Die "Europäische Volkspartei" (EVP) hat am 20. März die ungarische Fidesz innerhalb ihrer Reihen suspendiert. Ist Orban damit endlich zur Räson gebracht? Hatte er doch vorher extrem hoch gepokert mit seiner Drohung, aus der EVP auszutreten …
Zunächst überwog bei deklarierten Orbán-Hasser-Medien (halb-getrübte) Schadenfreude: "Am Ende schwenkte er doch um – aber natürlich würde er das nie so darstellen. Er redet in seiner Pressekonferenz erstmal die Auswirkungen des Beschlusses klein." (Spiegel)
"Eine gute Ausrede ist nie schlecht." (ungarisches Sprichwort)
Dann mischen sich aber kleinlaute Zwischentöne ein: "Tatsächlich hätte es auch schlimmer kommen können für ihn." (Spiegel) – Sehen so Verlierer aus…? Denn ob "die EVP (die) Fidesz bereits vor der Europawahl" rauswirft "oder er danach von selbst geht. In beiden Fällen gewinnt Orbán. Er benutzt die EVP als Projektionsfläche für seine Propagandaschlacht und seinen Traum vom Führer einer nationalistischen (Anti)-Europa-Bewegung." (PesterLloyd)
Wedelte hier ein aufmüpfiger Schwanz mit einem müden Bernhardiner? (Die Fidesz-KDNP hat 12 Sitze im EU-Parlament, hingegen die EVP 217 Sitze.)
"Der Pfeffer ist klein aber scharf." (ungarisches Sprichwort)
EVP-Chef Daul hatte sogar mit Rücktritt gedroht, falls kein Kompromiss gefunden worden wäre. Gerade aber die linke EVP-Fraktion (etwa die Juncker-Luxemburger) wollte einen demütigenden Rausschmiss serviert bekommen.
Ein Bild drängt sich auf:
Das freche Familien-Schwarze-Schaf (Orbán) steht vor dem EVP-Großfamilien-Tribunal: Der cholerische Opa-Pate Juncker fordert den ultimativen Ausschluss, und zwar noch vor seinem baldigen Ende. Die (um den Familienfrieden bangende) Mami-Kramp-Karrenbauer jammert. Die "Strafe": Der böse Stinkefinger-Bubi darf für ein paar Wochen bis zum nächsten Showdown (EU-Wahlen) nicht mehr an sinnlos-langweiligen Familien-Treffen teilnehmen.
"Hundert Worte haben auch nur ein Ende." (ungarisches Sprichwort)
Alle sind getrieben von einer gewaltigen Angst: Der missratene Sohn könnte so vollends ins Punk-Milieu abgleiten, die Familie in der Öffentlichkeit noch mehr blamieren und alle anderen Outlaws (die schon draußen vor der Tür warten) hinter sich mobilisieren. Und er könnte auch noch ein böses Vorbild für andere subtile Cousins abgeben (Polen, Slowenien, Tschechien, Slowakei …)
Das ahnte auch der "Spiegel": "Orbán (als) Märtyrer würde man endgültig in die Arme der Nationalisten treiben und damit die Spaltung vergrößern – und die Stimmen seiner Fidesz würden Weber … noch fehlen. Die Sorge der Spaltung trieb auch CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer um." (Spiegel)
"Man kann nicht gegen den Wind pinkeln." (ungarisches Sprichwort)
Das gestrenge Familien-Tribunal mahnte: "Aber du darfst nie mehr hinter unserem Rücken den Stinkefinger zeigen!" – "Versprochen! Damit hör ich auf! Hab’s doch eh nie so gemeint!" – "Und Orbán reagierte: Stoppte die Kampagne (die da allerdings schon ausreichend gewirkt hatte), entschuldigte sich (allerdings nur bei seinen Gegnern innerhalb der EVP, die er als "nützliche Idioten" bezeichnet hatte)" (Spiegel). – Denn das kapierte auch Familien-Renitent Orbán: Dauerndes Provozieren führt zu einem "Gähn-Effekt" in Ungarn.
"Jedes Wunder dauert drei Tage." (ungarisches Sprichwort)
Die neue Strategie: Orban plakatierte eine Positiv-Kampagne zur Fidesz-Familienpolitik: "‘Aufs-Baby-Warten‘-Unterstützungs-Programm für Jung-Verheiratete". Die West-Linken tobten ("der frauenfeindliche Plan eines reaktionären Ständestaates – Mercedes-Stern als Mutterkreuz: Ungarn will Babyboom erkaufen." – Pesterlloyd), die ungarischen waren baff: "Die Ankündigung verfehlte ihre Wirkung nicht: Wochenlang wurde in Ungarn über fast nichts anderes geredet. Vor allem … der Zehn-Millionen-Forint-Kredit (im Volksmund ‚Ehefrauenkredit‘) erregt die Fantasien der Ungarn intensiv. Bei Durchschnittsverdiensten von 300 - 400 Euro im Monat bedeutet das … eine Menge Geld." (Der Standard)
"Zur guten Arbeit braucht man Zeit." (ungarisches Sprichwort)
Linke Präjudizierer-Medien schalteten auf Vogel-Strauß-Analyse: Denn ab drei Kindern ist das Darlehen sogar kostenlos. Und: Das Mittelschichts-Durchschnittseinkommen liegt mittlerweile auch in Ungarn bei ca. 800 Euro pro Person. Die Wirtschaft boomt, und sogar Audi-Györ musste nach einem Streik eine Lohnerhöhung von 18 Prozent (mindestens aber 240 Euro) akzeptieren. Orban lachte sich ins Fäustchen – in Richtung Deutschlands Auto-Schlüsselindustrie. Das versteht sogar eine wie Kramp-Karrenbauer (mit Möchtegern-Kampf-Femo-Koteletten-Frisur und Intellektuellem-Hornbrillen-Outfit): Die Audi-Produktion musste in ganz Europa gesperrt werden. Allein in Ingolstadt blieben zehntausend Autos in nur drei Tagen (28.-30. Jänner 2019) liegen.
Und der böse Juncker-Opa grämte sich nachhaltig: "Die Suspendierung … löst die Sache nicht wirklich auf." (Spiegel) Außer dass die Familie den Nachbarn demonstrieren konnte, dass "die Unionsparteien wieder mal etwas gemeinsam hinbekommen" (Spiegel) hätten. Und dann auch noch das: Grölende Punk-Zaungäste prosteten von außen dem Vorgeführten zu: Nämlich "auch Unterstützung … aus Italien." (Spiegel)
"Man kann nicht vorsichtig genug sein." (ungarisches Sprichwort)
Gleich danach legte das Schmuddelkind aber gleich wieder dieselbe nervende Punk-Platte auf, wie eh und eh: "’Ich habe gleich gesagt: Ich werde meine Politik nicht ändern. Ich habe keinen Hehl daraus gemacht, dass ich Salvini als Premierminister sehr schätze." (Spiegel) Ein augenzwinkerndes Signal an die bösen Punks vor dem Gartenzaun: Gebt die Hoffnung nicht auf, dass ich doch noch in euer Lager überwechsle!
"Er ist aus hartem Holz geschnitzt." (ungarisches Sprichwort).
Trotzdem: Am Schluss hatte selbst der Familien-Renitent vor seiner eigenen Courage Muffensausen bekommen: Nämlich doch noch des Familien-Schutzes verlustig zu gehen.
"In jeder guten Sache findet man etwas Schlechtes.” (ungarisches Sprichwort)
Auf der Pressekonferenz erschien er in einer seltsamen Mischung aus Erschöpfung, Verschmitztheit und Sich-Um-Fassung-Bemühen. Ganz spurlos dürfte die Auseinandersetzung also auch nicht an ihm vorbei gegangen sein.
Dann folgte gleich die nächste Stinkefinger-Warnung an die EVP: "Wir können nur in einer Fraktion nach der Wahl bleiben, die gegen die Migration ist." (Spiegel) – Der böse Juncker-Opa wahrscheinlich: "Jetzt geht das doch schon wieder los…!"
"Das Taschenmesser öffnet sich in meiner Tasche." (ungarisches Sprichwort)
Orban bleibt sich treu: Drei Wochen später (am 6. April, pünktlich zum Fidesz-EU-Wahlkampf-Auftakt) brüskierte er (mit einem Sieben-Punkte-Programm) erneut die EVP-Familie:
Er forderte von Entzug der Migrations-Verwaltung weg von den Brüsseler Bürokraten in die Obhut der National-Regierungen. Brüssel dürfe die Soros-Einwanderungs-NGOs nicht mehr finanziell unterstützen, und müsse die Grenzschutz-Kosten zurückerstatten. Niemand dürfe in Europa(!) diskriminiert werden, weil er Christ(!) oder Einwanderungs-Gegner ist". (Hirado) – "Ist Europa ein Ort für Europäer oder für eine Masse aus anderen Kulturen? Verteidigen wir unsere christliche, europäische Kultur oder geben wir dem Multikulturalismus Raum?" (Orban) – Ihm zufolge alles nur ein Synonym für ein "europäisches Bevölkerungsaustauschprogramm: In Europa gibt es keine Kinder mehr, weil unser Kontinent mit Identitätskrisen zu kämpfen hat." (Orban)
Ob der cholerische Juncker-Opa wohl lallend (nach einem seiner Ischias-Anfälle) vor sich hin tobte? "Ich hab’s euch ja gleich gesagt! Der ändert sich nie!" – Damit läge er sogar goldrichtig: "Wir Ungarn leben seit tausend Jahren hier (...), und wir wollen hier mindestens tausend Jahre bleiben, um unsere Grenzen zu wahren. Wir möchten, dass unsere Kinder, Enkelkinder, ihr Leben frei bestimmen können." (Orban)
Alles wie gehabt: "Wir entscheiden über unsere Zukunft und nicht die EVP." – Opa: "Wenn das in die Medien kommt, sind wir geliefert…!" Und zu Orban: "Te nem vagy normalis!" – "Du bist nicht mehr normal!"
Langsam werden Orbans Schachzüge aber verständlich: "Nach der Wahl werden wir sehen, wohin sich die EVP dreht." (Orban) "Im Moment scheint es in Richtung eines linken EU-Imperiums zu gehen, das den Einwanderern überlassen wird." (Orban)
"Besser spät als nie." (ungarisches Sprichwort)
Das heißt:
1.) Orban bleibt bei seiner Anti-EU-Eliten-Rhetorik. Eine (geplante) Anti-Timmermans-Kampagne könnte knapp vor Wahlkampf-Ende folgen. Möchte dann etwa die (linke) EVP-Fraktion wirklich einen Sozialisten verteidigen? Für einen Fidesz-Ausschluss wäre es dann sowieso zu spät.
"Und er legte noch eine Schaufel drauf." (ungarisches Sprichwort)
Denn obwohl "die Menschen in Europa keine Einwanderung wollen", habe "der sozialistische Spitzenkandidat Timmermans eine solche gefordert".
Auch wäre Junker (ein "waschechter Sozialist") verantwortlich für: Den Brexit, die "Migranten-Invasion" und die "Spaltung der EU zwischen Mittel- und Westeuropa". Die Brüsseler-Elite lebe in einer "realitätsfernen Blase". Weber (EVP-Vorsitzender) habe das ungarische Volk beleidigt. Nur ein "Brüsseler Baier" tue sowas, niemals hingegen ein "Münchner Bayer". Die Bilanz Junckers: "Die Briten gehen raus, die Migranten kommen rein."
2.) Damit aber lässt Orban das Damokles-Spaltungs-Schwert über den EVP-Köpfen hängen. Bei einem Ausschluss hätte er diese Möglichkeit nicht mehr gehabt.
3.) Nach innen, nach Ungarn, hat Orban den EVP-Familienfrieden gerettet, denn auch er weiß: Die Ungarn wollen weder einen Austritt aus der EVP noch aus der EU. Zumindest jetzt noch nicht… Die Logik dahinter: Dann muss man ihn also wählen. Sonst könnte er ins Salvini-Lager übertreten. "Etwas für etwas." (ungarisches Sprichwort)
Die Wahlkampagne der ungarischen Sozialisten versucht jetzt genau diese Ängste zu mobilisieren.
4.) Mit der Suspendierung hat die EVP ihr Trojanisches Pferd nur in die Ecke gestellt. Mehr als ein Aufatmen ist das nicht.
"Was sich verspätet, vergeht nicht." (ungarisches Sprichwort)
5.) Orban hat sich längst mit anderen rechts-konservativen Ländern (Italien, Polen, Slowenien …) abgesprochen. Ähnlich wie in der Schlacht von Falkirk (1298): Als die irischen Truppen aus der Armee des englischen Usurpator-Königs Edward auf die Seiten der Schotten überliefen. Dem entgeisterten König blieb damals nur mehr ein: "Diese Iren…" auf der Zunge stecken.
6.) Aus diesem sicheren Rückhalt wartet Orban jetzt getrost den Ausgang der EU-Wahlen ab. Nach wie vor mit beiden Trümpfen in der Hand.
"Das ist nicht mein Tisch." (ungarisches Sprichwort)
Dann zitierte Orban noch eine neue Umfrage, die in ganz Europa gemacht worden ist: Die EU-Bevölkerung habe den Traum auf ein besseres Leben in der nächsten Generation verloren. Nur: Dieser Pessimismus sei ein westlicher. Und an das ungarische Fußvolk gerichtet: "Zeigen Sie Brüssel am 26. Mai, dass das letzte Wort nicht die Soros-NGOs und die Bürokraten in Brüssel haben, sondern die Menschen in den Wahlkabinen." (Orban)
Die aktuelle Wahl-Umfrage sieht so aus (Umfragezeitraum 8.-19. März 2019) Die Suspendierung des Fidesz wurde aber noch nicht berücksichtigt.)
2019 Mandate-Zahl |
Stimmen- Verhältnis |
Mandate- Verhältnis |
2014 | |
Fidesz | 12 | 48,44 % | 57,14 % | 12 |
MSZP-Sozialisten | 3 | 12,5 % | 14,29 % | 2 |
Jobbik | 3 | 14 % | 14,29 % | 3 |
LMP-Grün-Liberale | 0 | 4,69 % | 0 % | 2 |
DK | 2 | 7,81 % | 9,52 % | 1 |
Együtt u. PM | 0 | 0 % | 0 % | 2 |
Momentum | 1 | 6,25 % | 4,76 % | - |
Zwei neuere Umfragen prognostizieren aber steigende Beliebtheit für Orban (Die letzte davon 1. - 28. März 2019 überschneidet sich mit der Suspendierung):
Quelle | Fidesz-KDNP | Jobbik | MSZP-P | DK | Momentum | LMP |
Standpunkt 1. bis 28. März |
14 M. (56%) |
3 M. (12%) |
2 M. (11%) |
1 M. (6%) |
0 M. (4%) |
1 M. (1%) |
publicus 13. bis 20. März |
13 M. (52%) |
3 M. (16%) |
3 M. (15%) |
1 M. (6%) |
1 M. (6%) |
0 M. (3%) |
Erfüllt sich also auch dieses Mal wieder für Orban, das ungarische Sprichwort: "Alles ist gut, solange es ein gutes Ende hat"?
Denn die Suspendierung wurde in Ungarn kaum beachtet. Geringschätzung durch den arroganten Westen ist man im Osten gewohnt. Die Reaktion darauf fiel immer sehr pragmatisch aus: "Macht doch, was ihr wollt!" Oder: "Wenn es für euch gut ist … Für uns ist es das nicht …"
Übrigens müsste ein von Ischias-Schmerzen mehrfach zu Tode Erschrockener doch langsam schon im Stadium der Altersweisheit angekommen sein: "Menschen stehen und warten, das Leben bringt und geht, der Tod kommt und nimmt." (ungarisches Sprichwort)
Dr. Elmar Forster ist Lehrer und lebt(e) seit 1992 als Auslandsösterreicher in Ungarn, Prag, Bratislava, Polen, Siebenbürgen (Rumänien). Seit 2009 unterrichtet er auch wieder an österreichischen Schulen.