… geht er dieser Tage nicht aufs Eis tanzen, sondern stürzt sich in die Niederungen des Worldwide Web und nimmt dortselbst an politischen Diskussionen teil. Nach einem viele Jahre zurückliegenden Gastspiel im "Spiegel-Online-Forum" (SPON), das ich mit überwiegend negativen Erfahrungen beendet hatte, war mir klar: Nie mehr wieder. Gegen Windmühlen oder gegen den in den meisten Politikforen wehenden linken Zeitgeist anzurennen, hat keinen Sinn und kann, wie schon Miguel de Cervantes´ Held erkennen musste, nicht anders als mit schmerzlichen Blessuren enden.
Ist es schon in der direkten persönlichen Begegnung schwer, sich mit harten Fakten und Sachargumenten erfolgreich gegen emotionsgesteuerte Meinungen zu behaupten, kommt in Onlinedebattenforen die Anonymität hinzu, die viele Zeitgenossen dazu ermuntert, jede Zurückhaltung abzulegen und ihre jeweiligen Debattengegner vom ersten Moment an mit Herabsetzungen und zum Teil übelsten Beschimpfungen zu überziehen.
Immerhin, das räume ich gerne ein, hatte ich es im SPON mit zum Teil recht kultivierten Foristen zu tun, die durchaus sachlich zu argumentieren verstanden. Ja, es gab sogar einen deklarierten Marxisten, der immerhin die wichtigste Primärliteratur intus hatte und nicht nur eingelernte Stehsätze zur Marktverteufelung ablieferte. Von zahlreichen persönlichen Untergriffen, Unterstellungen und Beschimpfungen angewidert, stellte ich meine Forumsbeteiligung dennoch bald ein.
Einige meiner gleichgesinnten Freunde und Bekannten – durchwegs gebildete und kultivierte Menschen, wie mir zu betonen wichtig ist, – können auf rezente Interneterfahrungen verweisen. Ich selbst habe solche zuletzt in einem Forum namens "Politik Österreich" machen dürfen, das ich aber schon nach einem Tag und nur wenigen Beiträgen in zwei Debattensträngen wieder verließ. Der Administrator stellt das Forum u. a. mit diesen Ausführungen vor:
"Hier ist jeder willkommen, der sich an sachlichen Diskussionen zu politischen Themen beteiligen möchte. Die Regeln sind einfach: Respektiere dein Gegenüber, auch wenn diese Person eine andere Meinung vertritt. Persönliche Beleidigungen führen zum Ausschluss."
Klingt doch gut, nicht wahr? Aber Plan und Ausführung liegen meilenweit voneinander entfernt, wie ich rasch feststellen musste.
Ein zum Zeitpunkt meiner Beteiligung aktuelles Thema war der bizarre Auftritt Jean-Claude Junckers beim jüngsten Nato-Gipfel in Brüssel. Alle Welt konnte den offensichtlich sternhagelvoll besoffenen Mann hilflos herumtorkeln sehen. Nach einigen Mühen oben auf der bereitgestellten Tribüne angekommen, musste er von einigen der Gipfelteilnehmer vor dem Absturz bewahrt werden. Ein nicht einmal besonders boshafter Kommentar dazu wurde zunächst mit der Zurechtweisung quittiert, dass doch jedermann über das schwere Leiden (Ischias!) des armen Mannes Bescheid wisse. Eine Replik darauf hatte dann zur Folge, dass ich von einem anderen Foristen als "verkommener Verleumder" tituliert wurde.
Offensichtlich hat die pausenlos in allen Zeitungen und auf allen Sendern getrommelte pro-EU-Propaganda bewirkt, dass diese Union mittlerweile von vielen ihrer Insassen als heiligmäßig und unantastbar wahrgenommen wird. Folgerichtig wird jede Kritik an einem ihrer Protagonisten als Häresie wahrgenommen. Es kann einfach nicht sein, dass der Kommissionspräsident säuft. Ischias ist daher eine glaubwürdige Erklärung für hilfloses Herumstolpern, die man gefälligst zu akzeptieren hat.
In einem anderen Faden des Forums brachte mir der Hinweis darauf, dass es ernstzunehmende Einschätzungen afrikakundiger Fachleute gibt, wonach sich gegenwärtig bis zu 500 Millionen Afrikaner mit dem Gedanken an eine Emigration (nach Europa) tragen und es wohl nicht leicht möglich sein würde, eine solche Masse an Menschen hier "dauerhaft durchzufüttern", augenblicklich die Bezeichnung "Kellernazi" ein. Andere mir in kürzester Zeit angeheftete Etiketten: "dummer Kampfposter", "Propagandist", "deppert" und ähnliche Freundlichkeiten (alles per Screenshot dokumentiert). Wohl gemerkt: Das alles kam nach drei oder vier Postings aus der Tastatur von Menschen, die mich weder kennen noch je in ihrem Leben etwas mit mir zu tun hatten.
Das Beste kommt aber, wie immer, zum Schluss: Um den Beleidigungen auch noch den Hohn hinzuzufügen, belehrte mich der Moderator, dass ich mich eben nicht wie ein "dummer Kellernazi am blauen Stammtisch" aufführen und ihn mit meinen "grenzdebilen Anspielungen" verschonen solle. Ich hatte mir erlaubt, auf die in der "Präambel" des Forums niedergelegten Regeln hinzuweisen und angemerkt, dass der Vorwurf, ein "verkommener Verleumder" zu sein, immerhin eine strafrechtsrelevante Beschimpfung darstellt. Das war´s dann für mich.
Fazit: Es reicht heute nicht mehr aus, nichts zu wissen oder zu verstehen und über keine zivilisierten Umgangsformen zu verfügen, nein, man muss darauf auch noch stolz sein, wenn man unter Linken etwas gelten will (das genannte Forum quillt – entgegen der eingangs beschworenen politischen Neutralität – geradezu über von Verweisen auf oder Zitaten von sozialistischen Plattformen). Bildung und/oder gutes Benehmen werden als disqualifizierende Anmaßung und klare Merkmale einer reaktionären Gesinnung wahrgenommen. Kenntnisse, Meinungen und Standpunkte zu präsentieren, die außerhalb des linkskollektivistischen Kanons liegen, der von ARD, ZDF, SZ, Spiegel, ORF, "Profil", "Falter" & Co. bestimmt werden, wird als Zumutung betrachtet.
Weit und breit ist in besagtem Forum kein einziger Eintrag zu finden, der als sachliche Erwiderung auf ein von nichtlinker Seite vorgebrachtes Argument zu werten ist. Stattdessen: Schubladisierung: "Ha, ein Libertärer" (immerhin reicht´s bei einigen wenigstens zum Einsatz einer Suchmaschine!); Abwertung: "Was ist aus dieser Ecke schon zu erwarten?" Ein Namensvetter schreibt "Ich schäme mich gerade für meinen Familiennamen!"; und – siehe oben – Beschimpfungen.
Der Einsatz der Moralkeule hat in den meisten einschlägigen Foren offensichtlich zur Folge, dass ein vollständiger Mangel an Sachwissen überhaupt nicht stört. Mit einem "Kellernazi" stellt man sich schließlich gar nicht erst hin. Mit dem redet man nicht. Man redet allenfalls über ihn.
Der Witz ist: Wäre ich wirklich ein Nazi, können Adolf der Braune und seine (Volks-)Genossen so schlimm nicht gewesen sein. Immerhin verabscheue ich jede Form des Kollektivismus, die quasireligiöse Überhöhung politischer Doktrinen, jede Form des Totalitarismus, und lehne die Anwendung initiierter Gewalt gegen jedermann ab, der nur in Ruhe gelassen werden möchte. All das kennzeichnet einen Nazi? Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt. Aber welcher, von seiner eigenen Moral trunkene (wie Jean-Jacques Russeau es formulierte) und aus allen Poren Selbstgerechtigkeit ausdünstende Gutmensch denkt schon so weit?
All die erlebten Beschimpfungen und der haarsträubende Unverstand der meisten Foristen wären ja irrelevant und leicht zu verschmerzen, handelte es sich bei den Forumsteilnehmern nicht um Wahlberechtigte. Jede politische Bewegung, die es auf ihre Fahnen schreiben würde, Typen wie mich und andere Nonkonformisten umgehend zum Schweigen zu bringen, könnte mit Sicherheit auf die Stimmen dieser Leute zählen.
In der von ihnen benutzen Sprache drücken sich Verachtung für Andersdenkende und latente Gewaltbereitschaft in einem Maße aus, wie man sie hierzulande seit den 1930er Jahren nicht mehr erlebt hat. Die Antifa zeigt ja seit Jahren bei jeder sich bietenden Gelegenheit, wieweit sie zu gehen bereit und imstande ist.
Von ihrer einzigartigen Moral felsenfest überzeugte Antifanten warten den Einsatz der in ihrem Auftrag tätigen Partei- oder Staatsschergen erst gar nicht mehr ab, sondern machen sich bei passender Gelegenheit schon selbst zum Richter über politische Gegner und zu mitleidlosen Vollstreckern ihrer krausen Gedanken. Für ihre Geistesverwandten in den Politforen braucht es vermutlich nicht viel, um auch sie gegen den verhassten Klassenfeind oder imaginierte "Nazis" in Marsch zu setzen.
Übrigens: Freisinnige Individualisten brauchen heute nicht mehr auf den Staat als Beschützer ihres Lebens, ihrer Freiheit und ihres Eigentums zu zählen. Der Leviathan zieht lieber vom Pfad des betreuten Denkens abweichende "Hassposter" aus dem Verkehr, die nicht die von der omnipräsenten Gedankenpolizei erlaubten intellektuellen Zumutungen glauben wollen. Der Staat steht, so schwer verdaulich diese Erkenntnis auch sein mag, mitsamt seinen beamteten Bütteln längst auf der anderen Seite der Barrikade.
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.