Kickl tut mit seinem Rachefeldzug Sebastian Kurz einen Gefallen

Herbert Kickl erklärt den schwarzen Netzwerken in Innen- und Justizministerium den Krieg. Manch ein Fan wird darin einen wichtigen Schritt sehen, um endlich kompromisslos alle dubiosen Machenschaften der ÖVP aufzudecken. Nüchtern gesehen agiert Kickl für seine Verhältnisse aber erstaunlich undurchdacht. Nicht nur beschädigt er seine künftige politische Karriere nachhaltig, er bereitet auch unabsichtlich seinem ehemaligen Koalitionspartner einen enormen Gefallen: So hilft er Sebastian Kurz ganz ungefragt, die Ungereimtheiten seiner Ausführungen zum Ende der Koalition zu beseitigen. 

Seit dem Auseinanderbrechen von Türkis-Blau bringt Kickl permanent neue Theorien über die wahren Hintergründe seiner Entfernung als Innenminister ins Spiel. Zunächst deutete er an, die ÖVP und ÖVP-nahe Beamte im BVT seien womöglich an der Erstellung des Ibiza-Videos beteiligt gewesen. Jüngst kam er bei einer Pressekonferenz wiederum auf die "Causa Stadterweiterungsfonds" zu sprechen, in der die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nun gegen ÖVP-nahe Sektionschefs des BMI ermittelt.

Kickl unterstreicht: Wäre er heute noch Innenminister, hätte er für "volle Aufklärung" gesorgt. Und: "Es ist klar, dass ein FPÖ-Innenminister für die schwarzen Netzwerke ein Störenfried gewesen wäre und deshalb beseitigt werden musste." 

Man höre und staune. Kickl selbst war es, der einen der ÖVP-nahen Beschuldigten zum Sektionschef ernannt hatte, und er musste zu diesem Zeitpunkt bereits von den Vorwürfen gewusst haben, denn die waren damals schon hinlänglich bekannt.

Die "Causa Stadterweiterungsfonds" stammt aus dem Jahr 2008. Sie liegt weit zurück, ist also alles andere als neu und hat mit der jetzigen ÖVP-Führungsspitze nichts zu tun. Vor allem aber: Für die Aufklärung dieses Falls ist der Innenminister überhaupt nicht zuständig, sondern die Staatsanwaltschaft.

Soll das also der Grund für die ÖVP gewesen sein, Kickl ins Abseits zu stellen? Es wirkt eher, als wollte Kickl nur möglichst schnell etwas aufgreifen, um die ÖVP und – weit bedenklicher – ehemalige Mitarbeiter seines Ministeriums in Misskredit zu bringen. 

Kickl beseitigt "Schönheitsfehler" der ÖVP-Darstellung

Ein entscheidender "Schönheitsfehler" der ÖVP-Darstellung war ja das Fehlen eines überzeugenden Grundes für die Entlassung Kickls als Innenminister. Weshalb ein Innenminister Kickl ein Hindernis für eine Aufklärung der Ibiza-Affäre gewesen sein soll, konnte nie stimmig erklärt werden. Denn es ermitteln ja die Behörden und die Staatsanwaltschaft, nicht der Innenminister. Diese Erklärungsnot ist Sebastian Kurz nun dank Kickl los – denn dass es von Person und Parteizugehörigkeit des Innenministers abhängt, ob Ermittlungen sauber durchgeführt werden oder nicht, bekräftigt nun auch Kickl selbst mit Nachdruck. Dann hatte also die ÖVP tatsächlich allen Grund, sich um die Person des Innenministers nach Ibiza-Gate Sorgen zu machen? 

Die FPÖ und besonders Kickl hätten sich schlicht als verlässlicher Fortsetzter der türkis-blauen Koalition präsentieren sollen. Für ein, zwei Tage schien Kickl dies auch zu versuchen. Das türkis-blaue Projekt könne jederzeit fortgesetzt werden, erklärte er auf einmal. "Kickl will wieder mit Kurz regieren", berichteten die Medien.

Hätte die FPÖ diese Linie von Anfang an konsequent verfolgt, hätte sie die ÖVP und Sebastian Kurz in Schwierigkeiten gestürzt, denn Kurz kann bis heute keinen inhaltlichen Grund für das Ende der Koalition angeben. Ebensowenig konnte er auch begründen, weshalb Kickl ein Hindernis für eine Fortsetzung der Koalition war, weshalb es einen anderen Innenminister brauchte, weshalb eine Fortsetzung der Koalition zuletzt an der FPÖ gescheitert war und weshalb die Neuwahlen alternativlos waren. Die öffentliche Kommunikation war Kurz damals für einige Tage entglitten, seine Begründungen für das Ende der Koalition nicht wirklich überzeugend. 

Doch nun ist alles anders: Spätestens nach Herbert Kickls jüngster Pressekonferenz kann niemand mehr in dem ehemaligen Innenminister einen seriösen, verlässlichen Partner innerhalb der türkis-blauen Koalition sehen. Es ist ein No-Go, dass ein Ex-Innenminister mit vagen und abstrusen Anschuldigungen gegen ehemalige ranghohe Mitarbeiter des eigenen Ministeriums öffentlich zu Felde zieht. Auch abseits der Politik kanzeln nur unprofessionelle Vorgesetzte ihre Mitarbeiter öffentlich ab und zeichnen dadurch im Übrigen ein höchst unvorteilhaftes Bild ihres Charakters. 

Kickl, der sich eben noch als verlässlicher Fortsetzer der Koalition präsentiert hat, erklärte nun glatt, er hätte als Innenminister in Kürze die schwarzen Netzwerke aufgedeckt. Gratulation! Damit hätte er die Koalitionsarbeit tatsächlich in neue Höhen gebracht! Staatstragendes Verhalten sieht anders aus. 

Dass parteipolitische Netzwerke in Ministerien entstehen, die über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren von Ministern derselben Partei geführt werden, ist trivial – mit allen erfreulichen und unerfreulichen Begleiterscheinungen. Neue Minister mit größerem Geschick als Kickl färben ihre Ministerien halt Schritt für Schritt um, ganz ohne Wirbel. Doch Kickl denkt, wie es scheint, nicht so. Seine Äußerungen deuten sogar an, dass er auf eine Anzeige gegen ranghohe Beamte im Innenministerium mit schwarzem Parteibuch hingearbeitet hat, um danach mittels "Fait accompli" viele Neubesetzungen in höchsten Positionen vorzunehmen. 

Vier Wochen nach Ende der Koalition ergibt sich für breite Wählerschichten ein klares Bild. Die ÖVP konnte bei ihnen mit ihrem Narrativ durchdringen, der da lautet: Man wollte die Koalition ja eh fortsetzen, nur sei man an "dieser" FPÖ gescheitert. Kickl tat gleichzeitig sein Bestes, um dieser Darstellung voll und ganz zu entsprechen. (Das tat Strache übrigens auch, aber das ist ein anderes Thema.) 

Bis zur Wahl ist noch Zeit. Kickl kann noch einmal seine Vorgangsweise überdenken. Oder er kann – so wie einige seiner Fans – auf das Öffentlichwerden himmelschreiender Skandale der ÖVP hoffen, die danach die Ausgangslage bei der kommenden Nationalratswahl zugunsten der FPÖ verändern werden. Das wäre dann wohl die einzige Chance auf Kickls Rückkehr als Innenminister, doch selbst in diesem unwahrscheinlichen Szenario ist diese Chance gering. Immer wahrscheinlicher wird hingegen, was für Kickl und viele FPÖ-Wähler noch undenkbar ist: eine FPÖ ohne Kickl. 

Wenn der Tag lang ist, können alle träumen – die Grünen von einem Wahlsieg, wie er zurzeit der grünen Partei in Deutschland laut Umfragen bevorsteht, die SPÖ von der Rückkehr zu alter Stärke mit Hilfe eines noch unbekannten Wunderwuzi, die ÖVP von der absoluten Mehrheit und Herbert Kickl von einer neu erstarkenden FPÖ zu Lasten der ÖVP. Eine smarte Strategie, wie man sie in den vergangenen 14 Jahren vom Mastermind des freiheitlichen Aufstiegs gewohnt war, sieht freilich anders aus.

Mag. Stefan Beig, Jahrgang 1978, lebt und arbeitet als Journalist in Wien.

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