Wirklich Überraschendes hat der Wahlausgang eigentlich nicht zu bieten: Aus Altkanzler wird Neukanzler, aus der Spitzenkandidatin der Sozialdemokratie eine Konkursverwalterin, und von den Freiheitlichen bleibt nicht allzu viel übrig. Die Neos sind wieder einmal kleinste Partei. Die Grünen wurden recycelt. Die große Pointe blieb aber aus.
Geschichte wiederholt sich nicht – so sagt man. Und dennoch hat man den Eindruck, manches schon einmal erlebt zu haben: Sebastian Kurz feiert einen Wahlsieg, der es in die Geschichtsbücher schafft, und zwar mit dem historisch größten Abstand zum Zweitplatzierten. Der ehemalige blaue Koalitionspartner bricht in sich zusammen und sucht nach seinen Einzelteilen. Dafür flirtet die Ökopartei mit Kurz und hat den türkis-grünen Traum vor Augen. Ein politisches Experiment mit internationalem Vorbildcharakter, dessen Charme Konservative wie Linke gleichermaßen erliegen. Nur diesmal, im zweiten Anlauf nach 2003, könnte man das Projekt tatsächlich zu einem guten Ende bringen.
Eine andere Geschichte, nämlich die der Sozialdemokratie, wiederholt sich verlässlich immer wieder, quasi in der Dauerschleife. Ignoriert man Christian Kerns Stagnationsergebnis von 2017, zeigt die SPÖ eine außerordentliche Konstanz nach unten. Man hat sich mit dem Minus arrangiert und lässt sich seit damals auch nicht mehr von diesem Weg abbringen. Von daher kommt auch diese Wahlniederlage nicht aus heiterem Himmel. Alle haben damit gerechnet, nur die SPÖ selbst zeigt sich irgendwie irritiert, auf jeden Fall überrascht. Anders lässt sich die Reaktion der Spitzenkandidatin nach den ersten Hochrechnungen nur schwer deuten. Man habe die richtigen Themen gesetzt, die Rahmenbedingungen seien schwierig gewesen, die Richtung stimme. Der unbedarfte Zuhörer war im ersten Augenblick geneigt zu glauben Rendi-Wagner bedanke sich artig für ihren Wahlsieg. Es bleibt unklar, ob diese Slapstick-Einlage aus einer überfallsartig wahrgenommenen Konfrontation mit der Wirklichkeit resultierte oder die parteiimmanente Selbsttäuschung mittlerweile schon Programm ist.
Es ist eine Sache, die Steilvorlagen, die sich seit den Ibiza-Sequenzen dargeboten haben, nicht zu verwerten. Diese Elfmeter ohne Torwart aber ins eigene Tor zu schießen verlangt einiges an Orientierungslosigkeit ab. Man erkennt die vielen Leiden der SPÖ unter anderem auch daran, dass den Berichterstattern langsam die Steigerungsbegriffe und Superlative ausgehen. Von A wie Aderlass, B wie Bankrott und C wie Crash bis hin zum Debakel, Desaster und Fiasko war schon alles dabei. Aber so langsam gelangen die Schreiber an ihre Kreativitätsgrenzen, wenn es darum geht, den Zustand der Sozialdemokratie zu schildern.
Selbst SPÖ-affine Wahlkampfbeobachter und Meinungsmacher sind sich einig, dass Rendi-Wagners Lächeln kaum über ihre politische Unerfahrenheit, sowohl im Auftritt als auch im strategischen Verhalten, hinwegtäuschen konnte. Bis zum Wahltag vermochte sie nicht ihren Platz an der SPÖ-Spitze auszufüllen. Zu eher wenig Entlastung hat die vom Gewerkschafter Muchitsch in den Wahlkampf eingeworfene Meldung beigetragen, die Neuverhandlung des Zwölfstundentages sei Koalitionsbedingung. Ebenso verzichtbar waren für Rendi-Wagner die regelmäßig von der Burgenland-Tirol-Achse gesetzten verbalen Stiche gegen die eigene Chefin. Das etwas verwackelte Duo Drozda-Leichtfried mitsamt dem aufgewärmten Wahlkampfleiter Christian Deutsch haben wahrscheinlich auch nur begrenzt für Stimmung und Mobilisierung gesorgt.
Am Ende des Wahltages bleibt die Erkenntnis, dass den Job von Rendi-Wagner so schnell niemand freiwillig übernehmen wird: In den meisten Bundesländern ist die SPÖ nicht mehr existent, im Burgenland hat sie kurz vor der Landtagswahl Platz eins verspielt, sogar das rote Wien wackelt nun.
Mag. Jürgen Pock ist Kommunikationsexperte und Polit-Blogger.