Jeden Morgen lächelt mich Joy Pamela Rendi-Wagner an. Immer wenn ich außer Haus gehe. Direkt vor meinem Haustor am Gehsteig steht ein Dreiecksständer mit drei SPÖ-Plakaten. Das Joy-Pamela-Sujet frontal auf das Haus gerichtet.
Die SPÖ-Chefin begrüßt mich jeden Morgen mit ihrem Slogan: "Menschlichkeit siegt", wobei das M wie ein Herz geformt ist. Auf Einhörner und Regenbögen hat das SPÖ-Wahlkampf-Team verzichtet. Gepasst hätte es.
Auf dem Plakat daneben ist Doris Bures abgebildet. Auch sie ist der Meinung, dass Menschlichkeit siegt. Außerdem wirbt sie mit: "Gemeinsam unsere Zukunft gestalten". Das ist einmal eine konkrete Ansage, eine Botschaft mit Tiefgang. Wobei, so gemeinsam wieder auch nicht. Mit FPÖ, Kapitalisten, Rechtspopulisten, Neoliberalen und sonstigen alten weißen Männern lieber doch nicht. Die sind schließlich pfui. Hat diesen Spruch ein PR-Praktikant ersonnen? Irgendwas mit Brückenbauen, Vielfalt und Gerechtigkeit vermisse ich auf den Plakaten. Kommt vermutlich in der zweiten Welle.
Auch Joy Pamela hat neben der Menschlichkeit noch eine zweite Botschaft: "Nur gemeinsam schaffen wir’s aus der Klimakrise," Das find ich großartig: Frau Rendi-Wagner schafft es nicht aus der SPÖ-Krise, aber das Weltklima rettet sie quasi mit links.
Was wollen uns Joy und Doris mit ihrem Menschlichkeit-siegt-Slogan eigentlich sagen? Vermutlich, dass sie und die SPÖ menschlich sind. Im Gegensatz zu ihren politischen Mitbewerbern ÖVP und FPÖ. Die sind folglich unmenschlich. Ist es tatsächlich menschlich, seinen politischen Gegner aus wahltaktischen Gründen Unmenschlichkeit zu unterstellen? Während ich mir das überlege, laufe ich fast in den nächsten Dreiecksständer. Der steht nur wenige Meter neben der SPÖ und ist aus Holz. Darauf steht: "Wen würde der Anstand wählen?"
Ahhh, derselbe Schmäh wie bei Rendi. Die SPÖ ist menschlich, die Grünen anständig. Hat man das aufeinander abgestimmt? Und erneut stelle ich mir die Frage, ob es anständig ist, seinen Konkurrenten Unanständigkeit zu unterstellen. Ganz abgesehen davon: Wie anständig sind die Grünen? Der rote Sumpf in Wien ist durch die Regierungsbeteiligung der Grünen nicht ausgetrocknet, sondern noch tiefer und teurer geworden. Ich frage mich: Wen würde Karl Marx wählen?
Die Grünen wollen hingegen auf einem anderen Sujet wissen: "Wen würde das Klima wählen?" Vermutlich eine technikaffine Partei, die neben Atomkraft auf neue Technologien und nicht auf 4000 Jahre alte Windmühlen oder Lastenfahrräder setzt. Naja, zumindest ist die Nase vom Kogler gut geschminkt.
Okay, Wahlslogans sind in der Regel nie sonderlich intelligent oder tiefsinnig. Aber so selbstgefällig und gleichzeitig inhaltsleer, ideen- und konzeptlos waren sie noch nie. Soll man die Roten und die Grünen wählen, weil sie angeblich anständig und menschlich sind? Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit? Taxiunternehmen werben ja auch nicht damit, dass ihre Fahrer einen Führerschein haben. Hat man tatsächlich nicht mehr zu bieten?
Abgesehen von teuren und gefährliche Wahlzuckerln. 1.700 Euro steuerfreien Mindestlohn zu fordern – warum eigentlich nicht gleich 3.000? – mag zwar menschlich sein, ist aber unheimlich dumm. Die Folgen für Kleinverdiener wären katastrophal. Und anstatt das Klima und den ganzen Planeten zu retten, könnten sich Werner Kogler und Rendi-Wagner ausnahmsweise auch einmal um die echten Probleme und Ängste der Österreicher kümmern. Ein frommer Wunsch.
Einen Vorteil hat der aktuelle Wahlkampf: Er dauert nicht mehr lange. Nur noch vier Wochen lang wird mich Rendi-Wagner jeden Morgen begrüßen.
Werner Reichel ist Autor und Journalist. Sein neues Buch "Der deutsche Willkommenswahn – Eine Chronik in kommentierten Zitaten 2015-2016" ist soeben bei Frank&Frei erschienen.