EZB-Nullzinsen: Wo die Lösung zum Problem geworden ist

Vor etwas mehr als zehn Jahren, etwa im März 2009, erreichte die Finanzkrise ihren Höhepunkt: Viele Ökonomen und Politiker befürchteten eine neue Weltwirtschaftskrise, wiesen doch alle wirtschaftlichen Kennziffern stärkere Rückgänge aus als etwa 1930. Die Notenbanken haben 2009 versucht, die Finanzmärkte (und damit die Realwirtschaft) durch ein nahezu unbegrenztes Dargebot an Liquidität zu retten. Allerdings wurde, was als Lösung gedacht war, rasch zum Problem: Die Zinsen wurden zwar wiederholt gesenkt, aber niemals wieder angehoben.

Dies ermöglichte, günstig auf Kredit zu spekulieren, was jedoch die Krisenanfälligkeit des Systems erhöhte und immer stärkere Interventionen erforderte. Die "Nebenwirkung" wurde zum Hauptproblem: Schuldenberge wurden von Staaten wie von Unternehmen weiter aufgetürmt, statt ein Sinken der Schuldenlast zu bewirken. Gerade die staatliche Verschuldung ist nur durch immer niedrigere Zinsen tragbar geworden. Das billige Geld begünstigte die Besitzer von Vermögenswerten und förderte die Abkoppelung der Vermögen von den Einkommen – und bestärkt die Illusion der problemlosen weiteren Bedienbarkeit der Schulden. Mittlerweile beträgt die globale Verschuldung über 375 Prozent des BIP, 75 Prozentpunkte mehr als 2007.

Die "Ursachen und Wirkungen" dieser Entwicklung analysiert ein vor einigen Wochen erschienenes, äußerlich vergleichsweise bescheiden anmutendes Buch, dessen Inhalt aber ebenso aktuell wie brisant ist: "Die Nullzinsfalle: Wie die Wirtschaft zombifiziert und die Gesellschaft gespalten wird", ein Gemeinschaftsprodukt der versierten Autoren Ronald Stöferle, Rahim Taghizadegan und Gregor Hochreiter.

In Büchern zu Wirtschaftsthemen wird der sozialen Dimension oft nur wenig Raum eingeräumt – hier ist es (Gott sei Dank!) anders, und es werden in passagenweise durchaus kritischer Weise sowohl sozialstrukturelle Fragen wie individuelles Verhalten beleuchtet und diskutiert, wobei dem Rezensenten die etwas eingehendere Behandlung der Problematik, welche die Nullzinspolitik z.B. für die Alterssicherung darstellt, besonders positiv aufgefallen ist.

In sehr vielen Büchern zu wirtschaftlichen Themen bleibt es bei theoretischen Erwägungen, nur verhältnismäßig wenige Autoren berücksichtigen persönliche Interessen bzw. haben den individuellen "Nutzen" der Leserschaft im Blick. Anders hier: Ein ganzes Kapitel befasst sich mit den Voraussetzungen eines Vermögensaufbaus in der Nullzinssituation. Vorhandene "Blasen" werden beschrieben, ebenso die gängigen Verhaltens- und Entscheidungsmuster von Portfoliomanagern und Tradern; die Vor- und Nachteile von Gold und inflationssensitiven Anlagen werden ebenso diskutiert wie die Wertentwicklung von Gold, Bitcoin und Silber. Auch die jährlichen Wachstumsraten von Gold im Vergleich zur US-Basisgeldmenge sowie die den Goldpreis bestimmenden Faktoren werden kritisch gewürdigt. Bestimmte Typen von Fonds sowie das "Permanente Portfolio" werden als Vehikel dargestellt, mit denen "Sparer ihr Vermögen vergleichsweise risikoarm durch turbulente Zeiten manövrieren" können. 

Für das einfache "Wirtschaftssubjekt" ist natürlich diese Frage der Erhaltung und des trotz widriger Rahmenbedingungen möglichst erfolgreichen Vermögensaufbaus von besonderem Interesse. Naturgemäß etwas spekulativen Charakter trägt das abschließende Kapitel, in dem unterschiedliche Lösungsansätze erörtert werden, um dem aktuellen Dilemma zu entkommen. In besonderer Weise trifft hier wohl die Überschrift des Vorworts ("Das Endspiel beginnt") zu – der (derzeit ungewisse) Ausgang betrifft wohl uns alle.

Fazit: Die drei Autoren liefern mit diesem Buch nicht nur kompakte und zuverlässige Informationen zu einer komplexen währungs- und haushaltsrechtlichen Materie, sondern bieten darüber hinaus eine Kommentierung der aktuellen Entwicklungen an, wobei sie hinsichtlich ihrer Wertmaßstäbe und Positionen um Offenheit und Transparenz bemüht sind.

Das Buch ist auch für "Nicht-Ökonomen" relativ leicht lesbar, setzt allerdings eine gewisse ökonomische "Basisbildung" und die Vertrautheit mit wirtschaftlichen und währungstechnischen Grundbegriffen voraus. Wer inmitten der herrschenden Informationsflut und angesichts vieler (bewusst eingesetzter?) "Nebelgranaten" im "Mainstream" der (ver-)öffentlich(t)en Meinung nach zuverlässiger Orientierung sucht, wird mit diesem Buch gewiss fündig.

Die Nullzinsfalle: Wie die Wirtschaft zombifiziert und die Gesellschaft gespalten wird
272 Seiten
FinanzBuch Verlag
ISBN: 978-3-95972-019-9, € 17,50

Prof. Günter Danhel ist Diplom-Sozialarbeiter. Er leitete lange das Institut für Ehe und Familie und ist derzeit unter anderem Co-Geschäftsführer des Beirats der Gesellschaft für Zukunftssicherung und Altersvorsorge/Denkwerkstatt St. Lambrecht.

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