Die ersten Schatten der EU-Wahl 2019

Im Mai 2019 wird das Europäische Parlament neu gewählt. Wahlen sind immer auch eine Art Abrechnung für die vergangene Periode. Es ist damit zu rechnen, dass viele Wähler ihren zunehmenden Unmut über die Politik in Brüssel zum Ausdruck bringen werden – auch wenn sie nicht genau zwischen den einzelnen Institutionen wie Rat, Kommission oder Parlament unterscheiden. Wenn man zudem Merkels zurückgenommene Ambition hinsichtlich des nächsten EZB-Präsidenten als ihren eigenen Anspruch auf Junckers Nachfolge deutet, soll es offensichtlich nach den Wahlen keine wesentlichen Änderungen in der Politik unseres Kontinents geben. Die zunehmende Kritik richtet sich auf folgende Themen:

  • Da ist zuallererst das Verhalten der EU in Sachen Migration. Viele Bürger haben den Eindruck, dass in der Europäischen Union die Binnengrenzen gefallen sind und man auf die Außengrenzen vergessen hat. Von europäischen Lösungen wird viel gesprochen, gemeint ist damit aber meist nur mehr Macht und mehr Geld für die Entscheidungsträger in Brüssel. Eine klare Ansage für einen effizienten Schutz der EU-Außengrenzen gibt es nicht. Stattdessen setzt die EU auf Verteilungspolitik, die erstens nichts am Problem ändert und zweitens nicht umsetzbar ist. Jene Staaten, die skeptisch sind, werden auf der Ebene der Rechtsstaatlichkeit sanktioniert, was als eine Art Retourkutsche wahrgenommen wird.
  • Viel wird von der Bekämpfung von Fluchtursachen gesprochen, ohne dass es etwa eine ausformulierte Afrikapolitik gäbe. 2011 wurde Libyen im Namen der Menschenrechte bombardiert und letztlich jede staatliche Ordnung aufgelöst. Heute scheint der europäischen Politik die menschenrechtliche Situation in Libyen kein Anliegen zu sein, weil jede Intervention auf den Einwand der Neokolonialisierung stoßen würde. Fraglich scheint auch, wo man die Streitkräfte zur Befriedung Nordafrikas hernehmen sollte. So scheint die Armee der Bundesrepublik Deutschland kaum mehr einsetzbar. Die Europäische Union, die sich gerne als Friedensprojekt definiert, ersetzt Friedenspolitik durch Rettungspolitik im Mittelmeer und fördert damit immer noch das Geschäft der Menschenhändler.
  • Im Verhältnis nach außen wird der Europäischen Union sohin die Fähigkeit zum effizienten Schutz vor Bedrohungen aberkannt. Im Verhältnis nach innen wird sie hingegen selbst zunehmend als Bedrohung wahrgenommen. Ein enormer Verwaltungsapparat erlässt immer fragwürdigere Normen wie die Datenschutzgrundverordnung und baut die europäischen Institutionen zu einer mächtigen Umerziehungsanstalt aus. Neuerdings scheint man sich im Namen des Friedensprojektes auch die Kompetenz anzumaßen, Einladungslisten für Hochzeiten ins Fadenkreuz der Kritik nehmen zu dürfen.
  • Begleitet wird diese neue EU von einem raffinierten Sanktionsmechanismus. Strafen für Mitgliedsstaaten und auch Nichtmitgliedsstaaten stehen ebenso auf der Tagesordnung wie astronomische Bußgeldvorschreibungen im Namen des Wettbewerbsrechts als Substitut für nicht existente Steuerregime oder Verwaltungsstrafen von bis zu mehreren Millionen Euro wie im Falle eines Verstoßes gegen die Datenschutzgrundverordnung. Mit den Mitteln des Gesetzesstaates scheint man den willkürbeschränkenden Rechtsstaat ausgehebelt und eine Art moderner Polizeistaat mit humanitärem Antlitz errichtet zu haben.
  • Schließlich verstehen eher wenige Europäer, dass die Union mit Großbritannien über den Austritt und mit der Türkei über den Beitritt verhandelt. Dass die Union vor der Brexit-Abstimmung dem damaligen britischen Premierminister Cameron möglicherweise zu wenig entgegengekommen ist, hat zu keinem einzigen selbstkritischen Wort geführt. Vielmehr tut der Chefverhandler auf "harter Mann", um auf diese Weise andere Mitgliedstaaten von ähnlichen Ideen abzuhalten.

Dass all diese Entwicklungen das Vertrauen in europäischen Führungsstrukturen nicht gerade stärken, liegt auf der Hand. Den Wählern, die in einer solchen Situation eher den eigenen Regierungen vertrauen wollen als einem unberechenbaren Europa, das Ungetüm des Nationalismus zum Vorwurf zu machen, erinnert an die Warnung des Teufels vor Hölle.

Wenn die Amtsträger in Brüssel die Europawahl 2019 zu einer Auseinandersetzung zwischen europäischer Solidarität und "rechten Hetzern" stilisieren wollen, tun sie dem Friedensprojekt Europa nichts Gutes. Sie sollten vielmehr aus ihrem Elfenbeinturm herauskommen, nicht jede Kritik bunkermäßig abblocken und als gute Demokraten die Realität zur Kenntnis nehmen. Kurz: Sie sollten die Ideen der Väter der europäischen Union wieder ernst nehmen.

Wenn die österreichische Bundesregierung in dieser Situation in Sachen Immigration eine klare und bislang wirklich konsequente Haltung zeigt und überdies das Prinzip der Subsidiarität wiederzubeleben versucht, ist sie zweifellos auf dem richtigen Weg. Gar nicht in dieses politische Konzept passt allerdings eine Festlegung auf Othmar Karas als zukünftigen EU-Kommissar, den man etwa in Sachen Migration bereits links von der Liste Pilz verorten muss.

Würde die größere Regierungspartei tatsächlich mit einer solchen Personalpolitik ins Rennen gehen, könnte sie durchaus bei jenem prozentmäßigen Ergebnis landen, das Andreas Khol bei der Bundespräsidentenwahl eingefahren hat. Die Wähler mögen es nicht, wenn man ihnen den Eindruck vermittelt, dass zwei gegensätzliche Positionen gleichzeitig vertreten werden. Nicht einmal des Bundeskanzlers engster Vertrauter wäre es zuzutrauen, dass sie als Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl diesen Spagat bewältigt.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er Abgeordneter im Nationalrat gewesen.

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