Mazedonien liegt nicht nur geographisch ziemlich am Rande Europas. Für viele Europäer liegt es auch außerhalb der allgemeinen Wahrnehmung und des politischen Interesses. Dies ist nicht nur schade, weil das kleine Land am südlichen Balkan reich an hochrangiger kultureller Tradition und an landschaftlicher Schönheit ist. Es ist auch bedauerlich, weil Mazedonien derzeit in eine Schlüsselposition geraten ist, die für die Entwicklung der ganzen Europäischen Union bedeutsam sein wird. Mazedonien hat sich diese Position nicht selbst ausgesucht, sondern wurde in diese hineingedrängt, indem es zum Aufmarschgebiet supranationaler Interessen und globaler Kalküle erklärt wurde.
Das war bedauerlicherweise bereits am Anfang seiner Eigenstaatlichkeit so, als Mazedonien nach langer Fremdherrschaft und dem gewaltsamen Zerfall Jugoslawiens 1992 eine eigene, der Geschichte, seiner Kultur und der Identität des Volkes entsprechende Staatlichkeit ausbilden wollte. Auf Verlangen Griechenlands wurde Mazedonien 1993 mittels eines Ultra-vires-Aktes in die Vereinten Nationen aufgenommen, der illegale und mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Passagen enthielt: Der Staat sollte als "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" bezeichnet und dazu gezwungen werden, mit Griechenland um seinen zukünftigen Namen zu verhandeln.
Aufgrund vieler kreativer Bemühungen angesehener Mazedonier in- und außerhalb des Landes wurde Mazedonien um die Jahrtausendwende dennoch wirtschaftlich und kulturell gut positioniert. In den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts erfolgten eine innere finanzielle Konsolidierung und eine Erhöhung des Attraktivitätsgrades für internationale Investoren.
Die prinzipielle Geneigtheit der jeweiligen Regierungen, Mazedonien den großen internationalen Organisationen zuzuführen, um es zu stabilisieren, ging den großen Playern einer an Globalisierung und der "Eine-Welt-Ideologie" ausgerichteten Politik allerdings zu wenig weit und zu wenig schnell. Diese wollten Mazedonien um jeden Preis der Europäischen Union eingliedern und als geostrategisch wichtiges Territorium in die NATO bringen.
Dementsprechend nahm das Ausmaß der Bemühungen transatlantischer Einflussträger und Aktivisten eines globalen Kultursozialismus in Mazedonien stetig zu. Sattsam bekannte NOGs und ihre Financiers wurden im Land immer aktiver. Die Verheißung des EU-Beitritts wurde gleichermaßen als Lockmittel wie als Drohung zum Einsatz gebracht. Und der Druck hochrangiger EU-Funktionäre, die nach einer Stärkung der "Rechte nationaler Minderheiten" riefen, nahm enorm zu.
Am 17. Juni 2018 wurde zwischen den Außenministern Griechenlands und Mazedoniens ein "Streitbeilegungs- und Partnerschaftsabkommen" unterzeichnet. Dieses sogenannte "Prespa-Abkommen" hat nicht nur die Änderung des Namens der Republik Mazedonien auf "Republik Nordmazedonien" zum Gegenstand, sondern vielmehr die Neudefinition der mazedonischen Identität, Kultur und Geschichte. Der Vertrag sieht vor, Autokennzeichen, Geschichtsbücher, kommerzielle Namen, behördliche Dokumente sowie staatliche Institutionen zu modifizieren, die in Verbindung mit dem bisherigen Namen und der Identität Mazedoniens stehen.
Dadurch und durch eine Vielzahl weiterer Detailbestimmungen werden das Titularvolk Mazedoniens, aber auch die außerhalb der Staatsgrenzen lebenden Mazedonier, ihres durch gemeinsame Eigenbezeichnung, Sprache, Abstammung, Geschichte, Kultur entwickelten Selbstverständnisses und Gemeinschaftsgefühls sowie der Verbindung zu einem bestimmten Gebiet beraubt. Ihnen wird eine neue Identität oktroyiert, die am Diktat von 1944 anschließt, mit dem – unter Abtretung wichtiger mazedonischer Gebiete an Griechenland, Bulgarin, Serbien, Albanien – die "Sozialistische Republik Mazedonien" errichtet wurde
Dieser Vorgang ist historisch beispiellos. Er verstößt gegen fundamentale Standards der Menschenrechte und des Völkerrechts. Der genannte Vertrag ist ein "Nicht-Dokument" oder zumindest verfassungswidrig zustande gekommen. Gemäß der Verfassung der Republik Mazedonien obliegt der Abschluss von Staatsverträgen dem Staatsoberhaupt. Jedoch verfügte der mazedonische Außenminister weder über eine Verhandlungs- noch Unterzeichnungsermächtigung seitens des Staatspräsidenten (Kopenhagen 1990, 5.3.).
Das gilt auch und besonders für den bevorstehenden Schlag, mit dem die Regierung das eigene Volk zu entmündigen gedenkt: Denn auch das konsultative Referendum, in welchem am 30. September die Bürger Mazedoniens zu dem Abkommen der beiden Außenminister von Mazedonien und Griechenland befragt werden, verstößt in Form und Inhalt gegen zahlreiche Normen der OSZE im Bereich der menschlichen Dimension.
Eine synthetische Betrachtung aller einschlägigen OSZE-Dokumente im Bereich der menschlichen Dimension ergibt, das jedes Volk das Recht auf Selbstdefinition seiner Identität hat. Dies umso mehr als dieser Prespa-Vertrag unter Zwang zustande kam, nämlich durch eine – nach einem putschartigen "Regime change" in Skopje im Frühjahr 2017 – de facto von USA, NATO und EU eingesetzte Regierung.
Bereits die Formulierung der Referendums-Frage verstößt gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Klarheit und Eindeutigkeit staatlicher Dokumente. In einer einzigen Frage soll gleichzeitig über die Namensfrage Mazedoniens wie über die Mitgliedschaft des Landes bei der Europäischen Union und der NATO abgestimmt werden. Damit sind die Voraussetzungen eines freien Abstimmungsverfahrens nicht gegeben. EU und Transatlantisches Militärbündnis üben einen großen politischen Druck aus.
Die nächsten Tage werden zeigen, ob die internationale Menschenrechtsgemeinschaft imstande ist, die existenzbedrohenden Übergriffe der globalistischen Machtpolitik gegen das kleine Mazedonien entgegenzutreten.
Martina Veljanoska ist Politologin. Aufgrund ihrer mazedonischen Wurzeln ist sie bilingual aufgewachsen. Sie studierte Jus und Politikwissenschaften in Wien, wo sie auch lebt. Sie vertrat den Mazedonischen Weltkongress während der jüngsten OSZE-Konferenz in Warschau, wo sie eine Intervention zur aktuellen Problematik Mazedoniens einbrachte.