Das Pokern um eine Verfassungsmehrheit

Derzeit bemüht sich die Regierung an ein zwei Fronten um eine Verfassungsmehrheit: Einerseits soll das Staatsziel Wirtschaft in die Verfassung Eingang finden, andererseits ist eine Bereinigung der Kompetenzen von Bund und Ländern angedacht. In beiden Kammern des Parlaments fehlt der Bundesregierung die notwendige 2/3-Mehrheit. Der taktische Zugang zur Lösung dieser Herausforderungen ist durchaus unterschiedlich.

Dass die Koalition "die Wirtschaft" als Staatsziel in die Bundesverfassung schreiben möchte, hat bekanntlich einen handfesten Grund: Bei der Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes zur dritten Piste des Wiener Flughafens beriefen sich die Richter in ihrer Begründung auf die Staatszielbestimmung Umwelt, der sie mangels gleichwertigen Pendants Wirtschaft in der Verfassung den Vorzug gaben.

Rechtstheoretisch haben Staatszielbestimmungen einen unverbindlichen Charakter. Daher glaubten die Abgeordneten seinerzeit, dass sie alles Mögliche, was politisch gut klingt, folgenlos in der Verfassung verankern können. Also beschloss der Gesetzgeber 2013 das "Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung". Weil die Verwaltungsrichter diese Bestimmung ernst zu nehmen begonnen haben, soll diese rechtsdogmatische Verwirrung nunmehr durch ein Staatsziel Wirtschaft besänftigt werden.

Leider fehlt der Koalition hiefür die Verfassungsmehrheit. Diese können im Nationalrat SPÖ oder NEOS, im Bundesrat die SPÖ verschaffen. Also sprach man mit den NEOS, erzielte insbesondere durch die Einführung des Adjektivs nachhaltig einen abschwächenden Kompromiss – und holte sich schon am nächsten Tag eine Abfuhr. Denn die NEOS gaben offensichtlich dem Druck von Umweltschutzorganisationen nach und zogen ihre Zusage zurück. Taktisch bleibt die Regierungskoalition offensichtlich bei ihrem Kompromiss und überlässt die NEOS ihrem Schicksal zwischen den Polen wirtschaftsliberal und Ersatz-Grün. Die SPÖ, die man im Bundesrat brauchen wird, bleibt in Lauerstellung.

In Lauerstellung bleibt die SPÖ auch, was die Kompetenzbereinigung betrifft. Diese haben die roten Ländervertreter zumindest teilweise mitverhandelt und daher erhofft sich die Koalition, dass auch die Bundes-SPÖ mitziehen werde. Ein SPÖ-Klub mit einem Andreas Schieder in statu abeundi wird vielleicht keinen großen Widerstand mehr leisten und der Rest der Mannschaft muss sich sowieso erst formieren.

Die Regierung setzt derweil auf PR. Sie propagiert die Kompetenzbereinigung als größte Verfassungsreform seit 1929, was vielleicht stimmt – allerdings nur deshalb, weil es keine großen Verfassungsreformen gegeben hat. Die Verfassung war seit Jahrzehnten ein Spielfeld, auf dem Rot und Schwarz faule Kompromisse platziert haben. Dieses Regelwerk ist schon legistisch durch Verfassungsgesetze und Verfassungsbestimmungen so zersplittert, dass die Bundesverfassung nicht zu überschauen ist. Die Konzentration auf ein B-VG wäre tatsächlich eine große Reform.

Wenn Türkis-Blau darauf setzt, dass die geplante Kompetenzbereinigung über die Interessenlage der SP-geführten Länder eine qualifizierte Mehrheit finden könnte, kopiert sie die bewährte Machterhaltungstaktik des ORF hinsichtlich der ÖVP: Knacke die Bundespartei, indem Du die Länder bei ihren eigenen Interessen packst. Sollte der Trick allerdings nicht aufgehen, könnte die Koalition dastehen wie bei der Verkündung der Schließung der Moscheen, die bald wieder die Toren öffneten.

Vielleicht setzt die Regierung bei der Bewerbung der Kompetenzbereinigung auch auf die Karte der sich selbst erfüllenden Prophezeihung und erhofft sich ein Mitziehen der Opposition, weil diese nicht als Blockiererin dastehen möchte. Das wäre für die SPÖ allerdings etwas ganz Neues.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er Abgeordneter im Nationalrat gewesen.

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