In eigener Sache: Geständnisse eines Reaktionärs

Vor über dreißig Jahren war ich zufällig gerade in Köln bei Andreas Hillgruber eingeladen, als Jürgen Habermas mit einer Polemik gegen meinen Gastgeber den Startschuss zum sogenannten "Historikerstreit" gab (von einem Kollegen dann prompt zum "Hysterikerstreit" gewendet). Anlass dafür war immerhin noch ein Buch Hillgrubers ("Zweierlei Untergang"). Heute scheint es nur mehr um "Soundbites" zu gehen, die sich im Stille-Post-Spiel irgendwie bis in die Redaktionen durchgeschlagen haben – Bücher zu lesen ist aus der Mode gekommen. Als Kompensation winkt dafür die Erkenntnis, wie leicht es geworden ist, als geradezu gefährlich origineller Kopf zu gelten, selbst wenn man wenig mehr als Selbstverständlichkeiten zum Besten gibt.

Denn so manche Mitbürger empfinden es bereits als äußerst provokant, wenn man nicht ihrer Meinung ist – ein Konsensbedürfnis, das möglicherweise ein typisch österreichisches Spezifikum ist: In England würde man wohl viel seltener auf derlei Reaktionen stoßen.

Umso mehr halte ich es für sinnvoll, an der Trennung von politischen Debatten und Lehrbetrieb festzuhalten. Lehrveranstaltungen, ob an Schulen oder Universitäten, sind nicht dazu da, für oder gegen Parteien und Politiker, deren Forderungen oder Strategien Stellung zu beziehen. Für politische Statements ist ein anderes Forum zu wählen. An diese Regel habe ich mich immer gehalten.

Es hat dem Vortragenden auch völlig gleichgültig zu sein, welcher Gesinnung seine Hörerschaft anhängt. Der Universitätszugang ist selbst in Österreich noch nicht an das Parteibuch gebunden. Mehr noch: Es hat Tradition, in Vorlesungen auch Mitglieder der Öffentlichkeit willkommen zu heißen, die nicht (oder nicht mehr) inskribiert sind. So war es z.B. bei meinen Lehrern durchaus üblich, daß Ex-IV-Präsident Franz-Josef Mayer-Gunthof bei Ludwig Jedlicka in der ersten Reihe saß oder der ehemalige ÖVP-Industriesprecher Hubert Hofeneder zu den Hörern von Heinrich Lutz zählte.

Selbstverständlich wäre es schön, wenn alle Beteiligten meinem Wunsch folgen und sich ebenfalls dazu entschließen könnten, ihre politischen Manifestationen außerhalb der Universität abzuhalten. Ob sie in universitären Veranstaltungen mit Kindereien wie geballter Faust oder einem vermeintlichen White Power Zeichen glänzen, spielt sich Gott sei Dank meist unterhalb meiner Wahrnehmungsschwelle ab.

Leute, die glauben, nach dem Ende der Vorlesung irgendwelche prahlerischen Parolen brüllen zu müssen, freuen mich nicht – und die meisten meiner Hörer wohl auch nicht. Aber vielleicht muss man schon dankbar sein, dass sie wenigstens nicht mit Eiern werfen, Zugänge blockieren oder sich sonstiger Übertretungen schuldig machen, wie diverse andere Besucher der Alma Mater. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn gerade die Sprecher und Sympathisanten der einschlägigen Vermummten dann vor "Extremisten" an der Universität warnen.

Ganz anderer Meinung als mein Freund Thomas Angerer bin ich in der Frage nach der vermeintlich größeren politischen "Verantwortung" von Universitätslektoren. Nicht, dass ich das Privileg nicht zu schätzen wüsste, das eigene Hobby zum Beruf machen zu können. Die Verpflichtung, die ich auf Grund dieses Privilegs erkennen kann, lautet: Die Zeit, die nicht auf die Lehre zu veranschlagen ist, eben der zweiten Aufgabe der Universität zu widmen, nämlich der Forschung bzw. der Publikation ihrer Ergebnisse – und sie nicht in endlosen Sitzungen zu vertrödeln, selbst wenn diese an unfreiwilliger Komik den köstlichen Romanen von Dieter Schwanitz zuweilen nicht nachstehen. Da entgeht mir sicher manches, auch an Kontakten. In den Archiven treffe ich viele meiner Kollegen ja nur selten an – zweifelsohne deshalb, weil ich als berüchtigter Langschläfer zu spät komme ...

Was ihre politischen Äußerungen betrifft, sind Stellungnahmen von Universitätsprofessoren aber selbstverständlich genauso Privatsache wie die Kommentare jedes anderen Stimmbürgers. Akademiker verfügen hoffentlich in manchen Belangen über größeres Fachwissen, aber sie haben keine größere Kompetenz in den Wertfragen, um die es in der Politik letzten Endes geht. In einer Demokratie kann es prinzipiell für keine Berufsgruppe ein höheres Maß von Rechten oder Pflichten geben.

Nicht zuletzt aus diesem Grund halte ich es für angebracht, strikt zu trennen zwischen wissenschaftlichen Befunden und Thesen einerseits, Werturteilen und "moralischen Handreichungen" andererseits. Letztere sind meines Erachtens bei der Diskussion historischer Phänomene deshalb auch nach Tunlichkeit zu vermeiden.

Es dürfte bekannt sein, dass ich kein Anhänger der politischen Linken bin. Aber ich glaube nicht, in meinen Büchern deshalb irgendwelche Persönlichkeiten der Linken mit jener Art von Verbalinjurien bedacht zu haben, wie sie gerade in der Zeitgeschichtsschreibung vielfach gang und gäbe sind.

Ob man aus der Geschichte lernen kann? Ja – und zwar ist es da jedem unbenommen, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Wenn Wissenschafter und Politiker, gleichsam von Amts wegen "Lehren aus der Geschichte" feilbieten, müssten sie hingegen den Ärger aller Konsumentenschützer auf den Plan rufen. Sektionschef i.R. Günter Steinbach hat seine lesenswerte Geschichte der Ersten Republik ("Kanzler, Krisen, Katastrophen" 2006) mit dem beherzigenswerten Satz eingeleitet: "Wer über Geschichte schreibt, soll sich nicht aufführen, als wäre er das Jüngste Gericht."

Es geht bei unseren Recherchen um Kausalitäten, Ursache und Wirkung, nicht um "Schuld" und Sühne. Die Geschichte des Nationalsozialismus (oder auch anderer totalitärer Bewegungen) macht da keine Ausnahme. Das Studium jeder Epoche wirft spezifische Probleme auf, aber am prinzipiellen Zugang ändert sich deshalb nichts. Es wäre lächerlich, die Nennung von NS-Bonzen (oder von Gulag-Verantwortlichen oder wem auch immer) jeweils mit einem kleinen verbalen Exorzismus-Ritual einzubegleiten.

Tabus haben in der Wissenschaft nichts verloren, allenfalls als Gegenstand der Forschung, nicht als Vorgabe. Kurios freilich: Die "Achtundsechziger" und auch die Anti-Waldheim-Aktivisten waren offenbar noch stolz darauf, gegen ihrer Meinung nach bestehende Tabus vorzugehen. Doch dieses Privileg ist offenbar nur für eine gewisse politische Richtung reserviert.

Apropos Waldheim. Zeitzeugen sind eine wertvolle Quelle, die ich selber für diverse Bücher gerne und ausgiebig genutzt habe. Sie sind wie jede andere Quelle natürlich der Quellenkritik zu unterwerfen. Ein älterer Kollege hat diese Skepsis während einer Podiumsdiskussion vor zwei Jahren einmal bewusst auf den Punkt gebracht: "Der Zeitzeuge lügt."

Das war – aus der Situation heraus – überspitzt formuliert. Bei den Streichen, die uns das Gedächtnis spielt, handelt es sich in der Regel ja keineswegs um bewusste Täuschung. Doch die Behauptungen anzuzweifeln, die in einem Text enthalten sind, fällt vielfach leichter, als einem Menschen zu widersprechen, der einem mit dem Gespräch ja eigentlich einen Gefallen tut. Die Spannung zwischen dem Respekt vor Älteren, die viel mitgemacht haben, und der notwendigen kritischen Distanz ist nun einmal gegeben.

Dennoch wird man – selbst aus Randbemerkungen – immer wieder wertvolle Anregungen empfangen. Je mehr Aufzeichnungen und "Ego-Dokumente" uns zur Verfügung stehen, umso besser ist es um unsere Quellenbasis bestellt. Bei immer wiederkehrenden Auftritten in der Öffentlichkeit nimmt dieser Erkenntnisgewinn naturgemäß ab. Gerade im Schulunterricht scheinen mir Auftritte von Zeitzeugen damit in erster Linie nichtwissenschaftlichen Zielsetzungen zu dienen, von Abwechslung bis Emotionalisierung.

Man kann da zweifelsohne durch Begleitprogramme gegensteuern. Doch ob sich dieser Aufwand lohnt? Ich habe deshalb auch die Beteiligung an einem Projekt abgelehnt, das darauf abzielte, jetzt auch Heimatvertriebene in der einen oder anderen Form für eine solche Aktion an Schulen zu gewinnen.

Nichts gegen die Internationalisierung unserer Disziplin, im Gegenteil: Unbescheidenerweise würde ich sogar annehmen, dass ich in den vergangenen Jahren mehr wissenschaftliche Beiträge im Ausland und auf Englisch veröffentlicht habe als der Schnitt unserer Kollegen. Gern gefallen lasse ich mir dafür den Vorwurf, den Kollege Tschiggerl unlängst im "Standard" erhoben hat, ich passe nicht so recht in die Zeit der drittmittelfinanzierten Projekte (obwohl man nicht ganz darum herum kommt). Wo er recht hat, hat er recht. Kurios nur, dass er mir dann den Ausdruck Marketing im Zusammenhang mit der Erinnerungskultur übelnimmt.

Besser lassen sich diese Praktiken wohl kaum beschreiben. Die These, dass Forschungen zum Komplex Nationalsozialismus im letzten Vierteljahrhundert im Vergleich zu anderen Epochen der Geschichte einer ganz besonderen Förderung teilhaftig wurden, wird sich wohl kaum falsifizieren lassen. Bewerber um Drittmittel sind da zweifelsohne gut beraten, ihr Projekt in diesem Bereich anzusiedeln. Man mag da einen Nachholbedarf orten oder meinen, der Sättigungsgrad sei längst erreicht, vor allem wenn man bedenkt, dass inzwischen selbst andere zeitgeschichtliche Forschungsprojekte, wie z.B. die Ministerratsprotokolle der 1. Republik, als Torso zurückgeblieben sind. Zweifelsohne handelt es sich beim Verteilen öffentlicher Gelder um eine politische Frage. Da ist es wohl gleichermaßen legitim, einen Schwerpunkt zu begrüßen wie für übertrieben zu halten.        

Zum Schluss: Das Recht souveräner Staaten zum Kriegführen. Offenbar ist das Vokabel "Recht" wegen seiner positiven Konnotationen da manchen juristisch vorgebildeten Freunden in die falsche Kehle geraten. Vielleicht lassen sich Missverständnisse vermeiden, wenn man sagt, es zählt zu den Attributen des souveränen Staates, dass ihm niemand das Kriegführen verbieten kann. Man konnte schon froh sein, wenn er sich beim Kriegführen wenigstens an gewisse Regeln hielt. Man kann nun vielleicht argumentieren, seit der Gründung und Ausdehnung der UNO auf so ziemlich alle Staaten der Erde habe sich da ein qualitativer Wandel vollzogen (der für Großmächte mit Veto im Sicherheitsrat freilich nur bedingt gilt).

Ich würde den Wandel, den wir seit 1945 erlebt haben, daher immer noch eher auf die unerreichte Qualität der Abschreckung seit der Erfindung der Wasserstoffbombe zurückführen. Um genau diesen Unterschied zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Abschreckungs- und "Appeasement"-Strategien geht es mir auch bei allen Untersuchungen zu historischen Kriegsursachen.

Ich halte das für eine realistische Position. Und um die Erfassung der Realität – nicht um Wunschdenken – hat es in der Wissenschaft auch zu gehen, oder?

Dr. Lothar Höbelt ist a.o. Universitätsprofessor für Geschichte an der Universität Wien. Seine Vorlesungen wurden zuletzt mehrfach von Linksradikalen gestört bzw. verhindert.

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