Das zu Ende gehende Jahr 2019 – es lebe dreimal hoch?
Knapp vor Weihnachten wurden in Leitartikeln die jüngsten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes als Sieg der Zivilgesellschaft bejubelt. Nur ist das so eine Sache mit der Zivilgesellschaft: Niemand kann nämlich sagen, was das genau ist.
Man ist hinsichtlich ihres Auftauchens auf die Medien angewiesen. Man kann allerdings ihre Konjunkturzeiten voraussagen: Die Zivilgesellschaft tritt immer dann epidemisch auf, wenn im Inland oder im Ausland die Linksparteien demokratische Wahlen verlieren. Zum Beispiel 2019. Es ist schließlich kein Zufall, dass ein italienischer Theoretiker des Marxismus diesen Begriff erfunden hat, für den es keine klare Definition gibt.
Leichter lässt sich erklären, was die Zivilgesellschaft nicht ist: Sie ist nicht demokratisch, weil sie sich keiner Wahl stellt, sie besteht vor allem aus lautstarken NGOs, den NichtGewähltenOrganisationen, und sie kommt in der österreichischen Bundesverfassung nicht vor. Dort ist vom Volk die Rede, dem genauen Gegenteil der Zivilgesellschaft, also von jener tumben Masse, über die sich die Zivilgesellschafter erhaben fühlen und diese beherrschen wollen, Demokratie und Verfassung hin oder her.
Die zivilgesellschaftlichen Gedankengänge erinnern an Lenins Verständnis des Begriffs "Partei": Die Partei ist von der Sprachwurzel her ein "Teil" des Volkes, war aber nach Sowjetlehre eben jener, der für den Rest des Volkes denkt und entscheidet, womit die Diktatur der Kommunistischen Partei gerechtfertigt wurde.
Der Kommunismus vegetiert hier in europäischen Landen und jetzt in unserer Zeit nur noch in Nischen. Die Zivilgesellschaft hingegen versucht die leninistische Diktatur per Medien und Justiz auszuüben. Sie ist gerade wieder am Werk.
Wo traf sich und trifft sich in Geschichte und Politik die privilegierte Gesellschaft? Richtig. Bei dem, was sie zur Kultur erklärt. Heute zum Beispiel im Pufftheater an der Wiener Pornoring-Straße. Dieser altehrwürdigen Institution gilt das zweite Hoch. Sie hat lange dazu gebraucht, aber jetzt rückte sie endlich in den kulturellen Rang von Place Pigalle und Reeperbahn auf.
Und übertrumpft sie. Begeilung an Live-Sex gab es in Paris und in Hamburg (und anderswo) schon seit Langem. Jetzt bekam die Pornographie endlich höhere Weihen. Im Gegensatz zur Zivilgesellschaft weiß man nämlich bei der Pornographie sehr wohl, woran man ist. Im Computerzeitalter hilft die Eingabe des Wortes auf Wikipedia:
"Pornografie, auch Pornographie, ist die direkte Darstellung der menschlichen Sexualität oder des Sexualakts ... Dabei werden die Geschlechtsorgane in ihrer Aktivität häufig bewusst betont." Der Konsum von Pornografie könne als Form der "Schaulust" betrachtet werden.
Diese verklemmte Definition christlich-konservativer Abendländer ist natürlich völlig falsch. Die linke Zivilgesellschaft ist daher mit Recht empört, wenn man sie der Pornographie verdächtigt.
Im Pufftheater wird nicht niedrigste Schaulust befriedigt, vielmehr handelt es sich hier um eine geradezu philosophische, auf jeden Fall aber künstlerische Aussage, die in anderer Weise als der Darstellung des Sexualaktes nicht zum gebührenden Ausdruck gebracht werden kann. Und Kunst darf alles.
Kunst darf alles. Wenn ein Regisseur bei jeder Aufführung eines Stückes einen Komparsen köpfen lässt, weil er seine Auffassung nur durch über die Rampe rinnendes frisches Menschenblut deutlich machen kann, soll ja kein unverständiger Banause von Mord sprechen. Kunst darf alles.
Zum dritten Hoch: Die österreichische Zivilgesellschaft hat allen Grund zum Jubeln, nämlich über die konsequente Entwicklung der Rechtsordnung an Demokratie und Verfassung vorbei. Dieser Tage wurde aus Deutschland berichtet, dass dort in den letzten Jahren neun islamistische Terroranschläge mit dem Ziel einer möglichst hohen Anzahl an Todesopfern verhindert wurden.
Wie rückständig doch diese Deutschen sind! In Österreich verhindert der "humane" Datenschutz die Aufdeckung solcher Anschlagspläne. Im Schlepptau dieses zeitgeistigen Fortschritts atmet auch die internationale Kriminalität auf: Das Geschäft mit dem Verbrechen darf nun nicht mehr durch kleinliche Belästigungen seitens der Polizei behindert werden.
Bei diesem Rückblick auf 2019 bleibt einem das in diesen Tagen fällige "Prosit!" im Halse stecken.
Das lateinische Wort "prosit" heißt auf Deutsch: Es nütze.
Wer wird aus dem Jahr 2020 Nutzen ziehen? Die "Zivilgesellschaft" startet aus der Poleposition.
Willi Sauberer, Schüler Hugo Portischs, war ab 1961 Mitarbeiter von Alfons Gorbach, Josef Klaus und Hermann Withalm und von 1971 bis 1994 Chefredakteur einer kleinen Salzburger Tageszeitung. Der konservative Publizist schreibt vorwiegend über gesellschaftspolitische, zeithistorische und lokalgeschichtliche Themen.