Innenminister Kickl hat eine Debatte über die Europäische Menschenrechtskonvention gefordert, Bundespräsident Van der Bellen sah daraufhin den Grundkonsens der Zweiten Republik gefährdet. Ist die Menschenrechtskonvention in Stein gemeißelt?
Seit ihrem Inkrafttreten in den 1950er Jahren des vorigen Jahrhunderts ist die Menschenrechtskonvention in mittlerweile 16 Protokollen geändert und ergänzt worden. Die Protokolle betrafen sowohl materielles als auch formelles Recht. Die empirische Antwort auf unsere Frage ist daher einfach: Ja, die Menschenrechtskonvention kann geändert werden, wenn sich unter den Vertragsparteien ein entsprechender Konsens findet.
Der Andeutung des Bundespräsidenten, dass es sich bei Menschenrechtskonvention um eine Art übermenschliche Ordnung handeln könnte, die unabänderliche Regeln beinhaltet, kann also nicht gefolgt werden. Die Regeln der Konvention, die in Österreich im Verfassungsrang stehen, haben zwar eine erhöhte Bestandsqualität, um nicht Spielball von Tagesereignissen zu sein. Im allgemeinen Konsens können sie aber durchaus weiterentwickelt werden.
Jede Rechtsordnung muss, um Bestand zu haben, entwicklungsfähig sein. Andernfalls wäre eine Anpassung an grundlegend geänderte Verhältnisse nicht möglich und eine Gesellschaft wäre dazu verurteilt, in eine Richtung zu steuern, die der Souverän partout nicht will. Wer jedoch das Recht dazu einsetzt, jenes Volk zu erziehen, von dem das Recht nach demokratischem Verständnis ausgeht, bereitet der Revolte den Boden.
Dass selbst die Menschenrechtskonvention kein heiliges Rechtsinstrument ist, hat uns Frankreich im Jahr 2015 vor Augen geführt. Nach den Terroranschlägen im November wurde die Konvention unter Inanspruchnahme der Derogationsklausel teilweise außer Kraft gesetzt. Dieser Rechtszustand dauert bis heute an, ohne dass ein nennenswerter internationaler Protest zu vernehmen wäre und ohne dass Frankreich an den imaginären Pranger der Nationen gestellt würde. Gerade dieses Beispiel zeigt uns, wie wichtig eine allfällige Anpassung der Konvention ist, um eine weitergehende Derogation zu verhindern.
Die Reaktion des Bundespräsidenten, der sich als Schutzherr der Menschenrechtskonvention positioniert hat, gibt aber auch Anlass zur Überlegung, warum er sich im Falle von Verletzungen der Menschenrechtskonvention in Österreich bisher nicht zu Wort gemeldet hat.
So hätte er täglich Gelegenheit sich zur überlangen Dauer von Strafverfahren zu äußern, die im Widerspruch zur Menschenrechtskonventions-Garantie eines fairen Verfahrens stehen und die die ökonomische Zermürbung durchaus leistungsfähiger Mitbürger zur Folge haben. Kein Mensch kann mehr einem bürgerlichen Beruf nachgehen, wenn eine Hauptverhandlung Monate oder gar Jahre dauert. Wie auch immer das BUWOG-Verfahren letztlich ausgeht, kaum ein Angeklagter wird danach am Arbeitsmarkt noch vermittelbar sein. Solche Überlegungen werden die klassischen Etatisten kaum berühren. Ob sich das ändert, wenn sie an die entgehenden Steuereinnahmen in Millionenhöhe denken?
Ein anderes Beispiel bietet der zukünftige burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, der als seinerzeitiger Verteidigungsminister medienwirksam eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft der Republik ankündigte und damit für ein entsprechendes Meinungsklima gegen Airbus sorgte und auch sorgen wollte. Vor kurzem ist bekannt geworden, dass er auch im Zuge des Vorgehens gegen einen bekannten Wiener Investor den Weg der Strafanzeige und ihrer umgehenden Bekanntmachung in der Öffentlichkeit gewählt hat. Sollte er sich die Regeln der Menschenrechtskonvention für ein faires Verfahren und die hierzu ergangene Judikatur einmal näher anschauen, würde er wohl Augen machen im Hinblick auf die Verpflichtung der Republik, für ein unbefangenes Meinungsklima Sorge zu tragen.
Der Bundespräsident hätte also schon im Alltag durchaus Gelegenheit, sich für die Menschenrechtskonvention stark zu machen. Wenn er demnächst den Landesrat Doskozil als burgenländischen Landeshauptmann angelobt, könnte er dieses Treffen nutzen, um ein Gespräch über den Artikel 6 der Menschenrechtskonvention und die Erfordernisse eines fairen Verfahrens zu führen.
Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er in der ÖVP-Fraktion Abgeordneter im Nationalrat gewesen.