In Spanien wurde jetzt zum vierten Mal innerhalb von vier Jahren gewählt, heuer bereits zum zweiten Mal. Die Wahlbeteiligung sank, Randgruppen verdoppelten ihren Wähleranteil. Die Blockade einer Regierungsbildung blieb erhalten.
Droht Österreich die spanische Krankheit? Wird auch Österreich unregierbar? In diesem Herbst wurde nach rund zwei Jahren wieder gewählt. Die Ergebnisse und Auswirkungen waren zumindest teilweise unvorhersehbar. Die überraschendste Folge ist die Aufnahme von Regierungsverhandlungen zwischen der 37-Prozent-ÖVP ‒ als derzeit leider einziger Partei mit ausreichenden Voraussetzungen hinsichtlich Personen, Strukturen und Erfahrung ‒ und den erdrutschartig ins Parlament zurückgekehrten Grünen.
Diese waren zuletzt im Nationalrat gar nicht vertreten. Sie haben noch nie bundespolitische Regierungsverantwortung getragen und sind nicht gerüstet dafür. Sie waren auch auf die Wahl nicht vorbereitet und haben bloß in der Lotterie der Zufälligkeiten einen Haupttreffer gemacht. Denn zwei alteingesessene Parlamentsparteien schossen sich selbst ins Knie.
Sebastian Kurz schien in Gefahr, als perfekt gekleideter Bräutigam ohne Braut im Regen stehen zu bleiben, was bei den Verlierern, zu denen fast alle Medien zählen, fruchtlose Häme ausgelöst hätte.
Denn das sind die aktuellen Fakten: Die NEOS, man mag sie wollen oder aus guten Gründen nicht wollen, haben erwartungsgemäß keine Relevanz erreicht. Die einstige Großpartei SPÖ jubelt, wenn sie in Vorarlberg wieder die Zweistelligkeit verfehlt und von acht auf neun Prozent steigt.
Auf die Lebensdauer einer Rendi-Wagner-SPÖ zu wetten, wäre Selbstverstümmelung. Das Embryo einer Doskozil-SPÖ könnte Geschichte sein, bevor es das Licht der Welt erblickt.
Mit der FPÖ in ihrem Zustand Mitte November 2019 kann eine Mitte-rechts-Koalition im Moment nicht wieder erstehen. Denn welche FPÖ mit welcher Führungspersönlichkeit wäre ein verlässlicher Partner? Die FPÖ Ex-Vizekanzler Straches, der als Person immer noch eine riesige Anhängerschaft hat, aber samt Frau vom Apparat radikal ausgegrenzt wird, ist implodiert.
Also mit der FPÖ Kickls, der als parlamentarischer Klubobmann vielleicht nur auf die nächste Gelegenheit für ein Misstrauensvotum gegen Sebastian Kurz warten würde, wie er es im Sommer gemeinsam mit dem umstrittenen SPÖ-Taktiker Drozda schon einmal erfolgreich praktiziert hat? Könnte man sich auf ein loyales Abstimmungsverhalten der Abgeordneten einer mehrfach geteilten FP-Fraktion im Nationalrat verlassen?
Oder mit der FPÖ Norbert Hofers, der sich noch am Wahlabend aus dem Rennen genommen hat und dessen Rückhalt in seiner Partei täglich schmilzt? Der sich redlich um den Bau von Brücken für Morgen bemüht, deren Pfeiler aber von seinen eigenen Parteifreunden sofort wieder abgegraben werden? Oder mit einer offen angedachten FPÖ Manfred Haimbuchners, der sich für immer mehr Freiheitliche zu einem von Ibiza, Spesen und Liederbüchern unbefleckten Hoffnungsträger mausert? Könnte der oberösterreichische Landeshauptmannstellvertreter die Stabilisierung der Partei bringen nach dem Motto "in Linz beginnts"? Bis sich alle innerparteilichen FP-Fronten geklärt haben, könnte es für eine Regierungsbildung 2019/20 zu spät sein.
Damit fällt erstens die Dolchstoßlegende einer Wählertäuschung durch Sebastian Kurz. Der junge Altkanzler hat einen unbestreitbar klaren Wählerauftrag zur Regierungsbildung bekommen. Ihn zu schelten, weil er die einzige verbliebene Variante prüft, ist politisch und menschlich unzulässig.
Zweitens ist die Theorie einer vorhandenen Wählermehrheit für eine türkis-blaue Wiederauflage ein Wunschgebilde. Es ist schlicht falsch, alle ÖVP-Wähler diesem Lager zuzuordnen. Hier soll nicht darüber spekuliert werden, wie hoch heute der Prozentsatz der Gegner einer solchen Konstellation in der ÖVP ist, aber er ist gewiss nicht unbedeutend. Haben doch bei der September-Wahl türkis-schwarze Kernschichten wegen des türkis-blauen Intermezzos der ÖVP ihre Stimmen verweigert. Andererseits haben viele Alt-Freiheitliche aus der "Lieber-rot-als-schwarz"-Generation die ÖVP auch von 2017 bis 2019 nicht lieben gelernt.
Österreich braucht nach zwei Zwei-Jahres-Provisorien wieder eine längerfristige Perspektive. Österreich muss wieder mehrjährige Projekte durchziehen können. Weltpolitik und Weltwirtschaft richten sich nicht nach heimischen Zögerlichkeiten, sondern erfordern national und international permanente Präsenz.
Ob Werner Kogler und seine frauendominierte Entourage auf bundespolitischem Neuland zu einer konstanten Arbeit fähig und willens sein werden, ist nicht vorhersagbar. In den westlichen Bundesländern hat man mit den Grünen, wenn auch mit einigen Abstrichen, brauchbare Arbeit geleistet. Wien ist anders und durch Fehlbesetzungen wie Herrn Chorherr oder Frau Vassilakou nachhaltig geschädigt. Die Prophezeiung der zwangsläufigen Landung eines türkis-grünen Karrens im politischen Straßengraben ist als Stimmungsmache verdächtig.
Teuflische Spiele werden wieder in den Medien gespielt. Die Journalistenmeute bläst zu einer Parforcejagd auf die beiden Wahlsieger, um durch Zeitdruck deren Verhandlungsspielraum möglichst bis zum Scheitern einzuengen. Es würde ja für die linksgrünen Ideologiebetonnierer hart werden, im medialen Slalom zwischen einem bösen Bundeskanzler Kurz und einem gehätschelten Vizekanzler Kogler nicht zu stürzen.
Für Österreich ist es jedenfalls besser, im Extremfall bis Ostern 2020 eine tragfähige Lösung für fünf Jahre auszuhandeln als bis Weihnachten 2019 ein politisches Müllpaket mit kurzem Ablaufdatum. Und binnen einem Jahr steht Österreich nach spanischem Vorbild vor der nächsten Wahl, aus der dann wieder keine handlungsfähige Regierung hervorgeht.
Willi Sauberer, Schüler Hugo Portischs, war ab 1961 Mitarbeiter von Alfons Gorbach, Josef Klaus und Hermann Withalm und von 1971 bis 1994 Chefredakteur einer kleinen Salzburger Tageszeitung. Der konservative Publizist schreibt vorwiegend über gesellschaftspolitische, zeithistorische und lokalgeschichtliche Themen.