"Skin in the Game" ("Das Risiko und sein Preis") heißt der jüngste Bestseller aus der Feder des libanesischen Finanzmathematikers Nassim Nicholas Taleb ("Black Swan", "Antifragilität"). Die Kernthese seines neuen Buches: Entscheidungen, die unter der Voraussetzung getätigt werden, dass die dafür Verantwortlichen für alle Folgen haften müssen, werden besser überlegt, als wenn das nicht der Fall ist. Die Basis rationalen und verantwortungsvollen Handelns besteht für Taleb darin, seine Haut dabei riskieren zu müssen.
Ein Faktencheck erweist die Wahrheit von Talebs These: Jeder Unternehmer gefährdet den Fortbestand seines Betriebes, wenn er schwerwiegende Fehlentscheidungen trifft – etwa hinsichtlich einer großen Investition oder wichtiger Stellenbesetzungen. Er wird folglich sein Risiko sorgfältig analysieren und entsprechend handeln. Wenn er falsch kalkuliert oder bestehende Risiken fehlerhaft einschätzt, trägt er – und nur er – die Verantwortung dafür. Er riskiert seine Haut. Er haftet mit seinem guten Ruf, seinem Vermögen und eventuell sogar mit seiner persönlichen Freiheit für die Folgen seines unternehmerischen Handelns. Im Extremfall muss er strafrechtliche Konsequenzen (z. B. wegen fahrlässiger Krida) gewärtigen.
Haftung und Verantwortung bilden daher das Fundament der bürgerlichen Ordnung. Die unangenehmen Konsequenzen jedes selbst zu verantwortenden Scheiterns üben eine unübersehbar disziplinierende Wirkung auf die (Wirtschafts-)Akteure aus. Wer aber die Entscheidungsmacht von Verantwortung und Haftung entkoppelt, setzt damit krasse Fehlanreize und öffnet den Weg zum "Moral Hazard".
Anders als in der Sphäre des Marktes, auf der Konkurs- und Strafgerichte die Rolle wirkungsvoller Korrektive übernehmen, exponiert sich auf dem Feld der Politik keine der handelnden Personen in ähnlicher Weise wie ein Unternehmer. Haftung und Verantwortung? – Absolute Fehlanzeige! Kein Politiker riskiert seine Haut. Die Folgen ihrer Fehlentscheidungen tragen niemals die Politiker selbst, sondern stets die Bürger und Steuerzahler. Zivil- und strafrechtliche Konsequenzen haben Politiker allenfalls dann zu fürchten, wenn ihnen eine Schädigungsabsicht nachgewiesen werden kann, was nur äußerst selten gelingt. Das ist übrigens nicht zuletzt deshalb kein Wunder, weil Richter und Staatsanwälte ja schließlich von derselben Firma bezahlt werden wie unfähige oder korrupte Politiker – und eine Krähe der anderen bekanntlich kein Auge aushackt.
Ein aktuelles Beispiel für die üblen Folgen des Mangels an "Skin in the game" bildet das "Volksbegehren Don´t smoke", das von knapp 900.000 Personen unterschrieben wurde. Es geht den Initiatoren dabei um nicht weniger, als um die Forderung nach einem unerhörten hoheitlichen Übergriff auf private Etablissements und anmaßende Eingriffe in private Vertragsverhältnisse – nämlich auf die zwischen Gastwirten und deren Kunden. Was völlig ignoriert wird: Ein Geschäftslokal, eine Gastwirtschaft oder ein Kaffeehaus sind mitnichten "öffentliche Orte", wie etwa Ämter oder Bundesstraßen. Die Regeln innerhalb privater Zonen stellt aber – abseits totalitärer Despotien – allemal der Hausherr auf und nicht die sich zum Erzieher mündiger Bürger aufschwingende Staatsbürokratie.
Dass viele Gastonomen kostspielige Anstrengungen unternommen haben, um in ihren Lokalen mittels aufwendiger Umbauten rauchfreie Zonen zu schaffen, ist den Initiatoren und Unterstützern dieses Volksbegehrens egal. Sie gehen aufs Ganze. Sie treten die Rechte privater Eigentümer mit Füßen und gerieren sich in der Art von Gesundheitsfaschisten. Sie haben "keine Haut im Spiel". Es geht sie nicht das Geringste an, welche Regeln ein Gastwirt aufstellt, der sie ja schließlich nicht dazu nötigen kann, seinen Betrieb aufzusuchen. Sie maßen sich aber dennoch an, ihm Vorschriften über die Art und Weise zu machen, wie er sein Lokal zu führen hat und wen er dort willkommen heißt. Die hohe Zahl an Unterstützern dieses Anschlags auf die Privatrechtsautonomie wirft ein ungünstiges Licht auf die politische Verortung vieler heimischer Wahlberechtigter. Nicht auszudenken, welches Ergebnis eine Abstimmung über die kollektive Enteignung aller "Reichen" hierzulande zeitigen würde.
Wendet man Nassim Talebs eingangs dargelegte Überlegung auf das Feld der Politik an (und es gibt nicht den geringsten Grund, davon abzusehen), kommt man um den Befund nicht herum, dass es an der Zeit ist, ernsthaft über die Einführung zivil- und strafrechtlicher Haftungen von Wählern und Gewählten nachzudenken. Es kann nicht angehen, dass in der politischen Sphäre absolute Narrenfreiheit für jeden selbsternannten Westentaschendiktator herrscht, der niemals für die von ihm angerichteten Schäden zur Verantwortung gezogen werden kann.
Nur dann, wenn nicht nur auf der freien Wildbahn des Marktes, sondern auch bei politischen Abstimmungen jeder seine Haut zu riskieren gezwungen ist, sind verantwortungs- und sinnvolle Entscheidungen zu erwarten.
Dass das Stimmgewicht jedes Bürgers an seine persönlichen Leistungen für das Gemeinwesen gebunden werden sollte (zweckmäßigerweise an die leicht messbaren direkten Steuerleistungen), ist eine andere Baustelle. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August Hayek hat in diesem Zusammenhang schon vor mehreren Jahrzehnten den mehr als diskussionswürdigen Vorschlag unterbreitet, Beamte und alle Bezieher staatlicher Transferzahlungen vom aktiven und passiven Wahlrecht auszuschließen.
Das gegenwärtig herrschende System der beidseitigen Verantwortungslosigkeit von Wählern, Gewählten und Initiatoren von Anschlägen auf das private Eigentum ist jedenfalls abzuschaffen. Ein Gemeinwesen, in dem diejenigen das faktisch unumschränkte Sagen haben, die wenig bis gar keine Haut im Spiel haben, die somit alle negativen Konsequenzen ihrer (Fehl-)Entscheidungen und Handlungen Dritten aufbürden können, ist autodestruktiv. Der rapid fortschreitende Niedergang der im wohlfahrtsstaatlichen Sozialdemokratismus gefangenen Alten Welt ist ja für jedermann unübersehbar, der seinen Sinn für die Realität noch nicht gänzlich verloren hat.
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.