Warum jetzt Schwarz-Rot kommt: eine Prognose

Wird Sebastian Kurz allen Querelen zum Trotz nochmals mit der FPÖ eine Koalition bilden, oder gibt es nach der Wahl Türkis-(Pink)-Grün? So lautete auch hier im "Tagebuch" die sich der ÖVP im Falle eines Wahlsiegs stellende Alternative. Tatsächlich legen jedoch viele Gründe eine Koalition der ÖVP mit der SPÖ als eine sehr wahrscheinliche Option nahe. Der Hauptgrund lautet: Der "tiefe Staat" will es so. Und Sebastian Kurz hat sich mit der unnötigen Aufkündigung einer erfolgreichen Regierungskoalition als dessen treuer Knecht erwiesen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob Sebastian Kurz etwa vom Bundespräsidenten, unter Druck gesetzt wurde, der FPÖ eine für sie unerfüllbare Bedingung zu stellen, ob "Ibiza" also der erhoffte Anlass für einen Putsch von "außen" war, oder ob Kurz dem "tiefen Staat" aus innerster Seele selbst angehört und aus eigener Initiative gehandelt hat. Für das Letztere spricht, dass Kurz bereits mit dem Bekanntwerden der "Identitärenspende" den Tonfall gewechselt hat und begonnen hat, die FPÖ vorzuführen. Das Resultat, nämlich der Sieg des "tiefen Staates", ist in beiden Szenarien das gleiche.

Der "tiefe Staat" hat denn auch sofort nach dem Auszug der FPÖ-Minister die Macht übernommen – mit einem Ex-OGH-Präsidenten Eckart Ratz, mit der Ex-VfGH-Präsidentin Bierlein und einem Justizminister Jabloner, die allesamt aus den Machtzentren einer um die Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 und das Verbotsgesetz kreisenden Rechtsauslegung der Zweiten Republik stammen. Zu diesem Selbstverständnis gehört es integral, eine nationalliberale Partei wie die FPÖ lediglich zu dulden, bzw. dulden zu müssen, um nicht westliche Grundrechtsnormen zu unterlaufen. Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ aber darf hier nur die Ausnahme von der Regel sein.

Die Regel ist demnach die "Große Koalition". Sie verkörpert die Gründungsideologie der Zweiten Republik, die in der Lagerstraße von Dachau ihren symbolischen Kern hat: Versöhnung der verfeindeten Lager der Ersten Republik auf Kosten des "Dritten Lagers", dem man alleinig den Terror des Nationalsozialismus anhängt. Warum sollte es da so kurz nach dem im Mai erfolgten Machtwechsel schon wieder einen Machtwechsel geben, der die FPÖ zurück in die Regierung bringt?

Aber wieso nicht diesmal mit Grün und Pink? Sollten Grün und Pink nach der Wahl ernsthaft als Koalitionspartner im Raum stehen, wird dies gewiss auf Widerspruch innerhalb der ÖVP stoßen: Beide Parteien sind regierungsunerfahren. Türkis-Pink alleine geht sich sowieso nicht aus, und Grün wird sowohl dem Wirtschaftsflügel als auch dem katholisch-österreichisch "tickenden" Segment (für das eine deutschnationale Partei ein No-go ist) am Ende doch zu radikal sein. Dann also die SPÖ.

Die SPÖ hat keinen Grund, eine Regierungszusammenarbeit zu verweigern. Sie sieht sich traditionell als Regierungspartei und wäre froh, wieder an der Macht zu sein. Sie weiß genau, dass sie in ihrer Vorsitzenden, mit deren bisheriger Selbstpräsentation, (noch) keine Kanzlerin und gegen den Strahlemann und Vorzeige-Schwiegersohn Kurz keine Chance hat. Und vor allem: Sie hat kein erkennbares Programm, das einer Koalition mit der ÖVP im Wege stehen könnte. Ganz im Gegensatz zur FPÖ und den Grünen.

Dass die SPÖ kein "kantiges" Programm vorzuweisen hat, ist auch ihren inneren Flügelkämpfen geschuldet. Diese könnten nach einem verhaltenen Wahlergebnis mit einer längerdauernden Oppositionsphase offen aufbrechen, wogegen sie unter der Ägide einer großkoalitionären Kompromisskultur weiterhin unter der Decke gehalten bleiben können. Keiner dieser Flügel würde sich Kurz widersetzen: Mit einem Kanzler, der offenbar auch mit den Grünen "kann", kann auch der "Bobo-Flügel" der SPÖ. Der Gewerkschaftsflügel frohlockt, einmal in der Regierung alles wieder blockieren zu können, und der migrationskritische "rechte" Flügel – ja warum sollte der mit Kurz nicht können?

Zugegeben: So, wie die Wahlauseinandersetzung bislang inszeniert und ausgelegt wird, scheint Türkis-Rot (oder ehrlicher: Schwarz-Rot) keine ernsthafte Option zu sein. Nur der steirische Landeshauptmann Schützenhöfer hat sich jüngst für diese Variante ausgesprochen – und wurde prompt von einem seiner Landesräte kritisiert. Klar: Die Kurz-ÖVP wäre schlecht beraten, im für sie so gut laufenden Wahlkampf eine unpopuläre "Große Koalition" ins Spiel zu bringen.

Schon die Polarität des Spannungsfeldes "Türkis-Blau" versus "Türkis-(Pink)-Grün" sichert Sebastian Kurz bis zur Wahl jene fortwährende mediale Aufmerksamkeit, die er braucht, um keinen Mitbewerber auf Augenhöhe treten zu lassen. Alle Welt blickt auf Kurz: Für welche Richtung entscheidet er sich in der Position seiner einsamen Spitze? Geht er wieder nach rechts, oder geht er jetzt nach links? Rein von dieser Logik medialer Präsenz her darf eine Koalition mit der derzeit farblosen SPÖ jetzt keine Option sein.

Natürlich wird Kurz auch nach der Wahl zunächst mit der FPÖ und den Grünen (in welcher Reihenfolge auch immer – vermutlich zuerst mit Blau) lange und ausgiebig verhandeln. Wie es nun einmal so ist, können Verhandlungen auch bei noch so großem Bemühen um das Beste für Österreich – leider, leider – an der mangelnden Kompromissbereitschaft des Gegenübers scheitern. Dann bleibt nur noch die SPÖ. Denn Sebastian Kurz, der Lieblingskanzler aller Österreicher, muss doch jedenfalls wieder Kanzler werden, bevor die FPÖ mit der SPÖ (bei Lichte besehen zuhöchst hypothetische) Verhandlungen aufnehmen könnte!

Kurz könnte es also auf ein Scheitern der Verhandlungen anlegen, um seinen Wählern die SPÖ als Kompromiss zu verkaufen. Tatsächlich gilt einem blau-affinen ÖVP-Wähler die SPÖ gegenüber einem grünen Koalitionspartner als das kleinere und kalkulierbarere Übel. Ein grün-pink-affiner ÖVP-Wähler wird wohl ohnedies auch mit der SPÖ zufrieden sein.

Was aber passiert, sollte Kurz wider Erwartens doch nicht Erster werden? Klar: Dann gibt es erst recht den fleischgewordenen Kompromiss, der sich "Große Koalition" nennt. Denn auch die ÖVP sieht sich als Regierungspartei (dann aber wohl ohne Sebastian Kurz, der sich attraktiveren Aufgaben widmen würde).

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.

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