Nun ist der österreichische Verfassungsgerichtshof dem deutschen Bundesverfassungsgericht gefolgt und hat den Spruch "All Cops are bastards" – abgekürzt ACAB – für zulässig erklärt. Die Deutschen entwickelten diese Judikatur im Anschluss an das seinerzeitige "Soldaten sind Mörder"-Urteil. Mit der Gleichsetzung von Polizisten und Bastarden sei nun primär auf das angespannte Verhältnis zwischen manchen Fußballfans und der Polizei hingewiesen und die ablehnende Haltung gegenüber dem Stand der Polizei als Teil der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck gebracht worden. Eine konkrete Beschimpfung von Polizisten läge daher nicht vor, sodass der Spruch im Rahmen der Meinungsfreiheit hinzunehmen sei.
Der Spruch der Verfassungsrichter mag auf den ersten Blick verstörend wirken. Einerseits ist er das, andererseits nicht.
Betrachtet man den Spruch grammatikalisch, sind alle Polizisten betroffen. Wenn alle Polizisten angesprochen werden, wird auch jeder Polizist herabgewürdigt. Ein Schlupfloch bliebe nur dann, wenn nur einige Polizisten attackiert würden ("Some cops are bastards"). Bleibt nur das Argument der Meinungsfreiheit, das gegenüber dem Schutz der Staatsdiener Vorrang hat. Dann muss allerdings auch die Kritik "All jugdes are bastards" erlaubt sein – wenn damit auf das angespannte Verhältnis zu österreichischen Gerichten hingewiesen und die ablehnende Haltung gegenüber dem Stand der Richter als Teil der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck gebracht werden soll.
Beschimpfungen müssen zulässig sein, wenn sie nicht zur Gewalt aufrufen. Liberale sagen: We defend the right to offend. Das Recht zu beleidigen hat Vorrang. Ein Recht, nicht beleidigt zu werden, gibt es nicht.
Gerade bei letzterem hakt es allerdings: Solange es einen Verhetzungsparagrafen gibt, der Angehörige gewisser Gruppen kollektiv gegen Herabwürdigungen schützt, erscheint es unbillig, Polizisten (oder Richter) auszunehmen. Warum ist es verboten zu sagen: Alle Muslime sind Bastarde. Alle Sozialdemokraten sind Bastarde. Alle Gelben sind Bastarde. Hier messen jene Politiker, die ständig den "Hass im Netz" beklagen, und die Gesetzgeber mit zweierlei Maß – was die Bürger immer als Ungerechtigkeit empfinden.
Damit sind wir allerdings bei einem Rechtfertigungsgrund für den Eingriff in die Meinungsfreiheit, die der Verfassungsgerichtshof in seinem ACAB-Erkenntnis ausdrücklich erwähnt: Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Wenn die öffentliche Sicherheit durch die Aussage "Alle Muslime sind Bastarde" gefährdet sein könnte, könne also die Meinungsfreiheit berechtigtermaßen eingeschränkt werden. Man denke nur an die seinerzeitigen gewalttätigen Reaktionen auf die sogenannten Mohammed-Karikaturen.
Nun sind wir an einem extrem fragwürdigen Punkt angelangt. Wenn die öffentliche Sicherheit nicht in Gefahr ist, wenn man Polizisten beleidigt – weil diese dickhäutiger zu sein haben, die öffentliche Sicherheit aber in Gefahr ist, wenn man Muslime beleidigt – weil diese dünnhäutiger sind, korreliert die Strafbarkeit mit der Empfindlichkeit der Opfer: je empfindlicher ein Opfer, desto notwendiger das Eingreifen der Strafjustiz. Die Strafbarkeit hängt somit von subjektiven Eigenschaften des Betroffenen ab. Je aggressiver ein Beleidigter reagieren könnte, desto schärfer muss das Strafrecht zur Anwendung kommen. Damit sind wir beim sogenannten Veto des Mörders: Der potentielle Mörder erlangt die Hoheit über die Meinungsfreiheit.
Darin kann die Lösung nicht liegen, solange wir an die majestätische Gleichheit des Rechts glauben. Im Gegenteil: Wir müssen fordern, dass gerade im Zeitalter der Digitalisierung alle Menschen dickhäutiger werden und die Verhetzungsbestimmungen auf ihren Kern – den Gewaltschutz – reduziert werden. Andernfalls werden sich Erwachsene wie Kinder benehmen, anstatt zu lernen, sich wie Erwachsene zu benehmen. Nelson Mandela meinte, dass nicht das Opfer, sondern der Täter seine Würde bei Beleidigungen verliere.
Noch subtiler als jedes Strafrecht ist es allerdings, den Beschimpfenden mit Humor entgegenzutreten: Als Ronald Reagan im Wahlkampf 1980 aus einem Hotel kam, sah er ein paar Demonstranten, die Schilder mit der Aufschrift "Reagan ist ein Mörder" hochhielten. Reagan fing an zu lachen und entgegnete: "Wenn das wahr wäre, würde ich mit Euch anfangen." Damit lebte er ein russisches Sprichwort, das da lautet: Beleidigt sind nur Dienstmädchen.
Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er in der ÖVP-Fraktion Abgeordneter im Nationalrat gewesen.