Warum aus Novotnys und Pospisils Österreicher wurden

Die Causa prima "Bevölkerungsaustausch" ist um eine Facette reicher. Bildungsminister Heinz Faßmann versuchte in einem Interview die heutige Integrationsproblematik am Beispiel Wiens zu relativieren: "Die Zuwanderer des 19. Jahrhunderts, die Novotnys und Pospisils, sind sozusagen längstens Österreicher geworden. Das unterschätzt man manchmal, die Integrationsdynamik. Man sieht hier nur eine Zuwanderung und sagt, die bleiben so wie sie sind, und das für immer, und verdrängen gleichsam die in Österreich wohnenden Menschen. Nein, sie kommen, aber werden irgendwann mal auch Österreicher werden."

Der Minister irrt hier in einem wesentlichen Punkt. Um den Zuzug nach Wien um die Wende des 19. Jahrhunderts in den Griff zu bekommen – damals zählte die Stadt rund zwei Millionen Einwohner –, waren Gesetze notwendig. Das bekannteste Gesetz ist das Wiener Gemeindestatut (LGBl. f. NÖ. Nr. 17/1900).

Unter "Angelobung der Bürgerpflichten" wurden die Auswärtigen eidlich verpflichtet, "den deutschen Charakter der Stadt nach Kräften aufrecht halten [zu] wolle[n]". Bürger wurde man erst, nachdem man mindesten zehn Jahre in Wien ansässig gewesen war und während dieser Zeit Steuern gezahlt hatte. Wurde man während dieser Zeit mittellos, drohte die Abschiebung in die Heimatgemeinden, um das städtische Sozialsystem nicht zu belasten.

Die Novotnys und Pospisils waren also gezwungen, sich zu integrieren. Sie lernten daher schnell Deutsch. Diejenigen, die es durch den Auswahlprozess schafften, gründeten in der Folge zwar ihre eigenen Schulen, Zeitungen und Vereine, vermieden es aber öffentlich, als Zugereiste aufzutreten und ungewünschte kulturellen Eigenheiten in die Gastgesellschaft zu tragen.

Die Eingebürgerten konnten so ihren Kindern das mitgegeben, was die mitteleuropäische Gesellschaft einforderte. Das ist heute nicht mehr so. Die ideologischen Vorgaben der "offenen Gesellschaft" kommen ohne Regeln zurecht, insbesondere wenn es um Neubürger geht. Während die Novotnys und die Pospisils aus kaum 200 Kilometer entfernten Orten kamen und deutlich darauf hingewiesen wurden, dass hier das Aufenthalts- und Heimatrecht an Bedingungen geknüpft war, muss man heutzutage etwa Waffenverbotszonen einrichten, um importierte kulturelle Schieflagen auszugleichen.

Es findet so ein Austausch auf kultureller Ebene statt. Mit einer Verschärfung über Jahrhunderte gewachsener Gesetze, die Demokratie, Wohlstand und Sicherheit brachten und jetzt an fremde Kulturen angepasst werden. Dass jetzt auch Bundespräsident Van der Bellen auf den Zug aufspringt und meint, das Herstellen einer homogenen Bevölkerung wäre nur mit Nazimethoden möglich, richtet sich von selbst und mag seiner späten Einbürgerung 1958 geschuldet sein. Da hat man nicht allzu engen Bezug zur österreichischen Geschichte vor den 1930er Jahren.

Bildungsminister Faßmann allerdings müsste als ehemaliges Mitglied des "Migrationsrats für Österreich" (Migrantenkommission) die Abläufe gelungener Integrationsmaßnahmen um die Wende zum 20. Jahrhundert kennen.

Robert Boder beschäftigt sich hauptsächlich mit betrieblichen und gesellschaftlichen Gleichstellungsfragen.

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