Wiener Tagebuch: Politisch korrektes Pinkeln

Meine Studienzeit liegt lange zurück, die Wiener Universität habe ich seit vielen Jahren nicht mehr von innen gesehen. Vor kurzem hat es mich wieder dorthin verschlagen und mir ein Erlebnis der besonderen Art beschert. Jetzt bin ich froh, dass ich im vorigen Jahrtausend studieren durfte. Dass sich die heimischen Unis, vor allem die weichen Studiengänge, in einem erbärmlichen Zustand befinden, ist bekannt und durch internationale Rankings belegt. Dass dort kaum noch Wissenschaft, sondern vor allem politisch korrektes Denken und die aktuellen Auswüchse des Sozialismus – von Genderismus bis Ökultismus – gelehrt werden, auch.

Dass man dort aber nicht einmal mehr ideologiefrei pinkeln kann, war mir neu. In dem von mir besuchten Institut gibt es neben den altmodischen WC-Anlagen für Frauen und Männer jetzt auch Unisex-Toiletten.

Als ich ein dringendes Bedürfnis verspürte, suchte ich eine solches WC auf. Voller Neugier. Schließlich habe ich keine Ahnung, was solche Toiletten für derzeit rund 60 – oder sind es inzwischen schon mehr? – Geschlechter von herkömmlichen binären Klos unterscheidet. Was mag es da wohl für Gerätschaften und Vorrichtungen geben? Diesbezüglich wurde ich enttäuscht. Das universitäre Unisex-Klo stellte sich als stinknormales WC heraus, nur ohne Pissoir.

Wobei, das nicht ganz stimmt. Denn dieses WC ist eben nicht einfach nur ein WC. Folgende Erklärung hat die Institutsleitung an die Klo-Tür geklebt:

"Diese Toilette steht Personen unabhängig von ihrem Geschlecht zur Verfügung

Falls Sie separate Frauen- und Männer-Toilette bevorzugen, finden Sie diese im Erdgeschoß sowie im 3. und 4. Stock.

Sehr geehrte Studierende, sehr geehrte Mitarbeiter*innen,

in den letzten Jahren wurden verschiedene Schritte zur rechtlichen Gleichstellung von geschlechtsvarianten Personen gesetzt. Zuletzt hat etwa der Österreichische Verfassungsgerichtshof Ende Juni 2018 mit Verweis auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention das Recht geschlechtsvarianter Personen auf einen ihrem Geschlecht entsprechenden Personenstandseintrag bestätigt. Der Ausdruck ‚geschlechtsvariante Personen‘ bezieht zum Beispiel Trans*-Personen (Personen, deren gelebtes Geschlecht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenem Geschlecht nicht übereinstimmt) und Inter*-Personen (Personen, deren Geschlechtsmerkmale sich – anatomisch, chromosal und/oder hormonell – weder ‚eindeutig männlich‘ noch ‚eindeutig weiblich‘ entwickelt) ein.

Trotz dieser Schritte zur rechtlichen Gleichstellung erfahren geschlechtsvariante Menschen zahlreiche Ausschlüsse und Diskriminierungen, zum Beispiel Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, Ablehnung im sozialen Umfeld (bis hin zum Ausschluss aus dem gemeinsamen Haushalt durch die Familie), psychische und physische Gewalt im öffentlichen Raum.

Zu den Ausschlüssen im Alltag gehört auch, dass geschlechtsvarianten Personen häufig der Zutritt zu Toiletten verwehrt oder dieser zumindest in Frage gestellt wird, unter anderem aufgrund von Missverständnissen über ihr Geschlecht. Darüber hinaus werden Personen, deren Geschlecht weder weiblich noch männlich ist, durch die vermeintlich ‚natürliche‘ binäre Ordnung der Toiletten in ihrer Existenz ignoriert.

Im Sinne eine inklusiven und geschlechterreflektierenden Institutskultur stehen in den Stockwerken 1, 2, 3 und 4 WCs zur Verfügung, die von allen Personen unabhängig von einer geschlechterbezogenen Zuordnung genutzt werden können. …"

Die Fußnoten im Text habe ich Ihnen erspart. An solchen Instituten, die die "vermeintlich ‚natürliche‘ binäre Ordnung" anzweifeln (zur Sicherheit hat man "natürlich" nicht nur mit Anführungsstrichen versehen, sondern auch noch das Wort "vermeintlich" davorgestellt – doppelt hält besser), wo selbst grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert oder geleugnet werden, werden die Führungskräfte, Lehrer, Verwalter, Journalisten und Politiker des Landes ausgebildet.

Das ist der Unterschied zwischen uns und dem Fernen Osten. An unseren Unis haben sich mit den 68ern auch linke Voodoo- und Pseudowissenschaften ausgebreitet, werden Probleme debattiert und gelöst, die niemand hat bzw. die nur eine verschwindend geringe Zahl von Menschen betrifft. Während sich die Studenten in China und Südkorea mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen, diskutiert unser akademischer Nachwuchs die Diskriminierung von "Inter*-Personen".

Deshalb ist es auch nicht wichtig, dass von 1000 zehnjährigen Ostasiaten 320 bis mehr als 500 in die höchste mathematische Leistungsklasse fallen, während es in Deutschland nur noch rund 50 und in Frankreich erbärmliche 25 sind. Wer glaubt, die Unterschiede zwischen Mann und Frau seien sozialer Natur, wer glaubt, es gebe dutzende Geschlechter, die man jederzeit und nach Belieben wechseln kann, der muss auch nicht rechnen können, der braucht auch keine Grundkenntnisse in Physik und Biologie. Hauptsache er findet das passende Klo.

Werner Reichel ist Autor und Journalist. Sein neues Buch "Der deutsche Willkommenswahn – Eine Chronik in kommentierten Zitaten 2015-2016" ist soeben bei Frank&Frei erschienen.

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