Der Verwaltungsgerichthof hat ein richtungsweisendes Urteil in der Causa um die türkischen Staatsbürgerschaften gesprochen. Die Listen, welche mehrere Detaildaten (wie Vornamen, Nachnamen, Geburtsdatum, ID-Nummer, Adressen, usw.) beinhalten und welche 2017 der österreichischen Politik zugespielt worden sind, wurden vom Höchstgericht als türkische Wählerevidenzlisten gewertet.
Diese Entscheidung hat fatale Auswirkungen, nicht nur für jene türkischen Staatsangehörigen, bei denen bisher von den österreichischen Behörden ein Prüfungs- und Aberkennungsverfahren eingeleitet worden ist, sondern auch für alle jene, welche noch auf dieser Liste stehen. Es ist dafür Tür und Angel geöffnet worden, dass gegen alle ein Verfahren eingeleitet wird, die sich auf dieser Liste befinden und die im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft sind. Auf diesen Wählerlisten sind ca. 120.000 Personen registriert.
In aller Klarheit muss gesagt werden: Die einzigen Verantwortlichen für die Zuspitzung dieser Situation sind einerseits in Ankara zu finden und andererseits bei ihren verlängerten Armen in Österreich, welche das Vereinsgesetz missbrauchen und wie politische Parteien agieren, jedoch vom Ausland gesteuert sind. Im Zuge des türkischen Verfassungsreferendums vom 16.04.2017 wurde der türkische Wahlkampf trotz gesetzlichen Verbotes, den Wahlkampf im Ausland zu führen, in die Diaspora der europäischen Großstädte getragen, wo große türkische Communitys anzutreffen sind. Das türkische Gesetz verbietet aber explizit den Wahlkampf im Ausland. Die AKP hat dieses Gesetz, als Erdogan noch Premierminister war, im Jahre 2000 selbst unterschrieben, hat es aber nicht ernst genommen. [1]
Erdogan sprach zu seinen herbeigekarrten Jüngern und füllte so Messehallen. Die Wahlkampfauftritte seiner Unterstützer in Österreich und die darauf folgenden Ausschreitungen sorgten aber für viele negative Bilder. Das verstärkte die pauschal ablehnende Haltung gegenüber allen Türken. Dadurch wurden auch jene aus der Türkei stammenden Menschen, die ganz anders denken, direkt oder indirekt in Geiselhaft genommen. Eine Win-Win-Situation für Erdogan und die Rechten in Österreich.
Die türkischen Behörden verweigern seit Jahren jegliche Kooperation mit den österreichischen. Um die österreichische Staatsbürgerschaft endgültig verliehen zu bekommen, muss man den Nachweis des Austritts aus der türkischen Staatsbürgerschaft antreten. Anfragen der österreichischen Behörden, ob es in bestimmten Fällen einen Wiedereintritt in den türkischen Staatsverband gegeben hat, wurden aber nie beantwortet. Dass sich der Rechtsstaat diesen Zustand nicht auf Dauer gefallen lassen kann, war abzusehen. Mit dem Auftauchen dieser türkischen Wählerevidenzliste und durch das Hereintragen des türkischen Wahlkampfes nach Österreich haben nun unsere österreichischen Behörden erstmals die Möglichkeit bekommen, gegen unrechtmäßig vorhandene Doppelstaatsbürgerschaften vorzugehen. Dass nun alle türkischen Staatsangehörigen betroffen sind und nicht nur jene, welche nach dem Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft wieder um Eintritt in den türkischen Staatenverband angesucht haben, ist einzig und allein Verschulden der türkischen Politik.
Selbst jene türkischen Staatsbürger, welche sich beim türkischen Konsulat in Salzburg oder Wien die Bestätigung über den Austritt aus dem türkischen Staatsverband holen wollten, um diese den österreichischen Behörden vorlegen zu können, warten nun vergeblich darauf. Denn die Konsulate haben die Anweisung aus Ankara erhalten, selbst keine Austrittsbestätigungen aus dem türkischen Staatsverband auszustellen. Die türkischen Konsulate sind angehalten, die entgegengenommenen Anträge ins Ministerium nach Ankara zu schicken. Von dort kommt jedoch kaum eine Antwort.
Spätestens jetzt müssten jene türkischen Staatsbürger, welche noch einen Rest an Verstand und Vernunft besitzen, erkennen, dass sie zum billigen Faustpfand für eine noch billigere Politik Erdogans geworden sind. Denn so lange dieser Zustand anhält, wird die Verzweiflung und Wut der betroffenen Bürger wachsen und Erdogan wird mit dem Finger als Schuldigen auf Österreich zeigen.
Was er von unserem Land und seinen gewählten Repräsentanten hält, hat er in der Vergangenheit bereits mehrmals in negativer Weise medienwirksam kundgetan. Dieser Umstand wird die Stimmung in Österreich noch weiter verschlechtern.
Wenn keine humanitäre und vernünftige Lösung gefunden wird, müssen türkische Staatsangehörige, die seit Jahrzehnten in Österreich leben, damit rechnen, sehr vieles zu verlieren, was sie aufgebaut haben. Die ohnehin schwierige Integration der aus der Türkei stammenden Mitbürger wird noch schwieriger werden. Menschen, welche nichts mehr zu verlieren haben, erhöhen nicht gerade die Sicherheit und Zufriedenheit in einem Land.
Eine mögliche humane Lösung für dieses Problem räumt das gegenwärtige Staatsbürgerschaftsgesetz ein. Putativösterreicher sind jene Fälle, die von einer österreichischen Behörde fälschlich für einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren als österreichischer Staatsbürger behandelt wurden. Diese können per Anzeige binnen sechs Monaten ab Kenntnis der fälschlichen Behandlung einen Antrag um neuerliche Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft einbringen. Ob politisch dafür grünes Licht gegeben wird, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Wir werden sehen, welcher Kurs eingeschlagen wird: Konfrontation oder Konsens?
Als Verfassungspatriot respektiere und verteidige ich die österreichischen Gesetze. Wohin es führt, wenn die Verfassung und Gesetze außer Kraft gesetzt werden, erkennen wir am Weg, den die Türkei unter Erdogan eingeschlagen hat. Solche Zustände möchte ich niemals erleben – weder in Europa und schon gar nicht in Österreich.
Es gibt mehrere Länder, welche eine Doppelstaatsbürgerschaft akzeptieren wie zum Beispiel die Schweiz seit 1. Jänner 1992, Frankreich, Irland, Italien, Portugal, Ungarn oder das Vereinigte Königreich. Selbst in Österreich sind bestimmte Doppelstaatsbürgerschaften laut Staatsbürgerschaftsgesetz und bilateralen Abkommen mit Drittstaaten erlaubt. Bei der politischen Forderung nach Einführung der Doppelstaatsbürgerschaft für die Südtiroler wird ohne Konsens auf italienischer und österreichischer Seite keine Einigung erzielt werden. Ob diese Forderung in einem geeinten Europa überhaupt notwendig ist, steht auf einem anderen Blatt.
Der Staat und seine Politiker sollten immer lösungsorientiert und human agieren. Nachdem sehr viele Fälle an mich herangetragen worden sind, wo Menschen verunsichert, verärgert und von den Entwicklungen unverschuldet betroffen sind, ist es meine Aufgabe, hier nach Lösungen zu suchen, aber auch vor bedenklichen Entwicklungen und daraus möglicherweise resultierenden negativen Ereignissen zu warnen. Wir dürfen nicht tausende Menschen kriminalisieren, welche unwissentlich und ohne böse Absicht einen verwaltungsrechtlichen Verstoß begangen haben,
- indem ihre Eltern, als sie noch Kinder waren, um den Wiedereintritt in den türkischen Staatenverband angesucht haben,
- oder deren Namen seitens der türkischen Behörden nicht aus den Wählerevidenzlisten gelöscht wurden,
- oder bei denen ein Elternteil bereits die österreichische Staatsbürgerschaft besessen hat und der andere Elternteil nicht.
Wenn hier Existenzen vernichtet werden und das gesamte Leben, welches sie in Österreich aufgebaut haben, den Bach hinunter geht, dann löst dies sicherlich keine Probleme. Was wir nun machen müssen, ist den Betroffenen zu erklären, dass sie eindeutig Spielball der türkischen Innenpolitik geworden sind. Und dass die Lösung ihrer Probleme darin liegt, sich vom türkischen Einfluss in Österreich zu lösen. Das Erdogan sie als Devisen- und Stimmenbringer sieht, jedoch nichts zur Lösung ihrer Probleme beiträgt, müsste nun auch der hörigste und intellektuell schlichteste Unterstützer von Erdogan erkennen.
Wir sollten hier eine humanitäre Lösung finden. Alles Andere bringt nur Unglück!
[1] https://www.welt.de/politik/deutschland/article162717184/Tuerkisches-Gesetz-verbietet-explizit-den-Wahlkampf-im-Ausland.html
Efgani Dönmez ist unabhängiger Abgeordneter zum Nationalrat. Er ist Oberösterreicher, türkischstämmig und mutiger Kritiker aller fundamentalistischen und antidemokratischen Tendenzen. Ein progressiver Vordenker und Verfassungspatriot, welcher abseits von Schubladendenken agiert.