„Hass im Netz“ oder der Kampf der Regierenden gegen das Internet

Mit der sich nunmehr konkretisierenden "Klarnamenpflicht light", nur mehr gegen Bekanntgabe der (personalisierten) Handynummer in öffentlichen Foren posten zu dürfen, setzt die türkis-blaue Regierung ohne erkennbare Not massive Einschnitte in eine niedrigschwellige und offene Nutzung des Internets. Beginnen wir die Analyse mit der FPÖ, wenngleich die ÖVP als der Hauptmotor erscheint.

Es ist unbegreiflich, warum die FPÖ überhaupt auf das Thema "Hass im Netz" aufspringen musste, um hierzu Regierungsgipfel abzuhalten und nun offenbar Maßnahmen beschließen zu müssen. Der Topos "Hass im Netz", speziell mit Bezug auf Frauen, ist ein klassisches Linksthema, bei dem die FPÖ nur verlieren kann. Schließlich werden gegenwärtig auch keine Vermögenssteuern diskutiert, als ob auf diesem Feld dringend irgendetwas geschehen "müsse", oder die Abschaffung des Gymnasiums.

Egal, wofür die Regierung sich entschließt – die FPÖ wird vor ihren Wählern (insbesondere vor ihren nationalliberalen Kernschichten) als Weichei dastehen: Ein neues Strafgesetz gegen "Hass" und sexuelle Belästigung im Netz, wie es die Linke fordert, hätte auch von Rot-Schwarz kommen können. (Vom Tisch scheint selbst diese Variante nicht, werden doch die Ergebnisse der "Taskforce Strafrecht" erst präsentiert!) Eine Kopie des Maas’schen (bundesdeutschen) Netzwerkdurchsuchungsgesetzes ist erst recht ein Schlag ins Gesicht der Kernwähler, aber ebenso jede Zugangshürde für die User, auch weiterhin niedrigschwellig zu aktuellen Themen posten zu können.

Vergegenwärtigt man sich den Anlass der im Herbst (künstlich) neu aufgeflammten Debatte, zeigt sich noch deutlicher, dass es ein politischer Fehler der FPÖ war, hieraus überhaupt ein Thema werden zu lassen: Eine Grün-Funktionärin wurde von einer Privatperson (!) in einer privaten (!) Nachricht mit sexualbezogenen Inhalten behelligt. Wäre dies per klassischem Brief erfolgt, würde gewiss keine Diskussion ausbrechen, ob man weiterhin anonym am Postamt einen Brief aufgeben dürfe beziehungsweise ob es noch Postkästen ohne eingebautes Identifizierungsportal geben dürfe.

Wird tatsächlich eine Identifizierungspflicht für öffentliches Posten beschlossen, droht der FPÖ ein Mobilisierungsproblem – vielleicht schon bei den kommenden EU-Wahlen. Karas und die sonstige vereinigte Linke werden sich ins Fäustchen lachen, wenn die FPÖ deutlich unter ihren Erwartungen bleiben sollte. Greift die SPÖ das Thema auf (der "Standard" beginnt bereits zu kampagnisieren!) und unterstützt sie etwa ein überparteiliches Volksbegehren für die Freiheit des Internets, hätte sie das langersehnte Thema gefunden, mit dem sie politisch wieder Tritt fassen kann.

Eine Identifizierungspflicht betrifft übrigens nicht nur politisches Posten, sondern z.B. auch medizinische Foren zu seltenen Erkrankungen. Hier ist es essentiell, dass weit voneinander entfernt lebende Personen Erfahrungen mit Kliniken und Ärzten offen untereinander austauschen können, ohne befürchten zu müssen, von einem Arzt, der kritisiert wird, mit Klage bedroht zu werden.

Selbstredend wird der "Hass" auch nicht zurückgehen, wenn man Freiräume einengt, die Menschen unter einen Generalverdacht stellt und kontrolliert. Im Gegenteil: Wenn man bei kritischen Postings berufliche Nachteile befürchten muss (Stichwort: Veröffentlichung gehackter Userdaten), werden erst recht nur noch der 56-jährige Sozialhilfeempfänger und der 24-jährige Frühpensionist posten.

Eine Identifizierungspflicht ist die Grundlage für weitere Schritte gegen den nicht enden wollenden "Hass": Wenn man mittlerweile bereits einen Ausbildungsnachweis braucht, um mit einem Hund äußerln zu gehen, könnte Politikern die Idee kommen, dass auch zu "sensiblen" Themen nur noch posten darf, wer nachweislich Kurse zu der Thematik besucht hat. Dann muss man neben der Handynummer einen Ausbildungsnachweiscode eingeben, um freigeschaltet zu werden. In einem Krebsforum dürfte niemand mehr posten, der durch eine kritische Sicht der Schulmedizin Patienten verunsichern könnte, und zu gesellschaftspolitischen Themen wären nur noch Diskutanten zugelassen, die eine staatlich anerkannte Schulung über Gender und Diversity durchlaufen haben.

Da Mehrfachprofile derselben Person nicht mehr möglich sind, könnten Behörden sich leichter einen Überblick verschaffen, wie viele User ein Forum tatsächlich hat. Ab einer bestimmten Anzahl an Usern braucht es dann eine Ausbildung zum zertifizierten Forumsbetreiber, und dazu einen neu zu schaffenden Gewerbeschein, damit auch die Wirtschaftskammer etwas davon hat. Ab einer weiteren Anzahl an Usern muss außerdem ein Antidiskriminierungsbeauftragter ernannt und der Behörde bekanntgegeben werden.

Das Internet ist ja kein rechtsfreier Raum, wo einfach jeder Journalist und Kommentator sein kann! Auch die Auslegung der durch Reformation und Buchdruck in ihrer Muttersprache zugänglich gewordenen Bibel wurde den Bauern und Bergknappen bald wieder genommen. Ein weiterer Schritt könnte sein, bereits das Aufrufen von Seiten zu bestimmten Themen an eine vorgängige Identifizierung zu knüpfen, damit die Behörde immer weiß, wer genau wann eine bestimmte Seite aufgerufen hat. Natürlich mit Rechtsschutzbeauftragtem und Grundrechtsschutz der EU.

Wehret den Anfängen! Die FPÖ wäre jetzt gut beraten, nach Kräften regierungsintern zu verwässern, was nur geht, wenn sie sich schon nicht traut, die derzeitige Rechtslage schlicht für ausreichend zu erklären. Ihr ist zu wünschen, dass ihr in nächster Zeit viel Kritik von der eigenen Basis entgegenschlägt ("Seid’s deppat?"). In die ÖVP hingegen ist keine Hoffnung zu setzen. Nicht nur Blümel, auch Bogner-Strauß oder Edtstadler könnten hinsichtlich ihrer Haltung zu "Hass" und Meinungsfreiheit genauso gut Politiker der Grünen sein.

Doch die Sache geht tiefer: Es ist der ÖVP offenbar wesensimmanent, gesellschaftliche Freiräume zu zerstören. Mit "Schwarz-Blau I" mussten unbedingt Studiengebühren her, als ob ein Bummelstudent, der kaum Leistungen der Universität in Anspruch nimmt, den Staat etwas kostete. Die Studiengebühren wurden abgeschafft, aber was blieb, ist ein durch und durch technologisierter, zentral verwalteter Lehrbetrieb, der es z.B. nicht mehr zulässt, eine Vorlesung zu kolloquieren, zu der man sich nicht schon vorab elektronisch angemeldet hat. Wer erst nach einem Monat erfährt, wie hervorragend die Vorlesung des X ist, hat Pech gehabt und kann nur hoffen, dass diese irgendwann wieder abgehalten wird.

Alles muss verwaltet und kontrolliert werden. Nun soll offenbar auch das Internet daran glauben. Wer kein Handy besitzt (auch das gibt es!), muss sich extra eines zulegen, um überhaupt noch posten zu können. Aber auch wer eines besitzt, kann nicht mehr einfachhin als "Gast" kommentieren, wenn man in den Weiten des Netzes auf eine interessante Diskussion stößt, zu der man spontan etwas beitragen kann. Spontaneität ist unerwünscht. In keiner anderen Partei konnte der Verfasser dieses Kommentars derart gelenkte und steril durchinszenierte "Diskussions"-Veranstaltungen erleben wie in der ÖVP.

In einem weiteren Punkt muss man der Kritik von links an den Regierungsplänen Recht geben: Um Frauen geht es bei alldem gar nicht. Zeitgeistig-linke Sujets und Ideologeme werden von vielen Schwarzen (gleich ob schwarz oder türkis) schlicht als Waffe verwendet, um mit einem "modernen" Anstrich umso hemmungsloser autoritäre Politikmuster durchzusetzen. Das unterscheidet sie von den Grünen, die die anderen Parteien zwar an Militanz übertreffen, aber wenigstens ehrlich an das glauben, was sie vertreten.

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Lehrer, Philosoph und Buchautor.

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