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Die paradoxe Situation der Autorität

In welcher scheinheiligen – nicht selten auch doppelmoralischen – Gesellschaft leben wir eigentlich? Auf der einen Seite werden Begriffe wie "Macht", "Leistung", "Druck", "Führung", "Selektion", "Konsequenzen" oder "Autorität" in Bildung, Erziehung oder Berufsleben völlig abgelehnt. Auf der anderen Seite verlangen viele Bürger nach "starken, unkonventionellen, die Richtung vorgebenden, politischen Verantwortungsträgern" (siehe etwa Vereinigte Staaten, Großbritannien, Brasilien, Ungarn, Italien). Aber auch in außerschulischen Bereichen (etwa im Leistungssport) und besonders bei persönlicher Betroffenheit werden jene negativ besetzten Termini plötzlich akzeptiert und sogar eingefordert oder selbst angewendet. Das ist eine zutiefst abzulehnende Doppelmoral.

Laut Duden ist Autorität erstens "auf Leistung oder Tradition beruhender maßgebender Einfluss einer Person oder Institution und das daraus erwachsende Ansehen". Und zweitens  eine "einflussreiche, maßgebende Persönlichkeit von hohem (fachlichem) Ansehen".

"Autorität" ist also grundsätzlich per se nichts Negatives. Aber so wie bei vielen anderen Reizthemen hat es die Gesellschaft auch hier geschafft, einen Ausdruck extrem negativ zu besetzen. Die Kritiker stützen sich dabei auf fatale historische Ereignisse, tatsächlichen Autoritätsmissbrauch quer durch alle Professions- und Gesellschaftsschichten sowie persönliche Erlebnisse.

Was aber einerseits niemals gesagt wird, ist die Tatsache, dass die Art der Autoritätsausübung – genauso wie beim Begriff "Macht" – immer zunächst vom einzelnen Individuum abhängig ist, von dessen Autoritätsverständnis bzw. dem individuellen sozio-kulturellen Entwicklungsstand. Es ist also das Individuum selbst, welches zunächst "Autorität" positiv oder negativ besetzt. Dies gilt selbstverständlich auch für den gesamten Bildungsbereich.

Andererseits wird bei polarisierenden Themen von vielen Selbstdarstellern ganz gerne immer eine radikale "Ohne-wenn–und–aber"–Situation (siehe "Inklusion") argumentativ erzeugt. Sie weigern sich, Pros und Contras gegeneinander abzuwägen, andere Wege zuzulassen bzw. genaue Differenzierungen vorzunehmen. Nicht selten sind es auch genau jene Moralisierer, welche Autorität und Macht beinhart anwenden, sobald sie diese selbst in Händen halten!

In Österreich sind wir teilweise bereits so weit, dass etwa "Frontalunterricht", ein sportlicher Wettkampf mit Platzierungen oder Wortverwendungen wie "müssen" und "sollen" als "autoritär" und "rückständig" bezeichnet werden! Wenn dem so wäre, dann müssten alle Studenten, die jemals im AudiMax gesessen sind, entweder verrückt gewesen oder seelisch geschädigt worden sein.

"Autorität" ist nicht gleich" Autorität". Ein Niki Lauda wird wohl auch für die schärfsten Autoritätskritiker aufgrund seiner Lebensleistung eine fachliche, menschliche und gesellschaftliche Autorität gewesen sein. Ihm wurde auch zugestanden, frei, direkt und unverblümt seine Meinung in Bezug auf viele Gesellschaftsbereiche kundzutun. (Das soll einmal ein Lehrer machen …) Bei Donald Trump werden sich schon mehr Menschen schwer tun, dessen Autorität einfach anzuerkennen. Und dann fällt die Kurve steil ab zu den absoluten Negativbeispielen in der Menschheitsgeschichte.

Man wird entweder durch tatsächlich erbrachte Leistungen, Qualifikationen oder Vorbildwirkung eine "respektierte Autoritätsperson" – oder aber man erzwingt "Autorität" mit Hilfe von Steigbügelhaltern, durch Machtmissbrauch und egomanisches Verhalten. Was nicht selten Kollateralschäden hervorruft. Manche werden jetzt von einer "natürlicher Autorität" eines Niki Laudas und einer "erschlichenen, ungerechtfertigten Autorität" des Donald Trump sprechen.

Prinzipiell ist das nicht unrichtig – aber auch "natürliche Autorität" fällt nicht vom Himmel. Auch diese muss man sich erarbeiten, entwickeln und mit Hand, Herz und Hirn anwenden.

Warum sollte das im Bildungsbereich anders sein? Es gibt Tausende hochqualifizierte, hoch engagierte, die Schüler menschlich und fachlich führende Pädagogen, die das Recht haben, als "Autorität" angesehen und behandelt zu werden. Selbiges gilt auch für viele Schulleiter. Genauso gibt es aber auch jene, welche keine Autorität (mehr) darstellen – vielleicht auch gar nicht mehr wollen und können.

Das Märchen von der antiautoritär-partnerschaftlichen Erziehung, Pädagogik und Gesellschaft bleibt ein Märchen – auch unter Heranziehung aller Negativbeispiele oder persönlicher Erlebnisse in der Kindheit. Und noch dazu ein sehr bedenkliches Märchen. Denn dadurch wird etwa im Bildungsbereich jungen Menschen suggeriert, dass das (Schul-)Leben ausschließlich auf Augenhöhe ohne "Autoritätsgefälle" quasi auf "Du" und "Du" im "Wohlfühlsesselkreis" ablaufen kann. Dass ohne Selektion, mit absoluter Chancengleichheit und ohne Druck alle Ziele erreicht werden können.

Das ist schlichtweg eine Unwahrheit! Wenn Schule auf das Leben vorbereiten soll, dann wird sie sich von dieser Sichtweise verabschieden müssen. Sie wird selbst wieder eine "führende Institution" werden müssen, die sich nicht ständig durch Zurufe oder Feigheit selbst nach unten nivelliert. Keine relevante Führungs- und Autoritätsperson aus Politik, Wirtschaft, Sport oder Kultur wäre eine solche geworden, wenn ihr Bildungsweg verweichlicht sozialromantisch verlaufen wäre. (Leseempfehlung: Michelle Obama: Becoming).

Das Verwerflichste an dieser ständigen "Autoritätsdebatte" in Schule und Gesellschaft ist aber die Tatsache, dass oftmals genau jene Autoritätskritiker bei persönlicher Betroffenheit oder bei persönlichem Eigennutzen ganz schnell entweder nach Autoritäten rufen oder plötzlich selbst massiv Autorität auszuüben beginnen.

Ich bin überzeugt, dass zumindest die momentane Bildungs- und Gesellschaftslandschaft gerade in turbulenten Zeiten tatsächliche Autoritäten dringendst benötigt. Dies beginnt beim Pädagogen, der klar, deutlich, konsequent und authentisch eine Führungs- und Orientierungspersönlichkeit darstellen muss. Dies führt über den Notarzt, der die Reihenfolge der Erstversorgung entscheiden muss, über den Piloten, der das Letztkommando hat, bis hin zum Krisenmanagement bei Katastrophen. Und das endet bei wahren Verantwortungsträgern, welche sich trauen, notwendige, aber vielleicht unpopuläre Maßnahmen zu treffen.

Würden sich all diese ständig auf vermeintlicher "Augenhöhe" im Kreis drehen und warten, bis wirklich alle mit ihren Vorgehensweisen einverstanden sind, würden viel mehr Menschen ihr Leben verlieren, noch mehr Jugendlich an der Lebensrealität zerbrechen und keine wichtigen Entscheidungen getroffen werden.

Natürlich bedingt diese konsequente Haltung und "Autoritätsausübung" auch den Mut, Letztverantwortung zu übernehmen und zu ertragen. Viele "Autoritätskritiker" können und wollen aber erfahrungsmäßig genau diese im Ernstfall dann nämlich nicht übernehmen. Sie ziehen sich dann oft ganz schnell in den schützenden "Elfenbeinturm der Lebenstheorie" zurück oder verlassen diesen gar nicht: "Am Schreibtisch tut es niemals weh."

Sobl.Wolfgang Weissgärber ist Bildungsexperte (Sonderpädagogik/Fachautor/Netzwerker/Erwachsenenbildung).

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