Macht der Sprache und Ohnmacht der Wahrheit

1948 schilderte der britische Schriftsteller George Orwell in seinem Roman "1984" das Schreckensbild eines totalitären Staates ‒ gekennzeichnet durch die Macht der "Neusprache". Um die behauptete Dramatik der Erd-Erwärmung zur Hysterie steigern zu können, wird daraus in den ORF-Nachrichten die Erd-Erhitzung. Von der Neusprache profitieren manche Geschäftemacher und etliche Politiker. Und eitle Wissenschafter, welche unbedingt verhindern wollen, dass die richtigen Fragen gestellt und die richtigen Probleme gelöst werden.

Der Laie ohne ausreichendes Fachwissen sieht nur staunend, wie gegenteilige Fachmeinungen mit der "wissenschaftlich" bemäntelten Sense weltweiter Kampagnen und immer öfter auch mit roher Gewalt niedergemäht werden.

Zur "Neusprache" darf man auch die primitive Sprache zählen, die es unter der Verkleidung als Lehrfach "Einfache Sprache" sogar zu universitären Ehren gebracht hat. So wird angehenden Publizisten in Vorlesungen tatsächlich beigebracht, auf den zweiten Fall zu verzichten ("Im Namen von der Rose").

Die Journalisten entwickeln die Primitivität der einfachen Sprache aus eigenem Unvermögen kreativ weiter. Sie schreiben nur noch im ersten Fall: Der Hof "des Bauer" brannte. Ein Auto fuhr "in Bursche". "Den Bursch" fanden sie. Ein anderes Auto verletzte "einen Bub". "Den Bub" brachte man ins Spital. Hunde bissen "den Soldat". Eine Hysterie gab es um einen "Top-Bulle" (Fußballer). Und zwar "mit einem Kollege" (auch Fußballer). Nicht nur der zweite, auch der dritte und der vierte Fall werden einfach abgeschafft.

Das Passiv, also die grammatikalische Leidensform, wird sowieso verboten. "Die Sitzung wurde abgesagt" (vier Worte) ist verpönt. Künftig muss es heißen "Der Vorsitzende der oberbayerischen Trachtenvereine hat die Sitzung abgesagt." Neun Worte gelten nun als einfache Sprache. Die richtige Sprache leidet.

Deutsch war einmal die Sprache von den Dichtern und von den Denkern. Heute verwenden die Schreiber nicht einmal mehr die Mehrzahl. "Spaß und Abenteuer kam nicht zu kurz", heißt es sogar auf populärwissenschaftlichem Niveau. Das klingt wie "Onkel und Tante ging ins Kino."

Dabei könnte Onkel und Tante auch Fernsehen. Filme wird ja auch im ORF zur "Prime time" gezeigt. Etwa: Ein Krieg zwischen den Menschen und den Affen ist unvermeidbar. Angeführt von Colonel McCullogh erlangen die Menschen die Oberhand. Affe Caesar sinnt auf Rache.

Boshafte Zungen behauptet, dass Caesar sich rächt, indem er jetzt das Hauptabendprogramm des ORF zusammenstellt. Aber das ist ein Gerücht. In Wahrheit macht es immer noch Colonel McCullogh.

Kein Gerücht, sondern aus Fleisch und Blut ist der in den Medien immer häufiger aufscheinende "österreichische Staatsbürger".

Der Bankräuber aus Innsbruck ist in der Berichterstattung ein Tiroler. Die Geisterfahrerin aus Bruck an der Mur ist eine Steirerin. Der Lebensretter aus dem Waldviertel ist ein Niederösterreicher. Aber wer oder was sind dann die jetzt viel zitierten "österreichischen Staatsbürger"?

Würde man das Wort ausschließlich aus seiner Verwendung in den Medien kennen, müsste es sich dabei um Menschen handeln, die unsere Landessprache nicht verstehen, die unseren Staat nicht wollen, die unsere Rechtsordnung nicht wollen, die unsere Werte nicht wollen, die unsere Kultur nicht wollen, die unsere Bildung nicht wollen, die unsere Umgangsformen nicht wollen und die zufällig immer ein Messer mit sich tragen.

Beispielsweise ist ein Mörder mit Migrationshintergrund ein ‒ österreichischer Staatsbürger. Man kann nur aus dem Vornamen Schlüsse ziehen. Und aus dem Vornamen seiner Frau. Und aus deren Vermummung, die gerade noch einen kleinen Fleck Gesicht frei lässt zum Atmen und Schauen.

Genauer gesagt aus der Vermummung seiner gewesenen Frau. Der österreichische Staatsbürger hat sie ja erstochen.

Wenn es in diesem Beitrag auch nicht um Politik geht, sondern um die Sprache, begibt sich der Kommentator mit der korrekten Schilderung eines wahren Ereignisses trotzdem auf gefährliches Terrain. Die Pressefreiheit ist zur sinnentleerten Worthülse verkommen: Die sogenannten "seriösen" Tageszeitungen sehen sie nur gefährdet, wenn etwa ein missliebiger Politiker es wagt, eine ihrer Falschmeldungen zu berichtigen.

Die Wahrheit hat eben wie die gute Sprache heute keine Konjunktur. Welche Zeitung oder Zeitschrift oder welches elektronische Medium steigt auf die Barrikaden, wenn internationale Gerichtshöfe die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zur Hetze erklären?

Und auf österreichischer Staatsbürgerebene? Wenn sie nicht in das politisch korrekte Meinungsdiktat passt, steht die Wahrheit in der Sphäre der Medien und der Gerichte auch bei uns ohnmächtig auf verlorenem Posten.

Auf rasche Besserung ist nicht zu hoffen. Es sei denn, die tägliche Folterung der Wahrheit wird von einer NichtGewähltenOrganisation (NGO) als eine Ursache der Erd-Erhitzung verdächtigt. Dann werden wir uns damit abfinden müssen, dass der ORF täglich vor dem Anbruch einer neuen Eiszeit warnt.

Willi Sauberer, Schüler Hugo Portischs, war ab 1961 Mitarbeiter von Alfons Gorbach, Josef Klaus und Hermann Withalm und von 1971 bis 1994 Chefredakteur einer kleinen Salzburger Tageszeitung. Der konservative Publizist schreibt vorwiegend über gesellschaftspolitische, zeithistorische und lokalgeschichtliche Themen.

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