Die politische Bildung der Tugendwächter in den Weltanschauungsschulen ist gescheitert. Jugendliche und Maturanten erwerben nur sehr wenig Wissen über Verfassung, Gesetze und Rechtsstaat, über die Einschränkungen individueller Freiheiten und individueller Verantwortung durch immer mehr Gesetze, über die Rechte der Bürger gegenüber dem Staat und über die Unterschiede von Normverfassung und Realverfassung.
Zahlreiche Maturanten kennen die Bundesverfassung nicht und sie wissen nicht, dass sich die Politiker der Republik niemals auf einen Katalog von Grund- und Freiheitsrechten einigen konnten. Verfassungspatriotismus ist für viele Bürger ein Fremdwort.
In einer Zeit der normativen Entmündigung von immer intensiver verwalteten Bürgern sollte aber die rechtsstaatliche und die juristische Bildung in den Schulen nicht vernachlässigt werden. Dürfen doch die Jugendlichen bereits mit 16 Jahren wählen.
Wenn das kein "Kinderwahlrecht" bleiben soll, dann können wir nicht länger in den Schulen auf ein "Verfassungs- und Grundrechtswissen" verzichten, auf mehr sachliche Diskussionen über Verfassungs-, Bundesstaats- und Verwaltungsreform, Deregulierung, "Rechtsbereinigung", klare Rechtssätze, gemeinsame Werte, Grundrechtsreform, gemeinsame Ziele und Aufgaben des Staates, die Praxis der Gewaltenteilung und eine mögliche Aufwertung des Parlaments.
Politische Bildung erfordert auch eine Reflexion über die historische Entwicklung verschiedener politischer Systeme im Vergleich, über präsidial-demokratische und über parlamentarisch-demokratische sowie über direktdemokratische Traditionen und ihre jeweiligen spezifischen Ausprägungen und möglichen Vorteile.
Historische Analphabeten können nicht wirklich politisch gebildet sein!
Einem wahlberechtigten Bürger ist auch zuzumuten, dass er über die Ausübung politischer Macht, über politische Kontrolle, über die Rolle von Verwaltungsbeamten, von "parteipolitischen Staatsdienern", von Verbändefunktionären und von oligarchisch strukturierten Parteiorganisationen bei der Gesetzgebung, über die möglichen Vorteile eines Persönlichkeitswahlrechtes sowie über Mehrheitsentscheidungen und deren Folgen für die Minderheit nachdenkt.
Bürger, die im Rechtsstaat leben, benötigen mehr rechtsstaatliche Bildung. Auch wahlberechtigte Jugendliche sollten in der Lage sein, zwischen Machtpolitik und Sachpolitik zu unterscheiden. Schon in den Schulen sollten sie argumentativ erörternd an Diskussionen über mögliche Reformen im Versorgungsstaat teilnehmen können.
Auch eine Erweiterung direktdemokratischer Möglichkeiten kann nicht ohne mehr rechtsstaatliches Orientierungswissen funktionieren.
Josef Stargl ist AHS-Lehrer in Ruhe und ein Freund der Freiheit.