Es ist das Vorrecht der Jugend, radikal zu denken. Immerhin ist ihr Urteil ja durch keinerlei Lebenserfahrung, geschweige denn durch Leistungsdruck und/oder langjähriges Arbeitsleid getrübt. Manche Jugendliche verfügen aber dafür über ausgeprägte und höchst ungewöhnliche Talente und Gaben. Beispielsweise vermag ein kurz vor seiner Seligsprechung stehendes Mädchen aus Schweden CO2 zu sehen. Sie schafft es, jenes Gras schon heute wachsen zu hören, in das wir morgen – dem Klimawandel sei Dank – allesamt beißen werden.
Ob ein Mann wie Kevin Kühnert, berufsjugendlicher Kapo des SPD-Nachwuchses, mit seinen knapp 30 Jahren auch noch immer zur Jugend zählt, sei dahingestellt. Spontan schießt einem dazu folgendes Georges Clemenceau zugeschriebenes Zitat durch den Kopf: "Wer mit 20 Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz, wer es mit 40 Jahren noch ist, hat kein Hirn." Dem Juso bleiben also immerhin noch zehn Jahre Zeit, um herauszufinden, wes Geistes Kind er ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass er am Ende zur zweitgenannten Kategorie gehören wird, ist hoch. Dies umso mehr, als der Beamtensohn offensichtlich nicht die leiseste Vorstellung von der außerhalb seines geschützten Biotops existierenden Welt hat.
Der streitbare junge Mann hat der linksliberalen Wochenzeitung "Zeit" ein Interview gegeben, in dem er seine Vision zur Gesundung der Welt zum Besten gibt. Ein "demokratischer Sozialismus" soll es demnach sein, was auch immer das ist. Beispielsweise soll mittels – was für ein origineller, bisher unerprobter Vorschlag – Verstaatlichung der Produktionsmittel (namentlich genannt wird der Autobauer BMW) ein großer Sprung nach vorn getan werden. Natürlich tut auch, da ja das Wohnbedürfnis bekanntlich ein menschliches Grundrecht darstellt und daher keinem ruchlosen Plutokraten einen Vorwand dafür liefern darf, sich daran zu bereichern, die Kollektivierung von Wohnraum not.
Bei "Maischberger" stellte er dazu kürzlich in höchster moralischer Entrüstung die Frage: "Mit welchem Recht hat jemand mehr als 20 Wohnungen?" Stimmt auch wieder! Welcher SPD-Politiker hat dazu jemals die Erlaubnis erteilt? Und dass Herr Kühnert ganz nebenbei auch noch die Forderung nach einem Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde erhebt, ungeachtet der Frage nach der Wertschöpfung der jeweiligen Tätigkeit, passt ebenfalls bestens ins Bild.
Wie auch immer: Ohne Kollektivierung wird’s halt nicht gehen und wo gehobelt wird, da fallen Späne. Dutzende, durchaus auch rezente Negativbeispiele (man denke an Venezuela, Simbabwe oder die in der Berichterstattung der heimischen Medien sträflich vernachlässigte Republik Südafrika) vermögen in der Wolle gefärbte Ideologen wie Kühnert nicht zu Zweifeln an ihren Prämissen zu veranlassen.
Wenn die Realität mit der marxistischen Theorie nicht übereinstimmt – umso schlimmer für die Realität. Und wahr sein kann etwas nur dann, wenn es dem Sozialismus nutzt.
Dass die Vorsitzende der Jungsozialisten in Österreich, Julia Herr, ins selbe Horn stößt wie ihr deutscher Genosse, überrascht nicht. Sie möchte es mit der Verstaatlichung allerdings ein bisserl kommoder angehen als Kühnert … typisch austriakischer Schlendrian halt.
Alle bisherigen sozialistischen Experimente, soviel ist für Herrn Kühnert, Frau Herr & Genossen sonnenklar, sind regelmäßig an der Bosheit und Unmenschlichkeit ruchloser Kapitalisten, an Missernten, an einer unglücklichen Personalauswahl oder am verhängnisvollen Wirken höherer Gewalt gescheitert. Darauf, dass in der marxistischen Theorie selbst der Wurm stecken könnte – etwa in der fixen Idee von einem strikt determinierten Geschichtsverlauf, in der nicht umzubringenden Illusion von der Überlegenheit zentraler Wirtschaftsplanung oder in der Verteufelung des Konzepts privaten Eigentums – wird kein Gedanke verschwendet. Die SPD-Chefin Andrea Nahles höchstselbst benötigte zwei Tage, um Kühnerts Kollektivierungs-Phantastereien zu kommentieren. Sie hält seine Antworten auf "richtige Fragen" für "falsch". Die Aufregung um Kühnerts Aussagen könne sie nicht verstehen. Das lässt tief in die Denkweise in der SPD-Führung blicken.
Im privaten Eigentum meinen die Sozialisten in allen Parteien von jeher das Grundübel dieser Welt zu erblicken. Alle sozialistischen Experimente der Vergangenheit – die russischen Bolschewiken haben sich daran beileibe nicht als die ersten versucht – schafften das Privateigentum ab und scheiterten in der Folge kläglich. Dass Privateigentum und Freiheit in einer direkten Beziehung zueinander stehen, hat keiner von ihnen erkannt.
Privates Eigentum, insbesondere jenes an den Produktionsmitteln, das ist tatsächlich nicht zu übersehen, führt aufgrund unterschiedlich ausgeprägter Charaktere, Talente und Fähigkeiten der Menschen auf längere Sicht – auch generationsübergreifend – zu unterschiedlichen Bildungs- und Wohlstandsniveaus. Darin liegen zugleich die Stärke und die größte Schwäche der von allen linken Träumern bekämpften und als "Kapitalismus" gebrandmarkten Marktwirtschaft ohne Adjektive.
Einerseits werden in der "kapitalistischen" Vertragsgesellschaft (im Gegensatz zu einer undurchlässigen, auf Herkunft, Rasse oder Klasse beruhenden Statusgesellschaft) den einzelnen Bürgern Möglichkeiten eröffnet, ihren Wohlstand, der sich nicht nur auf den Besitz materieller Güter beschränkt, zu erhöhen und dabei auch andere mitzunehmen. Wirtschaft ist eben, anders als die meisten Sozialisten aller gegenteiligen Evidenz zum Trotz meinen, kein Nullsummenspiel. Andererseits werden damit aber auch die Neidaffekte der vermeintlich zu kurz Gekommenen befördert, was wiederum sozialistische Phantasmen befeuert.
Sicher ist, dass die klare und eindeutige Unterscheidung zwischen Mein und Dein von entscheidender Bedeutung für eine freie Gesellschaft und für ein gewaltfreies, zivilisiertes Zusammenleben ist. Nicht wenige der namhaftesten Denker haben sich daher mit der Idee der Begründung, Bewahrung und Übertragung von Eigentumstiteln beschäftigt. Alle kommen sie zum Schluss, dass so etwas wie "Gemeineigentum" notwendigerweise zu Konflikten führt und auf Dauer keinen Bestand haben kann, allen voran Ludwig von Mises (1881 – 1973) in "Die Gemeinwirtschaft".
Was allen gehört, gehört am Ende niemandem; es verwahrlost und geht – zum Schaden aller – vor die Hunde. Verrostende Landwirtschaftsmaschinen auf den Kolchosen des ehemaligen Ostblocks, marode Gemeindebauten in den roten Kommunen Eurolands und verrottete Schieneninfrastrukturen in den korrupten sozialistischen Paradiesen Afrikas legen darüber beredtes Zeugnis ab. Der Sozialismus Osteuropas ist letztlich am fehlenden Privateigentum und in Ermangelung jeglichen Anreizes, mehr zu tun als unbedingt nötig, zugrunde gegangen.
Wer’s noch immer nicht glauben will, betrachte den Zustand kommunaler Wohnbauten und jenen von mit privaten Mitteln errichteten und erworbenen Eigentumswohnhäusern. Beide gesehen – kein Vergleich. Die Stadt Wien, mit ihrem Bestand von 220.000 Wohnungen der größte "Zinsgeier" der Welt, bietet prächtiges Anschauungsmaterial.
Der Verzicht auf privates Eigentum, die mangelnde Trennung von Mein und Dein, bedingt notwendigerweise Konflikte. Wer sich der Früchte seiner Arbeit nicht sicher sein kann, wird sich nicht länger anstrengen. Wer weiß, dass er über ein verbrieftes Recht auf Faulheit verfügt, schon gar nicht.
Leider besteht nur wenig Aussicht darauf, dass die Kevins dieser Welt diese offensichtlichen Zusammenhänge jemals begreifen oder als Tatsache akzeptieren werden.
Was bei den intensiven Diskussionen über Kühnerts Aussagen in den vergangenen Tagen jedoch am meisten erschreckt: Über die zahllosen Opfer der sozialistischen Experimente in der Geschichte spricht niemand. Der russische Mathematiker Igor Schafarewitsch (1923 – 2017) meinte dagegen schon 1975 im Sozialismus eine "anthropologische Konstante" zu erkennen, die auf die Zerstörung alles Bestehenden zielt und am Ende in den kollektiven Tod führt ("Der Todestrieb in der Geschichte: Erscheinungsformen des Sozialismus").
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.