellstens geändert wird. Und wenn für "sowohl sowohl als auch als auch weder noch, sondern einfach nur Mensch" kein Platz am Formular ist, geht die Geburtsurkunde halt ausnahmsweise schon einmal über zwei Seiten.

Aber ist es nicht gleichheitswidrig, wenn nur Intersexuelle das exklusive Recht haben, ihr Geschlecht frei zu wählen? Warum darf ein Mann statt "männlich" nicht etwa auch "maskulin" als Geschlecht angeben, wenn ihm das besser gefällt? Vielleicht argumentiert man ja, dass intersexuelle Personen es im Leben ohnehin schwer genug haben und ihnen daher – als ausgleichende Gerechtigkeit – dieses Vorrecht zustehe. So pflegt ja auch die rechtliche Bevorzugung von Frauen durch deren jahrtausendelange angebliche Benachteiligung durch die Männer gerechtfertigt zu werden.

Doch Vorsicht! Genau diese Gleichheitswidrigkeit wird auch Transsexuellen sowie politischen Käm*pfer*inn*en gegen das Diktat der Zweigeschlechtlichkeit den Weg zur selbstbestimmten Geschlechtsbezeichnung ebnen, zumal es zweifellos eine weitere schwere Menschenrechtsverletzung darstellt, Intersexualität behördlich feststellen lassen zu müssen, um "inter" sein zu dürfen. Nur Männern wird das Recht auf freie Geschlechtswahl wohl verwehrt bleiben, könnten sie sich ansonsten doch als "Frau" deklarieren und das Gleichbehandlungsgesetz für sich ausnützen. Was die "soziale Realität" ist, bestimmen immer noch die Anderen!

Endlich verstehen wir jetzt auch, weshalb die Justiz ständig über Personalmangel klagt: Nicht nur für die vielen Verhetzungs- und ähnlichen Prozesse gegen den Hass im Netz braucht es immer neue Ressourcen. Ein Schelm hingegen, wer denkt, es gebe jetzt schon zu viele Richter, wenn für derart schwerwiegende Probleme wie die geschilderten offenbar genügend Kapazitäten frei sind.

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.

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