Retten die Insekten unsere Nahrungsmittelzukunft?

Einer der wichtigsten Gründe für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft in Österreich ist die Selbstversorgung mit Lebensmitteln. Auch in einer Krisensituation, in der Nahrungsmittelimporte nicht mehr möglich sind, sollte die einheimische Bevölkerung nicht in Gefahr laufen, Hungers zu sterben, sondern mit den Grundnahrungsmitteln in ausreichendem Maße versorgt werden können.

Wie sieht es mit dem Selbstversorgungsgrad bei Lebensmitteln aus?

Getreide

Bei der Getreideproduktion gibt es wetterbedingt starke jährliche Schwankungen. Der österreichische Selbstversorgungsgrad entspricht im Schnitt jedoch rund 100 Prozent, wobei fast die Hälfte des produzierten Getreides an Tiere verfüttert wird.

Zu bedenken ist, dass sich die Ernährungsgewohnheiten verändern: So wurden 1955 noch fast 110 kg Getreide pro Kopf in Österreich konsumiert, 2012 aber nur noch 75 kg (1995 war dieser Wert sogar schon auf 60 kg abgesunken!). Der Gemüseverbrauch hingegen stieg von 64 kg 1955 auf 111 kg 2012 an. Gesunken hingegen ist der Verzehr von Obst, nämlich seit 1975 von 97 kg auf aktuell nur 78 kg.

Kartoffeln

Der Pro-Kopfverbrauch von Kartoffeln in der EU ist sehr unterschiedlich, in Polen und Lettland werden mehr als 100 kg Kartoffeln pro Kopf und Jahr verzehrt, in Frankreich und Italien sind es unter 50 kg, das Schlusslicht bildet Bulgarien mit nur 37 kg. Österreich (57 kg) und Deutschland (61 kg) liegen fast gleich auf, interessanterweise ist der Pro-Kopfverbrauch von Erdäpfeln in Großbritannien mit 97 kg um mehr als 50 Prozent höher als bei den als "Kartoffelfresser" verschrieenen Deutschen. 

Der Selbstversorgungsgrad liegt in Österreich bei 91 Prozent, EU-weit beträgt der Wert 106 Prozent, das heißt, es werden in Europa mehr Erdäpfel produziert als gegessen.

Gemüse

Auch der Pro-Kopfverbrauch von Gemüse ist in der EU sehr unterschiedlich. Mehr als 200 kg Gemüse pro Person werden in Malta und Griechenland gegessen, fast genausoviel in Portugal. In Luxemburg, Finnland, den Niederlanden und Tschechien werden jedoch nur rund 80 kg Gemüse pro Jahr verspeist, Schlusslicht ist Bulgarien mit 69 kg. 

In Österreich essen die Menschen pro Jahr 101 kg Gemüse, der Selbstversorgungsgrad liegt – klimabedingt – bei 62 Prozent. Dies hat vor allem den Grund, dass die Konsumenten auch im Winter nicht bloß Kohl und Kraut essen wollen, sondern zu Tomaten und Paprika greifen, die dann hierzulande nicht mehr wachsen.

Der Selbstversorgungsgrad von Paradeisern liegt in Österreich bei 22 Prozent! Nur in den drei Sommermonaten kann der heimische Bedarf aus eigener Produktion gedeckt werden. In Zukunft mag der Selbstversorgungsgrad auch in den Wintermonaten wieder steigen, weil in der Oststeiermark riesige Glashäuser der Firma Frutura entstanden sind, in denen Tomaten durch die thermische Wärme der Region zum Reifen gebracht werden.

EU-weit beträgt der Selbstversorgungsgrad bei Gemüse allerdings 103 Prozent, Europa versorgt sich diesbezüglich also selbst.

Obst

Nur bei Äpfeln schafft Österreich die Selbstversorgung, schon bei Zwetschken liegt der Prozentsatz nur bei 80 Prozent, bei Kirschen bei knapp 60 Prozent und bei Beerenfrüchten, Pfirsichen und Marillen deutlich unter der Hälfte. Südfrüchte wie die beliebten Bananen werden klarerweise zur Gänze importiert. Dennoch beträgt der Selbstversorgungsgrad bei Obst in Österreich über 50 Prozent.

Ölsaaten und pflanzliche Öle

Aus gesundheitlichen Gründen hat sich der Verbrauch pflanzlicher Öle in den letzten Jahrzehnten mehr als verdoppelt. Da Oliven, der beliebteste Lieferant pflanzlichen Öles, bei uns nicht angebaut werden können, sieht die Selbstversorgungs-Bilanz verständlicherweise sehr schlecht aus. Aber auch bei Ölsaaten wie Sonnenblumen, Raps und Mais liegt der Selbstversorgungsgrad Österreichs unter 50 Prozent.

Zucker

Zuckerrüben werden in Österreich im Rahmen einer bodenverträglichen Fruchtfolge angebaut, das heißt nur alle vier bis sechs Jahre auf derselben Fläche. Dem gegenüber laugen die brasilianischen Zuckerrohrplantagen den Boden dauerhaft aus, was dazu führt, dass laufend neue Anbauflächen erschlossen werden müssen, was häufig eine weitere Rodung von Regenwäldern bedeutet. Österreichs Zuckerrübenbauern haben in den letzten Jahrzehnten regelmäßig deutlich mehr als den nationalen Bedarf produziert – dank EU-weiter Erzeugerquoten, die zu einem festgelegten Preis bestimmte Mengen abnahmen.

Diese Quoten sind nun ausgelaufen, die Zuckerproduzenten sind in Zukunft dem uneingeschränkten Wettbewerb auf dem Weltmarkt ausgesetzt, was den ökologisch katastrophalen Zuckerrohrplantagen in Südamerika entsprechende Vorteile verschafft.

Fisch

Der Selbstversorgungsgrad bei Fisch liegt in Österreich bei nur 5 Prozent, 66.000 Tonnen werden jährlich importiert. 2011 aßen die Österreicher 7,6 Kg Fisch und Meeresfrüchte, davon die Hälfte in konservierter Form. In Deutschland liegt der Verzehr von Fisch und Meeresfrüchten bei durchschnittlich mehr als 14 kg pro Kopf und Jahr, der Selbstversorgungsgrad bei 20–25 %.

Fleisch, Eier, Milch und Käse

Der Fleischkonsum hat sich in Österreich von 47 kg im Jahr 1955 auf heute fast 100 kg fast nahezu verdoppelt, ist aber seit 2002 wieder leicht rückläufig. 2012 wurde in Österreich pro Kopf 12 kg Rind- und Kalbfleisch, 38,8 kg Schweinefleisch, 0,8 kg Schaf- und Ziegenfleisch, ein halbes Kilo Innereien und nicht ganz ein Kilo "sonstiges" Fleisch verzehrt, dazu 12,6 kg Geflügel.

Der Eierverbrauch ist in den letzten sechs Jahrzehnten um fast 60 Prozent auf 234 Stück pro Person und Jahr gestiegen, der von Käse hat sich von 3,8 kg auf 19,4 kg im selben Zeitraum mehr als verfünffacht. Stabil geblieben bzw. leicht rückläufig ist hingegen der Butterverbrauch mit 5 kg pro Jahr. 

Deutlich gesunken ist in Österreich der Konsum von Trinkmilch, von der in den 1950er Jahren noch mehr als 160 l pro Jahr im Durchschnitt konsumiert wurden, während es mittlerweile weniger als 80 l sind. Zum Vergleich: 1955 wurden 61,5 l Bier und 16 l Wein pro Kopf konsumiert, 2012 waren es 107 l Bier und 30,5 l Wein. Dabei sind diese Zahlen mittlerweile wieder leicht rückläufig, der Spitzenverbrauch an Bier lag zwischen 1985 und 1995 bei bis zu 120 l und bei Wein zwischen 1970 und 1990 bei 35 bis 40 Litern. Dabei wird etwas mehr Bier in Österreich produziert als konsumiert, während der Selbstversorgungsgrad bei Wein nur mehr bei 90 Prozent liegt.

Auf den ersten Blick sieht die Lage, was die Selbstversorgung betrifft, sehr positiv aus: Bei Rind- und Kalbfleisch produziert Österreich 140 Prozent des heimischen Bedarfs. Auch die österreichischen Schweinebauern konnten den heimischen Bedarf decken, nur bei Geflügel liegt der Selbstversorgungsgrad bei nicht einmal 80 Prozent.

Bei Eiern gibt es jedoch eine Unterdeckung, in Österreich werden nur 86 Prozent des heimischen Verzehrs an Eiern selbst produziert, während bei Käse nahezu Selbstversorgung herrscht. Die österreichische Milchproduktion deckt 166 Prozent des Bedarfs, die Butterproduktion allerdings nur 70 Prozent. EU-weit liegt der Selbstversorgungsgrad bei Milch ebenfalls deutlich über 100 Prozent.

Kein Grund zur Sorge? Vielleicht doch: Österreich importiert zur Zeit jährlich rund 450.000 Tonnen Sojaschrot, vor allem aus Argentinien und Brasilien, zur Verfütterung in der Schweinemast. Die Eigenproduktion von Soja beläuft sich in Österreich, das EU-weit eine Vorreiterrolle einnimmt, auf mittlerweile über 150.000 Tonnen, eine Verfünffachung binnen weniger Jahre, was zu einem entsprechenden Importrückgang geführt hat. Die EU müsste ihre Ackerflächen jedoch um 20% vermehren, um den gesamten Sojabedarf selbst zu erzeugen. Das ist unrealistisch.

Sinkender Selbstversorgungsgrad

Aus diesem Grund muss auch der langsam sinkende Selbstversorgungsgrad bei Nahrungsmitteln insgesamt kritisch beleuchtet werden. In Deutschland gab es 1990 noch einen Selbstversorgungsgrad von 98 Prozent, der bis 2017 auf 85 Prozent abgesunken ist.

Nach einer Statistik der Zeitschrift "Schweizer Bauer" lag der Selbstversorgungsgrad der Schweiz 2011 nur bei knapp 60 Prozent, der der EU bei 90 Prozent, jener von Russland bei über 110 Prozent und der der USA und Indonesiens bei knapp über 120 Prozent. Spitzenreiter in dieser Statistik sind Kanada mit 180 Prozent, Australien mit 210 Prozent und Argentinien mit 270 Prozent. Es sind vor allem die hohen Futtermittelimporte, die den Selbstversorgungsgrad der EU unter 100 drücken.

Insekten als Futter- und Nahrungsmittel?

Die bestehende Eiweißlücke kann nicht durch Vermehrung der landwirtschaftlichen Anbauflächen geschlossen werden. Die Importabhängigkeit von Soja (und die negativen ökologischen und sozialen Folgen des Sojaanbaus in Südamerika) sind grundsätzlich nur durch eine stärkere Nutzung von Insekten als Futter- aber auch Nahrungsmittel auszugleichen. Insekten benötigen für eine Gewichtszunahme von 1 kg nur 2 kg Futter, während Rinder bis zu 10 kg, Schweine rund 5 kg und Hühner immerhin noch über 2 kg benötigen. (Aus diesem Grund ist die Produktion von Rindfleisch ökologisch nur dort vertretbar, wo große Mengen an Grünfutter verzehrt wird, also von Gras, das weder Menschen noch Schweine und Hühner selbst verdauen können, nicht aber in einer getreidebasierten Rindermast, wie sie in England und anderen nordeuropäischen Staaten vorherrscht.)

Die von verschiedenen Seiten propagierte Umstellung auf vegetarische Ernährung bietet allerdings auch keine Lösung, denn Menschen können aus 100 g aufgenommenem Pflanzeneiweiß lediglich 15 g Körpereiweiß bilden, während wir dieselbe Menge tierischen Eiweißes in 85–90 g Körpereiweiß umwandeln, unabhängig davon, ob dieses tierische Eiweiß von Rindern, Schweinen, Geflügel oder Insekten stammt.

Der essbare Anteil von Insekten beträgt allerdings fast 80 %, während er bei Rindern nur bei 40 % und bei Schweinen und Geflügel bei 55 % liegt. Diese Faktoren, verbunden mit dem geringen Landbedarf von Insekten bei der Produktion, legen nahe, dass Insekten in Zukunft zumindest in der Tierfütterung, sehr wahrscheinlich aber auch in der menschlichen Ernährung eine weit größere Rolle in Europa spielen werden, wenn wir den gewonnen Lebensstandard halten wollen.

Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker ist Verleger des Leopold Stocker Verlags und Eigentümer der Landwirt Agrarmedien GmbH.

Erstellt wurde dieser Artikel aufgrund des zuletzt 2013 veröffentlichten Berichts "Lebensmittel in Österreich" des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, eines Blog-Beitrages von Peter Fuchs auf der Plattform "Land schafft Leben" aus dem Jahr 2016, eines Berichts des Ökosozialen Forums von 2017 sowie diverser im Netz frei zugänglichen Statistiken. Eine Untersuchung darüber, wie die agrarische Produktion, aber auch das Konsumverhalten umgestellt werden müsste, um vollkommene oder weitgehende Importunabhängigkeit zu erlangen, gibt es nicht, obwohl die Entwicklung eines solchen Szenario im Sinne einer Krisenvorsorge eine wichtige Aufgabe des Staates wäre. Auch die starke Abhängigkeit von Düngemittelimporten, die in diesem Artikel nicht erwähnt wurde, müsste dabei Berücksichtigung finden.

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