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Gleich an zwei verschiedenen Orten ist im Nahen Osten neue Kriegsgefahr entbrannt. Die Reaktionen im EU-Europa darauf sind deprimierend, obwohl dieses seit Jahrzehnten ständig über die Wichtigkeit seiner "Gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik" schwadroniert. Europa reagiert zweimal falsch. Der eine der beiden Konflikte wird bis auf ein paar papierene Erklärungen noch gar nicht wirklich zur Kenntnis genommen; dabei bedroht er unmittelbar EU-Gebiet! Und im anderen begreift man nicht, wo Europas Interessen stehen, sondern lässt sich von einem derzeit alles überragenden Antiamerikanismus treiben.
Zuerst zu den Europa ganz unmittelbar bedrohenden Vorgängen. Das ist eindeutig das Verhalten der Türkei. Nachdem sich Europa – was vor allem Angela Merkel zu "danken" ist – schon einmal von Ankara erpressen hat lassen, ist nun Diktator Erdogan in eine noch dramatischere Offensive gegangen: Er hat ein Abkommen mit der dubiosen "Regierung" Libyens getroffen, die in Tripolis isoliert und von den erfolgreichen Truppen des (auch vom libyschen "Parlament" unterstützten) Generals Haftar eingeschnürt sitzt.
Doppelter Kern dieses Abkommens: Erstens, die Türkei unterstützt die Tripolis-Regierung militärisch durch Truppen. Zweitens, diese Regierung schließt mit Ankara ein Abkommen, laut dem der Türkei ein großer Teil der unter dem östlichen Mittelmeer schlummernden Bodenschätze gehört, also vor allem die dortigen Erdgas-Vorräte. Das aber ist nichts anderes als eine direkte Aggression gegen EU-Territorien. Liegen doch Zypern, Griechenland und Italien samt dem zugehörigen Festlandsockel zwischen Libyen und der Türkei. Ganz zu schweigen von den zu Ägypten, Israel, Libanon und Syrien gehörenden Mittelmeergebieten.
Europas Antwort auf die türkische Bedrohung und Frechheiten ist aber von Ängstlichkeit geprägt. Ein sich für eine Weltmacht haltende 500-Millionen-Union ist nicht einmal imstande, kollektiv und demonstrativ Marine-Schiffe in die bedrohten Gebiete zu schicken, um die Türkei ans Völkerrecht zu erinnern. Wer soll da dieses Europa noch ernstnehmen?
Mit ihrem militärischen Beistand für die libysche Regierung dürfte sich die Türkei jedoch selbst beschädigt haben. Denn damit verstrickt sie sich direkt in den libyschen Bürgerkrieg, worauf alle anderen Länder rundum bisher verzichtet haben. Die Tripolis-Regierung hat zwar die offizielle Anerkennung und verbale Unterstützung durch die UNO und Teile der EU. Das wird ihr aber nicht viel nützen. Denn Haftar auf der anderen Seite hat die faktische Unterstützung durch die USA wie auch Russland – kaum zu glauben, dass die beiden einmal auf ein und derselben Seite stehen! – und die noch wichtigere durch die gemäßigten arabischen Länder, also auch durch den großen Nachbarn Ägypten. Was noch wichtiger ist.
Faktum ist, dass die EU bei beiden türkischen Aktionen keine klare Haltung hat. Vor allem aus Feigheit und weil man sich untereinander wie so oft uneinig ist. Niemand in den westlichen Staatskanzleien ist sich der brisanten Parallele bewusst, dass beiden Weltkriegen Konflikte und Interventionen am Südrand des Mittelmeers vorangegangen waren. Dabei zeigt das auch aus historischer Sicht die Gefährlichkeit des Zündelns der Neo-Osmanen in Ankara, wenn ihm nicht rechtzeitig entgegengetreten wird.
Laute europäische Stimmen hat es zu Problemen, die mit der Türkei zusammenhängen, zuletzt nur einmal gegeben. Nämlich als Donald Trump die US-Truppen aus dem kurdischen Nordsyrien abgezogen und die Kurden der türkischen Aggression preisgegeben hat. Das ist zu Recht kritisiert worden, weil die USA die so lange verbündeten Kurden eiskalt fallengelassen hat. Waren diese doch die tapfersten Kämpfer gegen den Islamischen Staat; ist ihnen doch in den von ihnen kontrollierten Gebieten eine zum Unterschied von allen anderen islamischen Mächten mit einem ordentlichen Rechtsstaat vergleichbare Struktur gelungen, in der es insbesondere den nahöstlichen Christen vergleichsweise am besten gegangen ist.
Aus jeder objektiven Perspektive hätte Europa da primär der Aggressor tadeln müssen, und nicht jene Macht, die den Kurden aus Feigheit oder Egoismus den Beistand entzogen hat. Überdies hätten die Europäer schon von vornherein viel mehr Grund als die Amerikaner, den Kurden beizustehen. Liegt Kurdistan Europa doch viel näher als den USA. Aber Europa wagt längst nicht mehr, die Türken laut zu kritisieren. Schon aus Angst nicht, dass die hier lebenden Türken demonstrieren.
Mit gespaltener Zunge reagiert EU-Europa auch auf den zweiten sich in den letzten Tagen und Stunden eskalierenden Konflikt in der Region: also auf die Spannungen zwischen den USA und Iran. Während ein Teil der Europäer – auch Sebastian Kurz – die richtigen Worte zur Tötung des Kommandanten der iranischen Revolutionsgarden im Irak gefunden hat, haben viele europäische Linkspolitiker wieder einmal einseitig und verlogen reagiert. Denn es ist einfach verlogen, diese Tötung zu kritisieren, ohne die ständigen Angriffe dieser Revolutionsgarden gegen US-Soldaten als primäre Ursachen der Eskalation zu nennen. Wenn Truppen eines Landes angegriffen werden, dann ist es ganz eindeutig das Recht dieses Landes, einen angemessenen Gegenschlag zu führen.
Und zweifellos ist die gezielte Tötung des Oberbefehlshabers der Revolutionsgarden eine viel angemessenere, viel zurückhaltendere Reaktion auf deren Angriffe, als wenn die USA großflächigere Angriffe gegen iranische Ziele geflogen wären. Um einen historischen Vergleich zu ziehen: Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte es Millionen Menschenleben gerettet und großes Leid für noch mehr Menschen Europas verhindert, wenn den Westmächten schon vor 1945 die gezielte Tötung von ein paar Dutzend Naziführern gelungen wäre, und wenn nicht jeder Quadratmeter blutig (zurück-)erobert hätte werden müssen.
Gerade die Europäer hätten auch erkennen müssen, wie bedrohlich der iranische Auf- und Einmarsch in großen Teilen des Nahen Ostens ist. Im Irak, in Syrien, im Libanon, im Jemen und auch im Gazastreifen ist der Iran eindeutig für vielfache militärische Eskalationen verantwortlich. Das ist eine großflächige Bedrohung keineswegs nur für die dort lebenden Völker, sondern auch für Israel und auch Europa. Daher ist es einfach nur schäbig, wenn Europa das alles ignoriert, sondern nur danach trachtet, mit dem Iran möglichst gute Geschäfte abzuschließen.
Verantwortlich für diese Aggressionen sind die Revolutionsgarden, deren Führer nun getötet worden ist. Zwar gibt es nur wenig Hoffnung, dass die Ausschaltung des einen Mannes den Iran jetzt umgehend zur Zurückhaltung bringen wird. Aber noch sicherer ist, dass tatenloses Wegschauen den Iran nur zu noch aggressiverem Verhalten ermuntert hätte.
Wenn nun die europäische Berichterstattung den Eindruck erweckt, der US-Tötungsangriff hätte die ganze islamische Welt herausgefordert, dann ist das ebenfalls verlogen. Es ist einzig die schiitische Welt, die für die Fernsehkameras hasserfüllte Demonstrationen gegen die USA veranstaltet. In der viel größeren sunnitischen Welt, insbesondere bei den Regionalmächten Saudi-Arabien und Ägypten, wie auch bei dem um seine eigene Sicherheit besorgten Israel findet die amerikanische Aktion hingegen Beifall. Selbst die Türkei wagt es nicht, sich auf die Seite der Iraner zu stellen. Aber in den meisten Medien liest man nur Hetze gegen Trump.
Besonders widerlich ist die Tatsache, dass fast alle europäischen Medien verschweigen, wo die amerikanische Aktion überhaupt den größten Jubel ausgelöst hat: Das war ausgerechnet in den Straßen Bagdads. Dort protestieren seit Wochen die Massen gegen eine unfähige und korrupte Marionettenregierung und gegen die iranischen Revolutionsgarden, die sich wie die wahren Herren des Iraks aufführen und an den Schnüren dieser Marionetten ziehen.
Gewiss, im Irak haben die Schiiten die Mehrheit, und eine schiitische Regierung wird nie wagen, sich gegen den Iran zu stellen, insbesondere nicht, solange so viele iranische Truppen – unter dem Vorwand, den "Islamischen Staat" zu bekämpfen, – im Lande sind. Aber die Empörung der Nicht-Schiiten wie auch der modernen schiitischen Jugend über ihre Perspektivenlosigkeit wächst dramatisch. So wie auch unter der iranischen Jugend. Und daher ist es schon sehr seltsam, wenn in Europa viele als Propagandisten des Imperialismus der iranischen Steinzeit-Mullahs auftreten, der wohl nicht einmal unter den Schiiten eine mehrheitliche Unterstützung hat.
Dem Verlangen der irakischen Regierung nach Abzug der amerikanischen Truppen wird Washington wohl nachkommen müssen. Das entspricht im Grund ja auch dem obersten außenpolitischen Ziel Donald Trumps: Er will sein Land generell aus möglichst vielen Konflikten heraushalten. Nach Abzug der USA wird der Irak, alleingelassen, hoffen und bangen müssen, dass die iranischen Truppen imstande sein werden, den "Islamischen Staat" – also eine rein sunnitische Organisation – in Schach zu halten, und dass der Irak dennoch nicht auf der anderen Seite eine bloße Kolonie Irans wird.
Das heißt nicht, dass ein amerikanischer Abzug gut für den Nahen Osten ist. Er ist aber aus der Perspektive der US-Mehrheit verständlich, die immer mehr der Tatsache überdrüssig ist, dass ihr Land in unzähligen Konflikten weltweit den Weltpolizisten spielen soll. Und dass die USA ständig von Europa moralinsauer beschimpft werden, statt dass die Europäer zu einem gemeinsamen, über Gerede hinausgehenden Einsatz für nahöstliche Stabilität bereit wären.
Aber selbst wenn man diesen US-Isolationismus für falsch findet, kann man den Amerikanern nur empfehlen, der Aufforderung aus Bagdad nachzukommen. Wenn sie klug sind, stellen sie sich ganz an die Seite der Kurden, statt wie bisher dem korrupten und unfähigen Schiiten-Regime im Irak den Büttel zu machen. Das wäre auch ethisch eindeutig richtig, sind die Kurden doch neben Israel als einziges nahöstliches Volk von einem echten Genozid bedroht. Durch die Schiiten, durch den noch keineswegs toten "Islamischen Staat" und durch die sie seit Generationen verfolgenden Türken.
Bleibt noch die Drohung des Irans, als Reaktion auf die Ermordung ihres Kommandanten mit Volldruck an Atomwaffen zu arbeiten. Das ist freilich nicht das erste Mal, dass Iran genau das ankündigt. In Wahrheit war immer klar, dass Iran die Bombe haben will, seit alle Welt gesehen hat, wie schlecht es jenem Land geht, das als bisher einziges freiwillig auf schon vorhandene Atomwaffen verzichtet hat: Also der Ukraine.
Wenn man das sieht, will man die Bombe unbedingt selber haben. Iran hätte also – trotz aller Abkommen – niemals freiwillig auf Atomwaffen verzichtet. Es hätte deren Weiterentwicklung nur geheim gehalten und nicht so provokativ wie jetzt angekündigt.
Für die weitere Entwicklung gibt es vier mehr oder weniger erfreuliche Szenarien:
Wir können nur warten, welches Szenario Wirklichkeit wird.