Nimm einfach dein Segel aus dem Wind!

Als eine der wichtigsten aktuellen Aufgaben sehen manche die Eindämmung der sogenannten Hassrede in den (sozialen) Medien. Immer lauter wird die Forderung nach strenger strafrechtlicher Verfolgung. Die Befürworter dieses Weges übersehen allerdings zwei wesentliche Aspekte: 

Erstens, dass Kriminalisierung geradewegs zu jenen Zuständen führt, die – meist von den gleichen Personen, die die strafrechtliche Ahndung fordern – als Hauptmerkmal der Diktatur angesehen wird, nämlich Zensur und staatliche Bevormundung. In allen Diktaturen werden sämtliche Äußerungen verboten und unter Strafe gestellt. Damit ist allerdings das höchste Gut einer liberalen Gesellschaft beseitigt. Wer jetzt an Paragrafen im Strafgesetzbuch bastelt, die bestimmte mündliche oder schriftliche Äußerungen verbieten und unter Strafe stellen, führt uns das direkt auf eine Stufe, auf der heute Saudi-Arabien und Nordkorea stehen. 

Zweitens berauben die vermeintlichen Friedensengel die – durchaus bedauerlichen – Menschen, die aus welchen Gründen auch immer ihrem Ärger, ihrer Enttäuschung oder Ohnmacht durch Worte Luft machen anstatt Amok zu laufen und Staatsumsturzpläne zu verfolgen, ihres vergleichsweise harmlosen Ventils. Und befördern genau so jene Entwicklungen, die in den durch Diktaturen geknechteten Gesellschaften Terror und Bürgerkrieg entstehen lassen.

Denn wenn Menschen nicht mehr zumindest verbal ihre – freilich oftmals falschen, unangemessenen und diskriminierenden – Einstellungen von sich geben können, suchen sie sich andere Wege der Äußerung und Beachtung. Es ist eine Illusion und eine üblicherweise ebenfalls von Diktaturen – Stichwort "Umerziehungslager" – verwendete Methode, die Einstellungen von Menschen durch Kriminalisierung ändern zu wollen.

Nachhaltig effektiver wäre es, einen Verirrten oder Verzweifelten sich "auskotzen" zu lassen und mit einer Suppe zu versorgen, die gesundende Ingredienzien enthält, als da wären: Zuhören, Verständnis erzeugen, auf Augenhöhe diskutieren, Ausgleich suchen, konsequent handeln, motivieren, mit gutem Beispiel vorangehen. Am Ende ist jede noch so "entgleiste" Äußerung besser als deren mit den Mitteln des Strafrechts versuchte Unterdrückung. Unterdrückung führt geradewegs in eine immer illiberalere Gesellschaft. Denn schon die Physik lehrt, dass Druck entweder langsam und schadensfrei abgelassen werden kann oder sich in einer Explosion entlädt. 

Ich höre freilich schon die Aufschreie, dass diskriminierende, böse, ja hasserfüllte Äußerungen nicht schadensfrei seien. Das ist zu hinterfragen. Ist es nicht so, dass nur das in den Wind gestellte Segel das Schiff vom Fleck bewegen kann? Übertragen heißt das: Ist es nicht so, dass verbale Angriffe, Beleidigungen und hasserfüllte Äußerungen nur dann einen Schaden anrichten können, wenn sie von den Angegriffenen beachtet werden? Wenn du dein Segel aus dem Wind nimmst, sprich verbale Äußerungen einfach "ned amol ignorierst", hätte das nicht dieselbe Wirkung, nämlich dass der Angriff einfach vorbei streicht? Dass dein Schiff, deine Persönlichkeit unberührt bleibt, wie stark der Wind auch immer bläst? 

Du bist der Kapitän und bestimmst den Kurs, nicht die anderen. Dieses Selbstbewusstsein und der gelassene Umgang mit verbalen Ausfälligkeiten wären die richtige Strategie, um den eigenen Kurs unbeeinträchtigt fortzusetzen.

Nimm einfach dein Segel aus dem Wind!

Lothar Wachter arbeitet als Jurist in Wien, ist darüber hinaus Pferdezüchter und lebt im Weinviertel. 

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung