Und demnächst auf der Latrine?

In Österreich reißen die Ärgernisse nicht ab. Da erdreistet sich eine Beamtin der höchsten Ministerialdienstklasse doch tatsächlich, in einem Nobelrestaurant zu speisen. Diese Ungeheuerlichkeit Nummer 1 schmeckt den Medien besser als die dort angebotenen Leckerbissen.

Was daran so skandalös ist? Die Sektionschefin ist derzeit Bundesvorsitzende der SPÖ. Man mag Frau Pamela Rendi-Wagner mögen oder nicht. Man mag unterschiedlich beurteilen, ob ihr Berufswechsel Österreich und der SPÖ gutgetan hat oder nicht. Aber ohne Zweifel ist der journalistische Mundraub, der hier betrieben wird, ein Exzess an Unappetitlichkeit.

Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Politikerin vielleicht einen hochgestellten Gast hatte, ob sie einen besonderen persönlichen Festtag feierte oder einfach "nur so" dort gegessen hat. Das Gasthaus für ein Mittag- oder Abendessen frei zu wählen, darf man ihr nach dem bisher unbestrittenen Selbstverständnis unserer freien Gesellschaft auch im neuen Berufsstand nicht verwehren. Wer sich der Gesellschaft als Mandatar zur Verfügung stellt, wird zugegeben meist gut bezahlt, muss ein Avancement aber mit großen Opfern seiner Lebensqualität erkaufen. Niemand darf deswegen zu Würstelstand und McDonald’s verurteilt werden.

Doch einem Politiker wird übrigens nicht einmal das wirklich nicht luxuriöse Fast Food gegönnt, wie wir aus der Ungeheuerlichkeit Nummer 2 gelernt haben: Da prasste doch tatsächlich ein Vizekanzler genussvoll mit einem "Burger". Mehr hat der Mann nicht gebraucht. Man mag Herrn Werner Kogler mögen oder nicht, man mag herkömmliche oder vegetarische Burger schätzen oder nicht, aber die Kampagne gegen einen Politiker wegen einer so bescheidenen Mahlzeit übertrifft an Unappetitlichkeit die widerliche Aufregung über den Restaurantbesuch der SPÖ-Vorsitzenden.

Richtig ist natürlich, dass auch der Vizekanzler-Burger etwas gekostet hat. Und Geld in der Hand eines Politikers "schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht", wie seit jeher stilistische Journalistenfehler verspottet werden. Ein Nationalratsabgeordneter mit Geld in der Hand ‒ das ist die Ungeheuerlichkeit Nummer 3. Noch dazu Papiergeld. Ein paar Kupfermünzen zu 1, 2 oder 5 Cent hätte man ihm ja noch verziehen. Aber Papiergeld! Wohl kaum 3000 Euro, wie ein unbedarfter Beobachter erkannt haben will, der als Mindestsicherungsbezieher noch nie im Leben 3000 Euro in der Hand gehabt haben dürfte. Aber sicher mehr als ein Burger kostet.

Man mag Herrn Peter Haubner mögen oder nicht. Um sich aber in Geld zu baden wie Onkel Dagobert Duck in den Mickymaus-Heften, dafür ist die Menge weit zu gering. Zur Geldwäsche im Hohen Haus taugt die vermutete Summe nicht. Es war fremdes Geld, das Haubner verwaltet und offenbar in kleinere Summen aufgeteilt hat.

Und wenn es sein Privatgeld gewesen wäre, das er nachgezählt hat? Und wenn es tatsächlich 3000 Euro gewesen wären? Wem geht dieser alltägliche Vorgang etwas an? Jede Hausfrau zählt vor dem Einkauf ihr Geld, und wenn sie das Familienauto vom Jahresservice holt, muss sie manchmal einen vierstelligen Betrag mitnehmen.

Doch wo liegt dann die Unappetitlichkeit im Fall Haubner? Sie liegt in der Verdrehung eines alltäglichen Vorgangs zu einem Skandal ‒ ganz genau so, wie es mit dem Verzehr eines Burgers durch ein Regierungsmitglied geschah.

Was macht nun die Geldscheine des Abgeordneten Haubner zur qualifizierten Ungeheuerlichkeit? Dass ein Abgeordneter des Nationalrats, der offenbar sonst nichts zu tun hat, Haubner während einer Sitzung fotografierte, um einen politischen Gegner hinterhältig der Primitivität und Blödheit letztklassiger Anonym-Kommentatoren auszuliefern. Ein paar hundert Euro Papiergeld wollte er in parteipolitisches Kleingeld ummünzen, doch die Obergrenze seiner Intellektualität reichte nicht zu der Erkenntnis, dass er mit solchen Meuchelfotos das ohnehin labile Ansehen des Parlaments und aller seiner Mitglieder nachhaltig geschädigt hat.

Sein Triumph, am gierigen Medienmarkt die Titelseiten zu erobern, war ein Schlag ins Gesicht der Demokratie. Was dürfen wir von Schlägern seines Schlages noch erwarten? Werden sie demnächst ihren Kollegen auf die Toilette nachschleichen und heimliche Aufnahmen beim Stoffwechsel produzieren? Diese Sorge ist nicht übertrieben: Die ersten Schritte auf dem Weg zur Latrine wurden politisch und medial schon getan.

Versetzen wir uns im Geiste ins erwähnte Nobelrestaurant oder an die Theke McDonald's! Beim Studium der Speisekarte begleitet uns das Unbehagen des Berliner Malers Max Liebermann aus dem Jahr 1933: "Man kann nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte".

Willi Sauberer, Schüler Hugo Portischs, war ab 1961 Mitarbeiter von Alfons Gorbach, Josef Klaus und Hermann Withalm und von 1971 bis 1994 Chefredakteur einer kleinen Salzburger Tageszeitung. Der konservative Publizist schreibt vorwiegend über gesellschaftspolitische, zeithistorische und lokalgeschichtliche Themen.

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