Die professionellen Voraussagen für die Wahl 2019 waren tendenziell gar nicht so schlecht. Und trotzdem überraschte das Endergebnis.
Sehen wir von statistischen Spielereien wie dem größten Vorsprung der stärksten Partei vor der zweitstärksten in der Geschichte der Republik Österreich einmal ab – das Ausmaß des Absturzes von SPÖ und FPÖ hat niemand vorausgesehen. Und dass die Gewinner ÖVP und Grüne eine ausreichende Mehrheit für eine Regierungsbildung bekommen würden, auch nicht.
Dass zwei traditionelle Parteien Stimmen und Chancen in so hemmungsloser Weise verschenken würden, war selbst für jahrzehntelanger Beobachter der politischen Szene nicht zu ahnen.
Die SPÖ verschleuderte in völlig unbegreiflicher Weise die gegebenen Möglichkeiten, im Gegensatz zu internationalen Trends und innerösterreichischen Entwicklungen ihren Weg in die nationale und regionale Bedeutungslosigkeit zu stoppen. Sich wie in den Nachkriegsjahrzehnten als verantwortungsvolle und staatstragende Partei zu profilieren, um als realistische Alternative für eine Regierungsbeteiligung gelten zu können, wurde von der politisch ebenso ahnungslosen wie unbegabten und in ihren Auftritten abschreckenden Vorsitzenden Rendi-Wagner und ihrem Mentor Drozda gar nicht versucht.
Der SPÖ-Wahlkampf war einerseits von Fieberphantasien wie die Erreichung des ersten Platzes, andererseits von gehässigen und untergriffigen Attacken gegen den potenziellen Partner geprägt. Er erstickte alle theoretisch denkbaren Annäherungen im Keim. Drozda, der schon in Christian Kerns Silberstein-Ära eine undurchsichtige Rolle gespielt hatte, ritt nun zum zweiten Mal eine Parteispitze in den Sumpf. Frau Rendi-Wagner drohte noch am Wahlabend ihrer Partei, den Weg weitergehen zu wollen, der am Sonntag zum schlechtesten Wahlergebnis aller Zeiten geführt hat ...
Die SPÖ vertrieb ganze Wählermassen zu den Grünen, die ihr Glück am Wahlabend noch gar nicht fassen konnten. Wer diese Diagnose für übertrieben hält, möge die Detailergebnisse ansehen: in Bundesländern, in denen die SPÖ Richtung Wahrnehmungsgrenze sank, in Bezirken, in denen sie sogar unter den schwer geschlagenen Freiheitlichen landete, in jahrzehntelang "roten" Städten, in denen sie gerade noch die Hälfte des ÖVP-Wähleranteils erreichte.
Perfektioniert hat die Wählervertreibung die FPÖ. Der erste Fehler der rotblauen Achse Drozda-Kickl war trotz Appell van der Bellens die Absetzung der Übergangsregierung Kurz. Endgültig zur Demontage der FPÖ wurde Kickls Unterwerfung unter Drozdas Strategie in der Frage des Wahltages. Vielleicht findet sich ein zorniger Mandatar, der die Medienaufmacher, Titelzeilen und Kommentare der zwei Wochen zwischen 15. und 29. September ausschneidet, aufklebt und Herrn Kickl zu Weihnachten schenkt.
Man kann zugegeben nur raten, wie die Nationalratswahl zwei Wochen früher ausgegangen wäre. Kann sein, dass auch die Nebelgranaten aus dem Untergrund früher gezündet worden wären – ihre Wirkung wäre schon wegen der kürzeren Zeit wohl weniger verheerend gewesen. So aber verschenkte Kickl mit seinem Wahltagspoker jede Menge Stammwählerstimmen.
Was bleibt? Sind der triumphale Wahlsieger Sebastian Kurz und seine ÖVP nun der Erpressung durch eine einzige Partei ausgeliefert, die bereits angedeutet hat, dass der grüne Schwanz mit dem türkisen Hund zu wackeln gedenkt?
Langsam. Man sollte Alternativen nicht gleich ausschließen. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass die Erschütterungen des 29. Septembers an SPÖ und FPÖ spurlos vorüber gehen werden. Und es wäre dem Wahlsieger, vor allem aber Österreich zu wünschen, dass sich dank neuer personeller Konstellationen unter Umständen wieder ein breiteres Spektrum für die Bildung einer endlich fünf Jahre arbeitenden Regierung anbietet.