Schon in den frühen 80er Jahren ließ der ukrainische Dissident Alexander Sinowjew, ein Mathematiker und Philosoph, mit folgender These aufhorchen: "Wahrscheinlich wird eine Wende in der Sowjetunion vor allem durch einen Beitrag des KGB zustandekommen. Der Geheimdienst ist die einzige Institution in der UdSSR, welche die volle Wahrheit über den desolaten Zustand der Union kennt. In seinen Reihen arbeiten viele gut ausgebildete Leute. Die aktuelle Situation in den Mitgliedstaaten und die Befehle von einer überalterten und verknöcherten Nomenklatura bewirken in diesen Menschen eine schmerzhafte kognitive Dissonanz, welche zum Umsturz führen wird."
Am 11. März 1985 ereignete sich im Politbüro des Kreml ein völliger Wandel. 20 hochbetagte Mitglieder des höchsten politischen Gremiums der Sowjetunion wählten Michail Sergejewitsch Gorbatschow im zarten Alter von 54 Jahren zum Generalsekretär ihrer Machtgruppierung.
Diese Entscheidung basierte auf einem Irrtum, bzw. auf "Zufall und Notwendigkeit", wenn man so will. Das heißt auf einer Evolution im historischen Geschehen. Um die Machtbasis zu verjüngen, hat der letzte Kremlchef, Juri Andropow, langjähriger Chef des KGB, den Juristen und Kreisleiter der russischen Kaukasus-Region Stawropol, Gorbatschow, 1980 ins Politbüro geholt. Dort ziert eine Unterschrift des Neumitglieds den Mordbefehl an Papst Johannes Paul II. Es gehörte jedoch zu den Usancen dieses Gremiums die Unterschrift Abwesender zu den Protokollen ohne Rückfragen hinzuzufügen.
Gorbatschow hatte als Jusstudent an der Lomonossow-Universität einen interessanten Kommilitonen und Zimmergenossen: Zdenek Mlynar, später, 1968, ein Reformer um Alexander Dubcek und als Vorsitzender des Zentralkomitees der KPC die treibende Kraft im "Prager Frühling". 1988 gewährte er mir für die deutsche Ausgabe der "Prawda" ein längeres Interview.
Es begann mit Prag
Während des Studiums diskutierten die beiden nächtelang eine mögliche Reform des Kommunismus. Mlynar besuchte mit Genossen 1967 erstmals Paris und sagte zu seinen Reisegefährten: "Mein Gott, der Westen ist uns in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung weit voraus. Wir haben an unserem Volk ein Verbrechen begangen."
Gorbatschow war 1970 Kreisleiter der Region nahe dem Kaukasus geworden. Er strebte eine Reform der Landwirtschaft an und war darin erfolgreich. Die Erträge der Kolchosen und Sowchosen stiegen um 30 Prozent. Irgendjemandem in der Partei war dies aufgefallen und man beschuldigte Gorbatschow "kapitalistischer Tendenzen". Man zwang ihn, die Reformen zurückzunehmen. Und das tat er auch unverzüglich ohne den geringsten Protest.
Aber als Kreisvorsitzender einer Region um Rostow am Don hatte der Jungpolitiker eine interessante Aufgabe. In seinem Rayon gab es ein bekanntes Thermalbad: "Mineralnije Wodyj", und dort hatte der Kreisvorsitzende die oftmals anreisenden geriatrischen Politbüromitglieder zu empfangen und zu betreuen. So war auch KGB-Chef Andropow, später Sowjetführer, ein oft gesehener Gast. Dadurch erfuhr Gorbatschow alles über die Interna der Sowjetunion und umgekehrt fragte man ihn, den Jungen, wie dieses Land wieder auf die Beine kommen könnte.
Ein Wüstenkrieg zwingt die UdSSR in die Knie
Die Krise der Wirtschaft gab es in Wahrheit seit dem Umsturz vom 7. November 1917, aber besonders krass wurde es durch ein allgemein übersehenes Phänomen: Als Saddam Hussein 1980 die iranische Provinz Khusistan besetzen wollte, handelte er sich einen achtjährigen grausamen Krieg mit den Ajatollahs ein. Saudi-Arabien, seit jeher ein Konkurrent und Feind Persiens, flutete die Erdölproduktion, um den Preis auf dem Weltmarkt tief nach unten zu drücken.
Das half unbeabsichtigt dem Amerika Ronald Reagans zu einer Hochkonjunktur, traf die Kriegsanstrengung des Iran ins finanzielle Mark und bewirkte als Kollateralschaden einen katastrophalen Einbruch der sowjetischen Wirtschaft. Außer Öl und Gas hatte Moskau der Welt nichts anzubieten. Vielmehr konnte nur durch den Import von Weizen ein Verhungern der russischen Bevölkerung verhindert werden.
Es war also dieser Wüstenkrieg am Persischen Golf, der die Perestroika zum Entgleisen brachte. Als Erich Honecker im Frühjahr 1989 in Moskau um eine Erhöhung der Ölzufuhr aus Sibirien bettelte, stand Gorbatschow mit leeren Händen da.
Vom eisernen Besen zum Weltbeweger
Andropow hatte es mit dem eisernen Besen und einer Rückkehr zu Stalins Härte versucht. Er hatte Grund zu der Annahme, der energische und tatkräftige Gorbatschow wäre der geeignete Mann, diese Politik fortzuführen. Tatsächlich war dann eine der ersten Maßnahmen des Michail Gorbatschow eine Reduzierung des Weinanbaus in Georgien, um den endemischen Alkoholismus der Russen einzuschränken.
Aber offenbar hatten intelligente Mitarbeiter des KGB ein paar wesentliche Kapitel über Michail Gorbatschow vor Andropow unterschlagen, z. B. dessen Freundschaft mit Zdenek Mlynar oder die frühe Reformpolitik in Stawropol. Im Politbüro und manchmal auch vor dem Obersten Sowjet begründete Gorbatschow seine Reformagenda mit Zitaten von Wladimir Iljitsch Lenin, der ja seinerseits 1924 mit einer "Neuen Ökonomischen Politik" den Kollaps der jungen Sowjetunion verhinderte. Im Westen gab es einige, darunter der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl, die im neuen Sowjetherrn einen Wolf im Schafspelz vermuteten, oder ihm gar Goebbelsche Rhetorik unterstellten.
Das Echo im Westen
Kaum im Politbüro, Andropow war gerade verstorben, führte Gorbatschow im Auftrag des neuen Generalsekretärs Konstantin Tschernenko eine sowjetische Delegation nach London und sprach lange mit Margaret Thatcher, einer Kommunistenfresserin. Sie meinte jedoch nach diesem Gespräch: "Mit diesem Mann können wir verhandeln. Er wird sein Land verändern."
Und so geschah es. Die berühmte Losung "Glasnost und Perestroika" wurde schon vier Tage nach Einzug in den Kreml ausgegeben und versetzte das Land in eine optimistische Stimmung. Der Bann auf die Religionen wurde aufgehoben, allenthalben wurden Kirchengebäude renoviert und später auch neue gebaut. In die politischen Entscheidungsprozesse wurden demokratische Elemente eingebaut. Die tödliche Rüstungsspirale gegenüber dem Westen gestoppt.
Die Agenda von Genf
1985 trafen sich Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan in Genf. Der amerikanische Film-Cowboy händigte Gorbatschow folgende Liste aus: Abbau der Mauer in Berlin, Abbau des Stacheldrahts, der Europa trennte, Abzug aus Afghanistan, Beendigung der Präsenz von 400.000 kubanischen Truppen und deren sowjetischen Beratern in Angola, Mozambique und Äthiopien, ein Ende der Unterstützung der palästinensischen Terrororganisation PLO.
Die Welt fand dies unerhört, wie konnte der US-Präsident so etwas von seinem sowjetischen Gesprächspartner fordern! Historisches Faktum ist jedenfalls, dass diese Liste bis 1989 von Gorbatschow erfüllt wurde. Und der KGB hat bei all dem mitgespielt.
Eine Welt ohne Atomwaffen
1986 trafen sich Reagan und Gorbatschow auf Island, in Rejkjavik. Es ging um die atomare Abrüstung. Erstaunlicherweise waren beide Seiten bereit, bis 1999 alle Atomwaffen abzurüsten. Aber die Sowjets forderten eine Beendigung des amerikanischen Programms zur Abwehr von Interkontinentalraketen. Dazu war Reagan dann doch nicht bereit.
Noch härterer Widerstand kam von der britischen Premierministerin. Sie hielt eine totale Atomabrüstung für Utopie und schon gar nicht bis 1999 für möglich. Ein Jahr später einigten sich Reagan und Gorbatschow in Washington D.C. zumindest auf die Eliminierung der Mittelstreckenraketen in Europa. SDI – Die Strategische Verteidigungsinitiative, vulgo "Sternenkrieg" – wurde zurückgefahren.
Immerhin entsprangen daraus jene Abwehrraketen, die Israel 1991 im Golfkrieg gegen irakische Scudraketen schützten. Heute tut dies mit noch größerem Erfolg das Abwehrsystem "Iron Dome" gegen Raketenbeschuss von Terrororganisationen aus dem Libanon und dem Gazastreifen. Ende Mai 1988 war Ronald Reagan Gast in Moskau, dann im Dezember Gorbatschow zu Besuch in New York. Mit dem SALT II-Abkommen wurden die Interkontinentalraketen auf hohem Niveau beschränkt.
Der Riss im Eisernen Vorhang
1989 zeigte sich die Dramatik der Wende in Europa zuerst in Ungarn durch einen Abbau des Eisernen Vorhangs. Freilich wartete man vorerst auf ein Signal des großen Bruders in Moskau. Als Premier Miklós Nemeth in Moskau vorstellig wurde, konfrontierte er den Reformer im Kreml mit seiner Absicht, den Eisernen Vorhang an der Grenze zu Österreich abzubauen. Der sagte nur: "Das ist eine Entscheidung Ungarns. Wir werden uns da nicht einmischen". Nemeth besuchte daraufhin Helmut Kohl im Bonner "Kanzlerbunker".
Der Deutsche war vom ungarischen Plan gerührt, telefonierte aber trotzdem noch mit Gorbatschow. Auf die Frage, ob es wahr sei, dass die UdSSR einem Abbau des Stacheldrahts nicht entgegenstehen werde, schwieg der Russe ein paar Sekunden, dann sagte er "Nemeth ist ein sehr guter Mann" und legte auf.
Nemeths Vater war auf der Seite des antikommunistischen Aufstands vom Oktober 1956 gestanden, die Familie hatte unter Janos Kadar darunter zu leiden. Mit 20 beschloss Miklós der KP beizutreten, weil er Karriere machen wollte. Als Premier ließ er 1988 den Helden von 1956, Imre Nagy, aus einem Niemandsgrab ins Zentrum von Budapest umbetten.
Das Bukarester Komplott
In Polen gab es schon die Einrichtung eines "Runden Tisches" mit der Solidarnosc, und schließlich am 9. November die Öffnung der Berliner Mauer. Noch bevor es dazu kam, versuchten die Reaktionäre des Ostblocks um Erich Honecker, Vasil Bilak, Nicolae Ceausescu und dem Russen Jegor Ligatschow (Erster Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU) im Juli den Pfeil der Geschichte umzudrehen. Gorbatschow sollte bei einer Konferenz des Warschauer Paktes in Bukarest entmachtet, vielleicht sogar getötet werden.
Es waren Elemente des KGB, die davon Wind bekommen hatten und das Manöver entgleisen ließen. Honecker war so betroffen, dass er mit Magenblutungen heimgeflogen werden musste. Davon kaum erholt, hatte er Demonstrationen in Dresden und Leipzig zu gewärtigen und Gorbatschow bei der Feier zum 40. Geburtstag der DDR in Berlin die Wangen zu küssen. Mittendrin der KGB-Resident Wladimir Putin, der aufmerksam die Rufe der Massen hörte: "Wir sind das Volk".
Ein Jahr später diente er als Rechte Hand dem liberalen Leningrader Bürgermeister Anatoli Sobtschak und stellte sich als Taufpate von dessen Tochter Xenia zur Verfügung. Er organisierte jene Volksabstimmung, die der 4-Millionenstadt an der Newa den alten Namen "St. Petersburg" zurückgab. Ein Jahr später wurde er Chef der Geheimdienste, dann, 1999 Premierminister und 2000 Präsident der Russischen Föderation.
Die Einkreisung
Immer noch wissen viele nicht, dass in den vier Tagen nach Öffnung der Mauer unter Verteidigungsminister Heinz Keßler 70.000 Mann der Volksarmee NVA zusammengezogen wurden, um Berlin abzuschnüren und zu besetzen. In den Memoiren dieses Herren liest sich das dann so, als wäre er es gewesen, der die Welt vor einem Atomkrieg durch Befehlsverweigerung gegenüber Egon Krenz gerettet hätte. Krenz erinnerte sich umgekehrt: Er hätte den Wahnsinnsvorschlag von Keßler vereitelt. In Wahrheit war es so: Schon bei Beginn der Montagsdemonstrationen hat der KGB die DDR-Kreisleiter in persönlichen Gesprächen gewarnt: "Und wenn sie euch heute hängen, unsere Truppen werden keinen Finger rühren".
Der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse freilich präzisierte den Demonstranten gegenüber: "Wenn heute auch nur ein einziger sowjetischer Soldat zu Schaden kommt, können wir die Rote Armee nicht mehr im Zaume halten".
Die Wende in Deutschland war ein Wunder
Keßler starb 2017 in Berlin mit 97. Er hatte in der hochdotierten Pension das Buch geschrieben: "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben." Das hatte im August 1961 auch John F. Kennedy so gesehen, als sich am Checkpoint Charly amerikanische und sowjetische Panzer bis auf wenige Meter gegenüberstanden.
Keßler wurde 1991 wegen der Mauertoten zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, die er fast zur Gänze absaß. Er entstammte einer kommunistischen Familie und war 1940 zur Wehrmacht eingezogen worden. Dort musste er im Juni 1941 an Hitlers Überfall auf die Sowjetunion teilnehmen. Bald jedoch konnte er die Seiten wechseln und überlebte den Zweiten Weltkrieg in Moskau an der Seite von Walter Ulbricht und Herbert Wehner im "Hotel LUX". Die Verurteilung erfolgte nicht nach westdeutschem Recht, sondern auf Basis der KSZE-Akte von Helsinki 1975, die Erich Honnecker unterschrieben hatte.
Die Dominos fallen um
Unmittelbar auf den Fall der Berliner Mauer folgte der Aufstieg des Literaten und langjährigen Häftlings Vaclav Havels auf die Prager Burg und hier durfte der KGB eine merkwürdige Rolle spielen. Noch während die Massen am Wenzelsplatz und auf dem Letna-Feld gegen die kommunistischen Apparatschiks demonstrierten, verbreiteten KGB-Agenten das Gerücht, ein Student sei erschossen worden. Was die Demonstranten erst recht anspornte.
Gorbatschow hatte die Macht und der machtgewohnte KGB folgte auf dem Fuße. Es sieht so aus, dass man sich für den Versuch, Gorbatschow in Bukarest zu beseitigen, revanchieren wollte. Nach Hinweisen aus verschiedenen Quellen gab es auch im KGB reformorientierte Kräfte, die sich jetzt im globalen Spiel einbrachten.
Das zeigte sich dann beim nächsten Zug auf dem Schachbrett. Während die kommunistische Macht in der DDR und CSSR kollabierte, brach zusätzlich ein Aufstand in Rumänien los. Diktator Nicolae Ceausescu hatte versucht, eine überbordende Auslandsschuld durch extreme Sparmaßnahmen zu tilgen und begann gleichzeitig alte Stadtviertel für den bombastischen Neubau eines Regierungspalastes plattzuwalzen. Und er, der 1968 noch für Dubcek Partei ergriffen hatte, koalierte nun mit den Fossilien eines stalinistischen Herrschaftssystems.
Lazlo Tökesz, ein ungarischstämmiger, lutheranischer Priester, begann mit zunehmendem Erfolg in dieser Lage für mehr demokratische Rechte zu demonstrieren und für Autonomie der Volksgruppen Ungarn, Zigeuner und Siebenbürger Sachsen. Bei einer Rede in Bukarest auf einem Regierungsgebäude vor herbeigekarrten Parteijublern musste Ceausescu plötzlich innehalten, denn unten auf dem Platz begann das Volk zu murren, dann zu schreien, schließlich die Stiegen zu ihm hochzujagen. Ein herbeigeeilter Securitate-Hubschrauber nahm den Diktator auf und dann hörte man eine Zeit lang nichts mehr von ihm.
Aber schon am nächsten Tag tauchten während einer TV-Sendung Soldaten auf, übernahmen das Studio und erklärten sich als Vertreter eines "Komitees zur Rettung der Nation". General Ion Iliescu ergriff die Zügel. Er kam aus dem Nichts. Wochen zuvor war er noch bei einem Kurs an der Moskauer Frunse-Militärakademie gewesen. Im Land ging es drunter und drüber. Ein Femegericht verurteilte den Diktator und seine Frau, eine Militäreinheit erschoss die beiden vor einer Betonmauer. Im Land Hunger und Mangel an allem überall. Securitate-Helikopter schossen auf Armee und Demonstranten.
In dieser Situation telefonierte Gorbatschow mit dem US-Präsidenten George H.W. Bush. In der Folge flogen sowjetische Antonow-Tranporter in die Türkei, luden dort auf Nato-Stützpunkten Sidewinder-Raketen ein und brachten sie zur Armee nach Rumänien. Damit wurden dann die Securitate Kampfhubschrauber einer nach dem anderen abgeschossen. So erzählt im kleinen Kreis bei ÖVP-Wien-Chef Dr. Wolfgang Petrik vom damaligen österreichischen Verteidigungsminister Dr. Robert Lichal.
Aus ganz Europa strömten Hilfskonvois heran. Allein die Wiener Volkspartei unter Petrik und Zeitz organisierte 22 Konvois. Ich selber war mit dem dritten Konvoi zu Weihnachten 1989 im winterlichen, aufständischen Rumänien unterwegs. Der erste Konvoi mit dem Arzt Dr. Csaaky war bei Arad noch unter Beschuss geraten.
Der Putsch, der dreimal kam
So viel zur Interaktion von KGB und Sowjetarmee mit der Freiheitsbewegung im Ostbock. Albanien und Bulgarien kippten ohne Blutvergießen kurz darauf ebenfalls um. Der Kommunismus war bis auf Kuba und Nordkorea hinweggefegt.
Nach einer Gipfelkonferenz in Helsinki am 9. September 1990 von Gorbatschow und George Bush dem Älteren zur Besiegelung der deutschen Wiedervereinigung (2+4-Vertrag) gab es auffällige Militärmanöver in Moskau. 100.000 Mann waren zur "Kartoffelernte" rund um Moskau einberufen worden. Ein russischer Offizier schrie daraufhin Alarm und enthüllte den Plan zur Absetzung von Gorbatschow, Alexander Jakowlew und anderen Reformern.
Statt seine Kontrahenten zu verhaften, reagierte Gorbatschow merkwürdig gelähmt. Er hoffte darauf, dass deutsche Zahlungen den Apparat beruhigen würden. Jetzt brach zu allem Überfluss noch der Golfkrieg los. Bush hatte 250.000 US-Soldaten und 100.000 Alliierte mit UN-Mandat zur Rückeroberung von Kuwait in Saudi-Arabien aufmarschieren lassen. Um 5.00 Uhr früh tauchte der Stellvertretende Oberkommandierende der sowjetischen Streikräfte, Igor Warennikow, in der Moskauer US-Botschaft auf, um Bush zu warnen: "Wenn ihr Saddam Hussein entmachtet, stürzen wir Gorbatschow." Punkt.
Doch zunächst waren die sowjetischen Militärs am 13. Jänner mit einer Eroberung des Fernsehsenders von Vilnius, Litauen, beschäftigt. Zugleich gab es Aufstände in Georgien, Aserbeidschan und Moldawien.
Am 11. Juni 1991 wurde Boris Jelzin in einer ersten demokratischen Wahl Russlands zum Präsidenten der RSFSR gewählt. Als im August darauf KGB, Partei und Armee doch noch gegen Gorbatschow putschten, brach die Sowjetunion wie ein Kartenhaus zusammen. Michail Gorbatschow hatte es nicht geschafft, wirksame Wirtschaftsreformen umzusetzen. Der Widerstand im Apparat war zu groß und er selber verstand nicht, dass nun schnelle Maßnahmen das Gebot der Stunde waren. Er redete nach wie vor von einem Gelingen des Kommunismus, obwohl der Bevölkerung längst klar war, dass das ganze System verrottet und reformunfähig war.
In dieser Stunde punktete Boris Jelzin mit einer klaren Sprache und logischen Absichten. Gorbatschow verlor die Unterstützung im Volk und damit auch die Bereitschaft der Reformkräfte im KGB, sich zu engagieren.
China erwacht
In China hatte sich 1976 nach dem Tod Mao Tse-Tungs der Reformer Deng Hsiao-Ping durchgesetzt. Der gelbe Riese setzte nun wahrhaft zum großen Tigersprung an. Investoren aus Hongkong, Malaysia, Singapur, Taiwan, Südkorea, Japan und Kalifornien fluteten das Land mit Kapital und Knowhow. Heute regiert die KPCh nach wie vor kommunistisch dem Namen nach, in der Substanz aber rein marktwirtschaftlich. Bald folgten auf diesem Weg auch Vietnam, Laos und Kambodscha. Ironischerweise haben damit die USA nun ganz ohne Militär den Vietnamkrieg doch noch gewonnen.
Putins Russland
Das neue Russland war in der Wirtschaftsreform langsamer, und wieder regierte ein KGB-Agent das Land. Die Wirtschaft wurde endlich reformiert – sogar eine Flat-Tax mit 13 Prozent eingeführt – und Wladimir Putin durfte vor dem Wirtschaftsforum in Davos den Westlern erklären, wie Marktwirtschaft funktioniert. Die Russisch-Orthodoxe Kirche wurde vollkommen restituiert, Religionsunterricht bis in die Volkschule staatlich verordnet. Macht und Religion haben in der Lateinischen Kirche oft zusammengespielt, in Russland war dieses Verhältnis seit jeher eng verzahnt. Der große russische Strom ist mit der Wende in sein altes Flussbett zurückgekehrt.
Die noch schwache Demokratie freilich wurde rückgebaut, die Verbreitung von Fake News und Internetattacken hat man Troll-Häusern anvertraut und es gelang, Hillary Clinton aus dem Rennen um die US-Präsidentschaft zu werfen und Großbritannien aus der EU zu kippen. Und als das Blutregime in Syrien in die Knie zu gehen drohte, schickte Putin Flugzeuge, Panzer und Spezialkräfte. So etwas hätte sich der alte KGB nicht so leicht getraut.
Was zusätzlich kam, sind Wahlfälschungen auf dem laufenden Band, Morde an Journalisten, an gegnerischen Politikern im eigenen Land und mit hochgefährlichen Giften an abtrünnigen Geheimdienstlern im Ausland, speziell in London. Aggressive Provokationen von amerikanischen Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen im Schwarzen Meer, im Ärmelkanal und über den Nordpol hinweg wurden zur Norm.
Anders als unter dem Kommunismus sind diesmal in Russland keine nennenswerten demokratischen Kräfte auszumachen – weder im politischen System, noch in den Sicherheitskräften. Die Einverleibung der Krim und Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine stoßen in der russischen Bevölkerung auf breite Zustimmung – So wie in Österreich 1938 der "Anschluss" an Deutschland von vielen Adolf Hitler hoch angerechnet wurde.
Paul Fischer ist langjähriger Redakteur, er hat mehrere Bücher geschrieben und ist Mitglied im Vorstand des Wiener Akademikerbundes.