Rettungsschiffe, Wahlrecht und Parteispenden – alles nur zum Wundern ...

An solchen Tagen weiß man nicht mehr, worüber man sich mehr wundern sollte.

Wundern zum Ersten:

Frau Rackete kommandierte ein ‚Rettungsschiff’ und brachte es zur Landung in einen italienischen Hafen, wobei sie es anscheinend mit seerechtlichen Befehlen der italienischen Küstenwache nicht allzu ernst nahm und angeblich sogar eine Kontaktnahme mit einem italienischen Polizeischiff riskierte.

Seither ist Kapitänin Rackete in den Schlagzeilen aller Medien.

Wer aber kennt diese Leute:
Deniz Yücel
Meşale Tolu
Adil Demirci
Enver Altaylı?

Wodurch unterscheiden sie sich von Frau Rackete?

Sie alle sind auch deutsche Staatsbürger, aber keine Kapitäne, sondern Journalisten.

Sie waren oder sind auch nicht in Italien unter Hausarrest gestellt, sondern waren oder sind in türkischen Gefängnissen.

Sie haben nicht Rettungsdienste für Schlepper geleistet und haben auch nicht absichtlich oder unabsichtlich einen Zusammenstoß mit einem italienischen Kriegsschiff heraufbeschworen – sondern sie passen dem Herrn Erdogan einfach nicht ins politische Konzept.

Der ganz große Unterschied aber ist, dass sich für sie kein deutscher Bundespräsident und kein deutscher TV-Clown aus dem Fenster gelehnt hat und die türkische Rechtsordnung angeprangert hätte. Für sie haben auch keine deutschen Unterstützer hunderttausende, oder gar eine Million Euro für deren Anwaltskosten gespendet.

Naja, irgend einen Unterschied zwischen der Türkei und Italien, zwischen einem Nicht-EU-Staat und einem EU-Mitglied muss es ja geben ...

Wundern zum Zweiten: 

1,1 Millionen in Österreich ohne Wahlrecht: Verträgt das die Demokratie?

Der "Standard" berichtet, dass in Österreich bei der kommenden Nationalrats-Wahl 1,1 Millionen Menschen nicht wahlberechtigt sind, nur weil sie keine österreichischen Staatsbürger sind. In Wien sind sogar 30 Prozent der Stadtbewohner als Ausländer von der Wahl ausgeschlossen.

Der "Standard" sieht darin eine demokratiepolitische Gefahr, wenn weite Bevölkerungsteile vom demokratischen Geschehen ausgeschlossen bleiben.

Die Meinungen der politischen Parteien werden ebenfalls wiedergegeben und da ist die Forderung der NEOS klar und eindeutig; so klar, dass man sich nur wundern kann:

"Die Neos fordern in ihrem Grundsatzprogramm, das aktive Wahlrecht für alle Wahlen an den Wohnsitz zu knüpfen und auch für Einwohner mit ausländischem Pass zu öffnen.”

Egal, ob Deutscher, Brasilianer, Afghane, Somalier, oder Türke, alle, die bei uns wohnen, müssen wählen können!

Die NEOS werden diesen Teil ihres Wahlprogramms vermutlich nicht groß plakatieren – aber als Wähler sollte man VOR der Stimmabgabe seinen Inhalt kennen. Ob Herr Erdogan dafür der Frau Meinl-Reisinger den Großen Halbmondorden verleihen wird?

Wundern zum Dritten:

Und erneut sind es die Neos, die einem aus dem Wundern gar nicht mehr herauskommen lassen. Sie öffnen nämlich mit ihrer Offenherzigkeit den Blick in die gesamte österreichische Parteienlandschaft und deren Finanzierungstricks.

Die Neos überlegen nach dem Verbot großer Parteispenden einen Ausbau der Mitgliedsbeiträge. Die NEOS-Mitgliederversammlung hat beschlossen, künftig auch "fördernde Mitglieder" aufzunehmen. Diese könnten einen höheren Mitgliedsbeitrag bezahlen, der – anders als Spenden – nicht unter die gesetzliche Deckelung fällt.

Ob der Baulöwe Peter Haselsteiner die ehrende Fördernde Mitgliedsnummer EINS bekommen wird ...?

Und jetzt wundere ich mich zum vierten Mal – über den sonst alles Geheime wissenden Peter Pilz: "Ich habe noch nie eine derartig offene und unverschämte Umgehung eines Gesetzes gesehen", kritisierte er.

Als langjähriger (oder schon längstjähriger) Abgeordneter sollte er wissen, dass es diese fördernden Mitglieder praktisch auch bei allen anderen Parteien gibt.

So kann man z.B. bei den Salzburger Grünen Förderndes Mitglied der Grünen Bildungswerkstatt werden, wenn man mindestens das Dreifache des jährlichen Mitgliedsbeitrages bezahlt. (Die Grüne Bildungswerkstatt ist die politische Bildungseinrichtung der Grünen.)

Der SPÖ kann man für ein Jahr als Gastmitglied beitreten. Ob es die Parteistatuten verbieten, dass ein Gastmitglied freiwillig einen kräftigen ‚Mitgliedsbeitrag’ zahlt ...?

Und das alles blieb dem Aufdecker der Nation bisher verborgen?

Dr. Günter Frühwirth ist Jurist mit aktivem Interesse an Themen der Gesellschaftspolitik.

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