Der erst begonnene Weg des Sebastian K. – eine gefährliche Drohung

 

"Unser Weg hat erst begonnen", plakatiert die türkise – oder doch schon wieder schwarze? – ÖVP im laufenden Wahlkampf. Jüngste, teils mit Vehemenz erhobene Forderungen nach neuen Gummiparagraphen im Straf- und im Vereinsrecht machen diesen Slogan zu einer gefährlichen Drohung für den liberalen Rechtsstaat. Selbst wenn diese Forderungen nur Wahlkampfgetöse sein sollten: Mit so etwas spielt man nicht!

Da wäre zunächst einmal das strafrechtliche Verbot der "Betätigung im Sinne des politischen Islam": Was bedeutet "politischer Islam"? Fallen darunter bereits eschatologische Konzeptionen, die sich lediglich in den Worten von christlichen Vorstellungen vom "Reich Gottes" unterscheiden mögen, oder geht es "nur" um die offene Propagierung einer (gewaltsamen?) Abschaffung von Demokratie und Rechtsstaat im Hier und Jetzt?

Und warum spricht man auf einmal vom (politischen) Islamund nicht vom Islamismus? Nicht wenige wurden wegen Verhetzung verurteilt, weil sie gegen den Islam polemisiert und dabei nicht zwischen "Islam" und "Islamismus" unterschieden hatten. Wollte Kurz diese Verurteilten insgeheim rehabilitieren, so hätte er die im türkis-blauen Koalitionspakt festgelegt gewesene Evaluierung des Verhetzungsparagraphen vorantreiben können. Doch davon hat man nie wieder etwas gehört.

Als allererstes aber fällt auf, dass die Formulierung "Betätigung im Sinne des politischen Islam" eins zu eins die des § 3g des Verbotsgesetzes übernimmt, der jedwede Betätigung "im nationalsozialistischen Sinn" unter (hohe) Strafe stellt. Die Gleichstellung eines historisch dagewesenen Staatsterrors mit dem vagen Konstrukt "politischer Islam"  kann irritieren, zumal man sich ansonsten solche Vergleiche zu verbieten pflegt.

Das angedachte Verbotsgesetz gegen den politischen Islam ist dabei noch unbestimmter als sein Vorbild, denn dort stellt § 3g immerhin einen "Auffangparagraphen" dar, dem durch die vorangehenden, bestimmtere Handlungen verbietenden Paragraphen 3a bis 3f eine gewisse Richtung gewiesen ist. Auch gibt es zum NS-Verbotsgesetz gefestigte Judikatur, die zwar kaum eine Grenze nach "außen" kennt, aber wenigstens einige typische Verhaltensweisen als deliktisch festlegt. Ferner war 1947 noch durchaus einleuchtend, was "nationalsozialistisch" bedeutet.

Nach § 3g ist es etwa bereits strafbar, wenn A dem gleichgesinnten B gegenüber von Hitler schwärmt. Einer öffentlichen Begehung bedarf es nicht. Doch worin liegt der strafwürdige(!) Unwert, wenn X dem Y gegenüber vom Kalifat schwärmt, das im Gegensatz zum NS-Regime in einer fernen Vergangenheit liegt? Wenn er dem Y erklärt, eine anständige Frau trage ein Kopftuch? Oder ist das noch nicht politischer Islam? Und was wird X tun, wenn er für seine geäußerte Ansicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird? Sich reumütig zu einem westlichen Frauenbild bekennen? Oder sich weiter radikalisieren, um Anschläge nicht "bloß" in Syrien, sondern in Österreich auszuführen?

Die postulierte Gefahr, die Kurz abwenden will, schafft er vielmehr erst, wenn er alle muslimischen Menschen in Österreich einer diffusen Strafdrohung unterwirft. Im Übrigen ist sehr relativ, was "extremistisch" ist: Wenn man die Extreme abkappt, sind die verbliebenen Ränder die neuen Extreme, bis irgendwann nur noch eine Mitte als einzig zulässige Position überbleibt. Das aber nennt man Totalitarismus.

Einzig aus der Sicht der FPÖ hat ein "Verbotsgesetz" gegen den politischen Islam einen gewissen (wenngleich fragwürdigen!) "Charme": Wenn man schon das NS-Verbotsgesetz nicht einmal mehr kritisch andiskutieren darf, ohne am nächsten Tag politisch tot zu sein, dann sollen andere ebenfalls ein Verbotsgesetz gegen sich haben. Wenn aber dieses von Experten kritisiert wird, stellt sich vielleicht auch weiteren Menschen die Frage, warum diese Kritik nicht in gleicher Weise das NS-Verbotsgesetz betreffe. (Im Sinne des Philosophen Hegel könnte man sagen: Das Verbotsgesetz muss sich verdoppeln, um erkannt zu werden.)

Für die ÖVP hingegen tritt zum NS-Verbotsgesetz, an dem sie mindestens so eisern festhält wie die Linke, ein zweites hinzu, auf dass es völlig normal wird, weitere Strafgesetze gegen eine "Betätigung im XY-Sinn" zu formulieren. Strafgesetze ohne jedes Tatbild werden von einer historisch bedingten Ausnahme zu einer gefährlichen Selbstverständlichkeit. Nicht der gewählte Gesetzgeber, sondern Gerichte legen sodann fest, was noch erlaubt ist. Dies lässt sich bei unbestimmten Gesetzestexten ohne öffentlichen Diskurs jederzeit an den aktuellen politischen "Bedarf" anpassen.

Ein solcher "Bedarf" steht bei der zweiten höchst bedenklichen aktuellen Forderung von Kurz im Vordergrund, nämlich beim Verbot der "Identitären", das für die ÖVP noch zentraler scheint als Maßnahmen gegen den politischen Islam(ismus): Beklemmend ist hier schon, dass ein Gesetz "gegen die Identitären" kommen soll – also kein allgemeines Gesetz, das bloß möglicherweise zu einem (späteren) Verbot der Identitären Bewegung führt, sofern die Voraussetzungen hierfür dann(!) noch gegeben sind. Nein, die Identitären stehen als Feind schon fest, und das Gesetz wird hinterher "passend" formuliert.

Weil aber die "Identitären" zu unspezifisch agieren, braucht es auch hier völlig unbestimmte Begriffe wie "extremistisch" und "staatsfeindlich", die selbstredend auf weitere Gruppierungen angewandt werden können. Einzig die Formulierung, den Vereinsstatus für die Verbreitung von extremistischem und staatsfeindlichem Gedankengut zu nutzen, assoziiert eine Abweichung vom eingetragenen Vereinszweck und knüpft sohin noch irgendwie an das bestehende Vereinsrecht an.

Wer glaubt, die illiberale Demokratie türkis-schwarzer Prägung erschöpfe sich in diesen Maßnahmen, der irrt. Am Programm steht gewiss weiterhin auch das Blümelsche "Gesetz für Sorgfalt und Verantwortung im Netz", das die Abschaffung anonymen Postens im Internet vorsieht.

Dazu kommen wohl jene Vorhaben aus der rot-schwarzen Ära des Justizministers Brandstetter, die mit dem vorgeblichen "Kurswechsel" zu türkis-blau nicht mehr umgesetzt wurden: Die Einführung eines neuen Verwaltungsstraftatbestands, der bereits "diskriminierende" Äußerungen unter Strafe stellt (ein Paragraph, den die ÖVP auch dem Koalitionspartner FPÖ zu unterjubeln versucht hatte), sowie die von Brandstetter angedachte Verschärfung des NS-Verbotsgesetzes.

Was das Letztere anbelangt, wurde etwa vom DÖW gefordert, künftig auch die Bestreitung der deutschen Kriegsschuld als Verbrechen der "Wiederbetätigung" ahnden zu können. Was in der Praxis zur Folge haben wird, unhistorisch eine deutsche Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg behaupten zu müssen, weil mit jeder behaupteten Schuld (auch) Anderer die deutsche Schuld bestritten sein könnte. Auch hier lautet die Logik: Revisionisten sind als Feind identifiziert, und wenn diese aufgrund bereits bestehender Verbote mit neuen Mitteln agieren, so müssen auch diese Mittel verboten werden – koste es, was es wolle.

Wer Kurz in eine Reihe mit Kreisky, Schüssel oder Jörg Haider stellt, übersieht einen wichtigen Punkt: Alle Genannten haben das Land auf ihre Weise durchlüftet: Der aus dem liberalen Großbürgertum stammende Kreisky mit den Strafrechtsreformen der 1970er Jahre. Jörg Haider, der einige Jahre Universitätsassistent für Staats- und Verwaltungsrecht war, indem er sich zum Sprachrohr gegen Parteienherrschaft und Kammerprivilegien machte, auf dass das Parteibuch aus der "Breite" des öffentlichen und staatsnahen Dienstes nachhaltig verschwunden ist und niemandem mehr (wie einst noch meiner Mutter) zusammen mit dem Dienstvertrag die Beitrittserklärung zu SPÖ und ÖGB zur Unterschrift vorgelegt wird. Und schließlich der belesene und humanistisch gebildete Wolfgang Schüssel durch wirtschaftliche Liberalisierung.

Nichts von dem ist bei der derzeitigen ÖVP zu finden. Wenn Sebastian Kurz seinen Weg in dem nun immer deutlicher werdenden Sinn vollenden sollte, wird er nicht als einer, der den Menschen mehr Luft zum Atmen gegeben hat, in Österreichs Geschichte eingehen, sondern sich eher in eine Reihe mit Putin und Erdoğan gestellt haben.

"Unser Weg hat erst begonnen" – dies bedeutet: strikte transatlantische Orientierung in der Außenpolitik (inklusive Anlehnung an Macron und Merkel), autoritärer Polizei- und Überwachungsstaat im Inneren (weswegen das Innenministerium für die ÖVP so ausnehmend wichtig ist), und ab und an ein bisschen Migrationskritik, um die Bevölkerung bei Laune zu halten, so wie ÖVP-Politiker seit jeher zur Blasmusikkapelle den Taktstock schwingen, um sich volkstümlich zu geben.

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.

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