Vertreter der Willkommens-Kultur betonen immer wieder, dass diese der jüdisch-christlichen Nächstenliebe entspreche. Die Forderung "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (Lev 19,18 b) wurde von Jesus übernommen und präzisiert. Erstens, indem Er das Gebot der Nächstenliebe mit dem Gebot der Gottesliebe zu einem Doppelgebot verknüpfte, und zweitens, indem er den Begriff des Nächsten neu bestimmte.
Im Alten Testament war mit Nächster sowohl der Verwandte als auch der Glaubensgenosse gemeint (rā‛āb im Sinne von ach). Der Koran verwendet diese Begriffe bis heute so und kommt so zu einer klaren Abstufung: moslemischer Mann – moslemische Frau – Ungläubige. Jesus erweitert den Begriff – aber nicht, wie manche Gutmenschen meinen, automatisch auf alle Menschen. Das bekannte Gleichnis vom barmherzigen Samariter lädt bekanntlich nicht alle Hilfsbedürftigen nach Jerusalem, sondern betont: Nicht Du darfst definieren, wer Dein Nächster ist, sondern Gott definiert es durch die konkreten Situationen, in die Er Dich stellt. Und das ist selbstverständlich Individualethik.
Als Überleitung zur Sozialethik eine einfache ethische Regel: Ich darf zwar für mich selbst auf Widerstand verzichten, aber nicht für die Menschen, die mir anvertraut sind – also Eltern nicht für ihre Kinder, Lehrer nicht für ihre Schüler, Offiziere nicht für ihre Soldaten, Politiker nicht für ihre Bürger. Hier besteht nicht nur Verteidigungsrecht, sondern auch Verteidigungspflicht – sonst würde man beim Recht des Stärkeren enden, das immer ein Unrecht ist.
Die Sozialethik muss daher im Rechtsgrundsatz begründet werden: meine Freiheitsäußerungen enden dort, wo die des anderen beginnen (Kant). Das gilt zwischen Einzelnen, Gruppen, Staaten und letztlich für die Weltgesellschaft. Im Gegensatz zur Ethik ist die Rechtsebene erzwingbar, da man nicht mit der ethischen Haltung der Einzelnen rechnen kann. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs wurde daher 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention erlassen: Gemäß § 3 Asylgesetz zählt als schutzwürdiger "Flüchtling" nur eine Person, die in ihrem Heimatland von den nationalen Behörden aus den in der Konvention taxativ aufgezählten Gründen (etwa Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung) verfolgt wird. Krieg, Bürgerkrieg, Stammesfehden sowie wirtschaftliche oder klimatische Probleme zählen nicht dazu!
Daher ist der Marrakesch-Migrationspakt von 2018 nicht nächstenliebend, sondern verantwortungslos. Er will ja die Genfer-Konvention und den Unterschied zwischen Flüchtlingen und Migranten aufheben und so alle Grenzen unkontrolliert öffnen, wobei die Verbindlichkeit des Abkommens rechtlich eher verschleiert als geklärt wird.
So ist weder in Europa der Bevölkerungsrückgang noch in Afrika die wirtschaftliche und politische Not zu beseitigen. In Europa nicht, weil wir dadurch immer mehr Sozialhilfeempfänger durchfüttern müssen – da wäre ein Müttergehalt hilfreicher. In Afrika nicht, weil wir dort gerade die Arbeitsfähigen abziehen. Sinnvoll wäre eine Hilfe zur Selbsthilfe, vor allem Bildungsprojekte, die aber unbedingt rechtlich abgesichert werden müssten. Der gute Wille ist hier sicher zu wenig. Und nicht einmal der ist vorhanden – Afrika ist der reichste, aber der am meisten ausgebeutete Kontinent.
Ferner werden von den Befürwortern der Willkommenskultur ziemlich hinkende Vergleiche angestellt. Schon der Vergleich mit der sogenannten Völkerwanderung hinkt: die immigrierenden Germanenstämme waren schon christianisiert und bewunderten die römische Kultur – sie wollten sich also anpassen. Auch der Vergleich mit Migrationsbewegungen in der Monarchie und dann nach den beiden Weltkriegen hinkt: Diese Menschen waren Christen aus demselben Kulturkreis.
Die Masseneinwanderung seit 2015 bringt aber Immigranten, die weder unsere Kultur noch unsere Religion teilen. Wer den Koran ein wenig genauer liest, merkt bald, dass es unterschiedliche Typen des Dschihad, des "Heiligen Krieges", gibt. Einer davon ist die Emigration & Immigration: "Die Gläubigen, welche auswanderten und auf Allahs Weg kämpften und dem Propheten Herberge und Hilfe gewährten, das sind die Gläubigen in Wahrheit. Ihnen gebührt Verzeihung und großmütige Versorgung." (Sure 8/Vers 74). "Denjenigen, die auf Allahs Weg auswandern und hierauf getötet werden oder sterben, wird Allah ganz gewiss eine schöne Versorgung gewähren. Allah ist wahrlich der beste Versorger." (Sure 22 / Vers 58).
Die Emigration soll eine schrittweise Islamisierung bewirken:
- a) "Diejenigen, die glauben und ausgewandert sind und sich mit ihrem Vermögen und ihrer Person auf dem Weg Allahs eingesetzt haben, sind untereinander Freunde." (Sure 8/Vers 72) – das heißt Forderung nach Segregation und Parallelgesellschaft.
- b) Delegitimierung von Institutionen des säkularen Staates durch Gehorsamsverweigerung: "Oh ihr Gläubigen, nehmt nicht Ungläubige zu Schutzherren." (Sure 4/Vers 114) "Oh ihr Gläubigen, nehmt euch nicht Juden oder Christen zu Schutzherren." ( Sure 5/Vers 51)
- c) Transformation der Rechtsgrundlagen (Schariagerichte) und Übernahme des Eigentums der mittlerweile Unterworfenen. "Und er gab euch zum Erbe ihr Land, ihre Wohnstätten und ihren Besitz und auch ein Land, dass ihr vorher noch nie betreten hattet. Und Allah hat zu allem die Macht." (Sure 33/Vers 27)
Genau in der Übernahme der Scharia liegt das Hauptproblem, da diese keine Trennung von Recht / Ethos / Religion kennt. In der Bibel hingegen ist diese Trennung schon im Alten Testament grundgelegt und im Neuen Testament von Jesus näher ausgeführt (etwa in den Antithesen der Bergpredigt). Nach christlicher Auffassung soll möglichst weltweit eine Rechtsordnung gelten, die ein friedliches Zusammenleben der Menschen ermöglicht und offen ist für eine religiöse Überhöhung. Diese Überhöhung darf aber dem friedlichen Zusammenleben nicht widersprechen.
Mit anderen Worten: Unsere Toleranz darf nur so weit gehen, als ein friedliches Zusammenleben der Menschen verschiedener Weltanschauungen nicht gestört ist. Dieser Maßstab ist daher auch von den bereits hier lebenden Menschen verschiedenster Weltanschauungen einzufordern. Das heißt, wer sich nicht an die Verfassung des Gastlandes und die Menschenrechte halten will, kann nicht in Österreich leben. Es ist daher auch unverständlich, warum der § 6 des Islamgesetzes von 1912 im neuen Islamgesetz gestrichen wurde: "Auch die Lehren des Islams, seine Einrichtungen und Gebräuche genießen diesen Schutz, insofern sie nicht mit den Staatsgesetzen im Widerspruch stehen."
Durch die Vermengung von Individual- und Sozialethik und eine solcherart missverstandene Nächstenliebe rückt also das Kalifat Europa bedenklich näher.
Sr. Katharina OP (Dr. Elisabeth Deifel, Philosophin und Theologin, em. Prof. der KPH, jetzt in der Erwachsenenbildung)