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Das Innenministeriums-Dilemma der ÖVP

Jeder, der Joseph Fouché von Stefan Zweig gelesen hat, weiß, wie wichtig das Innenministerium eines Staates ist. Es ist eine Bastion der Macht. Das ist in Österreich nicht anders. Als die türkis-blaue Regierung gebildet wurde, bestand daher der Bundespräsident darauf, dass Justiz- und Innenministerium nicht in die Hände einer einzigen Partei geraten. Der Justizminister sollte ein Gegengewicht zum Innenminister bilden. Die ÖVP wiederum bestand auf einem Staatssekretariat im Innenressort – als innerministeriellem Machtausgleich.

Bald gingen die Dinge aus dem Ruder. Rechtsanwalt Lansky ging zu BMI-Generalsekretär Goldgruber, dieser kontaktierte die vorinformierte Staatsanwältin Schmudermayer und schon fand im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung eine groß angelegte Hausdurchsuchung statt. Dieser Hausdurchsuchung sprach das Gericht zwar großteils die Rechtmäßigkeit ab – nichtsdestotrotz löste sie die nächsten Erdbeben aus. Der blaue Innenminister tauschte türkise Schlüsselpositionen aus und das Parlament setzte einen Untersuchungsausschuss mit einem schier grenzenlosen Untersuchungsgegenstand ein.

Damit hatte nicht nur die Opposition ein ausgiebiges Betätigungsfeld, sondern auch die ÖVP ein ausgesprochenes Machtproblem. Viele der ihr irgendwie nahestehenden Mitarbeiter des BMI – mögen sie das Ressort auch schon längst verlassen haben – wurden öffentlich durch den Kakao gezogen. Die ÖVP hatte nicht den Ansatz einer Gegenstrategie. Noch schlimmer: Der in Sicherheitsfragen erfahrenste ÖVP-Politiker geriet selbst in die Schusslinie und verabschiedet sich derzeit Richtung Volksanwaltschaft.

Im Frühjahr 2019 standen nun alle Zeichen auf Sturm. Alle Gegengewichte brachen weg. Der Justizminister erweckte den Eindruck, als würde er primär ein Verteiler von jenen Anzeigen sein, die eine Staatsanwaltschaft gegen eine andere einbringt. So ermittelt derzeit nach öffentlichem Kenntnisstand die Staatsanwaltschaft Korneuburg gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die Staatsanwaltschaft Eisenstadt gegen den ehemaligen Eurofighter-Staatsanwalt und die Staatsanwaltschaft Linz gegen den Generalsekretär im Justizministerium.

Als zusätzliches Instrument hat man in diesem Ministerium nun das Heilmittel Mediation entdeckt. Das oberste Organ setzt nicht auf Machtausübung, sondern auf versöhnliches Aussprechen. Das Gegengewicht hat sich als Leichtgewicht erwiesen.

Zu allem Überdruss erkannte man in der ÖVP, dass das andere Gegengewicht zum blauen Innenminister – Staatssekretärin Edtstadler – das Innenministerium nach den Wahlen Richtung EU verlassen muss. Ein Ersatz war offensichtlich weit und breit nicht zu finden.

In dieser Situation hat die ÖVP acht Tage vor den EU-Wahlen verstanden, dass sie in Kürze ein veritables Machtproblem hat, das sie keine drei Jahre durchstehen kann. Daher bestand sie auf dem Wechsel an der Spitze des Innenministeriums und nahm Neuwahlen in Kauf. Mit dem Anschlag auf die österreichische Demokratie in Ibiza hat dies eher wenig zu tun.

Fazit: Der Schwenk des Sebastian Kurz kann angesichts der fundamentalen Schwäche der Opposition und seines napoleonischen Kriegsglücks durchaus zum Erfolg führen. Gelingt es der ÖVP allerdings nicht, ihre strategischen Defizite zu schließen, lädt sie zum nächsten Angriff über die offenen Flanken geradezu ein. Jedes Mal wird man allerdings nicht bis 5 vor 12 warten können, um dann eine Menge Porzellan zu zerschlagen und ein halbes Jahr zu verlieren.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er in der ÖVP-Fraktion Abgeordneter im Nationalrat gewesen.

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