Es waren wahrlich groteske Auftritte, die Ex-Vizekanzler und Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner da einen ganzen Tag lang hingelegt hat. Eine Buchpräsentation hätte es werden sollen, eine Abrechnung mit seinem Nachfolger Sebastian Kurz und dazu gleich auch mit der ganzen aktuellen Bundesregierung wurde es dann letztendlich. Erwartungsgemäß, möchte man fast sagen. Denn Mitterlehner bewies auch zwei Jahre nach seinem nicht ganz freiwilligen Abschied aus der Politik noch immer voller Überzeugung, wes Geistes Kind er ist.
Der Mann ist weiter großkoalitionär und alt-schwarz veranlagt bis ins Mark, zeigte offen seine Abscheu für Türkis und Blau und bewies, dass er immer noch nicht ganz durchschaut hat, warum er eigentlich nicht mehr in der Regierung und an der ÖVP-Spitze sitzt. Ein Erhard Busek für Arme, wobei das Original schon kein großer Brüller ist. Dass seine innige Liebe zur SPÖ und zum damaligen Kanzler Kern seine Partei in sämtlichen Umfragen unter die 20-Prozent-Marke und Richtung Einstelligkeit geführt hat, will Mitterlehner nicht einmal wahrhaben. Dass er sich von den Roten ständig über den Tisch ziehen hat lassen, vermutlich auch nicht.
Beim freundschaftlichen Plausch mit Armin Wolf (vergessen all die Gemeinheiten, die der politisch korrekte Inquisitor dem meist hilflosen schwarzen Ex-Häuptling seinerzeit angetan hat) faselte Mitterlehner gar etwas von 29 Prozent, bei denen die ÖVP in Umfragen kurz vor seinem Abgang gelegen haben soll. Der Oberösterreicher hat die Erdatmosphäre offensichtlich vor geraumer Zeit verlassen und schwebt in ganz eigenen Sphären. Er selbst sieht sich als erfolgreichen Macher – na wenigstens einer.
Noch schlimmer als seine Version der Vergangenheit war aber seine Rezeption der Gegenwart. Er unterstellte der Regierung quasi rechtsextrem zu sein, sah die Demokratie in Gefahr und sang ein Hohelied auf "Menschenrechte" (=Asyl à la carte), alles und jeden bereichernde Flüchtlinge, warnte vor Ausgrenzung und sowieso und überhaupt. Ein donnernder Willkommensapplaus wie weiland am Westbahnhof von Parteifreundin Mikl-Leitner praktiziert hätte gerade noch gefehlt. Der liebe Reinhold hat nach wie vor überhaupt nichts kapiert und schwelgt weiter in Willkommenseuphorie wie im Herbst 2015. Dass seine Tatenlosigkeit und Ohnmacht angesichts der illegalen Masseneinwanderung 2015/16 maßgeblich dazu beigetragen haben, dass er seinen Job verloren hat, das dämmert dieser realitätsverweigernden tragischen Figur noch immer nicht.
Angesichts des Gesagten hätte man fast meinen können, Mitterlehner wolle demnächst für die SPÖ kandidieren. Oder für die NEOS. Das Dargebrachte würde aber eventuell sogar für ein Mandat bei den GrünInnen reichen. Es war quasi Erhard Busek meets Christian Konrad & Michael Landau. Gruselig. Wüsste man nicht, wer er ist, man wäre nie auf die Idee gekommen, dass dieser Typ einmal Chef einer angeblich konservativen Partei war.
Für Nachfolger Sebastian Kurz war der bizarre Auftritt seines Vorgängers aber fast wie ein Geschenk. Hätte es Mitterlehner nicht freiwillig gemacht, Kurz hätte sowas direkt bestellen müssen. Denn er wurde von einem Mann, der offenbar jeglichen Bezug zur Wirklichkeit verloren hat, derart plump angepatzt, dass das nur zu noch mehr Sympathie für Kurz bei seinen Wählern führen kann.
Basti das Opfer, Basti der Arme, Basti der zu Unrecht Kritisierte. Der linksdrehende Mitterlehner schimpfte über den neuen Kanzler aus der eigenen(!) Partei wie ein Rohrspatz – ja dann kann der Kanzler mit seiner Linie ja gar nicht so schlecht liegen, wenn ein für Kopfschütteln sorgender Sozen-Verehrer nach zwei Jahren noch immer derart in Rage gerät. Und wenn der frühere Polit-Gatte von Prinzessin Kern dafür auch noch jede Menge Applaus vom politisch links stehenden Gegner erhält, was ja im Grunde nur unterstreicht, wie weit neben der Spur Mitterlehner eigentlich dahintaumelt.
Das ist in Summe wirklich ein Glücksfall, denn diese ganze Farce lenkt perfekt davon ab, dass Kurz zwar sehr viel Positives versprochen hat, bisher aber nur sehr wenig davon umsetzt. Der Kanzler der Herzen und Umfragekaiser tritt zwar gänzlich anders auf, als etwa Mitterlehner oder ein Othmar Karas, im Grunde führt er deren Politik unter der Wahrnehmungsschwelle jedoch trotzdem weiter.
Nämlich indem er viel Angekündigtes still und leise schubladisiert. Etwa die direkte Demokratie, etwa einen echten Grenzschutz, etwa eine echte ORF-Reform und vieles mehr. Dazu erklärte er die Identitären ohne rechtliche Grundlage quasi zu Vogelfreien. Seine Gegner schimpfen trotzdem, als würde Kurz eine knallharte Politik à la Orban oder Salvini praktizieren, was aber wahrlich nicht der Fall ist.
Mitterlehners Ausraster und der Applaus dazu von linker Seite gibt jedoch vielen Österreichern zumindest das GEFÜHL, dass Kurz einen beinhart konservativen Kurs fahren würde. Entgegen der weniger prächtigen Realität. Wie gesagt, für den jugendlichen Kanzler ein echtes Geschenk – Kurz kann Mitterlehner also sogar dankbar sein …
Niklas G. Salm, früher Journalist, schreibt jetzt unter Pseudonym.