Zum Glück für die EU, europäische Regierungen und die Finanzwirtschaft herrscht gegenwärtig kein Mangel an berichtswerten Themen: Nordkorea, der eben anlaufende Handelskrieg zwischen den USA und dem Rest der Welt, die Aufkündigung des Iran-Deals durch die Trump-Administration, der Watschentanz von Angela Merkel und Horst Seehofer und – nicht zu vergessen – die Fußball-WM. Alles superwichtig. Von Glück können die Regierungen (ausgenommen die deutsche) deshalb reden, weil dadurch ein drängendes Problem völlig unbeachtet bleibt, an dessen Entstehung sie einerseits erhebliche Mitschuld tragen und zu dessen Bewältigung ihnen andererseits jede Idee und Möglichkeit fehlt.
Es geht um die prekäre Lage der europäischen Bankenlandschaft – namentlich die der italienischen.
Der deutsche Ökonom Philipp Bagus, Professor für Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid, hat errechnet, dass die Bilanzsummen der europäischen Banken mittlerweile auf den sagenhaften Wert von 30 Billionen Euro angewachsen sind, was dem 2,91-fachen des EU-BIP entspricht.
Als Gründe für die Schieflage vieler Banken nennt Bagus folgende Gründe:
- Die durch die im Gefolge der Finanzkrise verschärfte Bankenregulierung entstandenen zusätzlichen Kosten, die derzeit bei vier Prozent des Umsatzes liegen und die bis 2022 mutmaßlich auf gar zehn Prozent steigen werden, reduzieren in erheblichem Maße die Produktivität der Institute.
- Unrealistische (d. h. überhöhte) Bewertungen der Anlagevermögen bergen ein veritables Risiko: Korrekt vorgenommene Wertberichtigungen würden nämlich das Eigenkapital vieler Banken augenblicklich vollständig vernichten.
- Die konsequente Nullzinspolitik der EZB hat zu einer nominalen Aufblähung von Anlagepreisen geführt, was Scheingewinne der Institute nach sich zieht und diese damit besser aussehen lässt, als es den Tatsachen entspricht.
- Die Summe der aushaftenden, uneinbringlichen Kredite, ist auf mittlerweile rund 30 Prozent des gesamten Darlehensvolumens angewachsen (!) – und damit auf einen historischer Höchststand von 759 Milliarden Euro angelangt.
- Durch das niedrige Zinsniveau bedingt können viele marode Unternehmen überleben, die längst hätten abgewickelt werden müssen, wodurch die Bankbilanzen drastisch belastet worden wären. Es handelt sich in diesen Fällen de facto um eine verschleierte Konkursverschleppung. Diese "Zombie-Unternehmen" binden jetzt nicht nur Ressourcen, die anderweitig besser eingesetzt werden könnten, sondern bilden auch gefährliche Zeitbomben in den Bankbilanzen, weil sie im Falle eines Zinsanstieges sofort insolvent würden, die Bankforderungen an sie damit abgeschrieben werden müssten und die betroffenen Kreditoren damit bankrott wären.
- Die Zinspolitik der europäischen Zentralbank verschlechtert die Möglichkeit der Geldinstitute, ausreichende Zins- und Kreditmargen zu generieren. In einer Welt von Negativzinsen auf dem Interbankenmarkt, können sie kein Geld mehr verdienen.
- Die enge Verflechtung von Banken und Regierungen manifestiert sich in hohen Summen von Staatsanleihen. Anfang 2018 hatten die Banken die gewaltige Summe von rund 3,5 Billionen Euro an Staatsschulden in ihren Büchern. Bei der nächsten Rezession ist folglich mit erheblichen Verlusten in den Staatsschuldportfolios zu rechnen – mit absehbar desaströsen Folgen für die Bankbilanzen.
Was auch immer in der nächsten Zeit auf den planwirtschaftlich gelenkten Finanzmärkten geschieht – es wird die angespannte Lage der Banken nicht verbessern. Ein Zinsanstieg würde eine ganze Reihe von Instituten – im Gefolge der dann dräuenden Welle von Unternehmenspleiten – sofort in die Zahlungsunfähigkeit treiben. Fallende Werte von Anlagen (z. B. von Immobilien) werden auch bei stabilen Banken zu massiven Bilanzverlusten führen. Ein weiterhin niedriges Zinsniveau dagegen schnürt ihnen die Luft zum Atmen ab.
Man kann es drehen und wenden wie man will: Politisch getriebener Interventionismus in die Wirtschaft und das Finanzwesen führt mittel- und langfristig stets ins Chaos. Zahlreiche Hyperinflationen, Währungsreformen und Vermögenszerstörungen allein im 20. Jahrhundert sprechen eine unmissverständliche Sprache: Ein durch die exzessive Ausweitung der (durch keinerlei Gegenwert gedeckten) Geldmenge generiert regelmäßig eine Scheinkonjunktur, die nicht anders als in einer Rezession enden kann.
Zwar ist es erstaunlich, ja geradezu atemberaubend, wie lange die eiserne Komplizenschaft zwischen Regierungen und Finanzwesen es in den zurückliegenden Jahren vermocht hat, den kollektiven Kollaps des weltweit betriebenen Pyramidenspiels hinauszuzögern; Am bitteren Ende des frivolen Treibens kann jedoch dennoch kein Zweifel bestehen: Irgendwann wird nämlich jeder Kredit fällig; Irgendwann wird jemand dafür bezahlen müssen. Entweder der gewürgte Schuldknecht oder der enteignete Gläubiger – gewaltsame Verteilungskonflikte inklusive.
Die, die das absehbare Debakel verursacht haben, werden dann längst tot oder in Rente sein. Bezahlen werden die Jungen und die noch Ungeborenen, die keine Schuld an dem von den Babyboomern und deren Nachfolgern initiierten Ponzi-System tragen.
Denn aus dieser Nummer gibt es so oder so kein unblutiges Herauskommen. Die notwendigen Maßnahmen einzuleiten würde keine demokratisch gewählte Regierung überstehen. Also wird von hochkorrupten Politeliten und den mit diesen auf Gedeih und Verderb liierten Geldalchemisten weitergewurstelt werden wie bisher. Wie formulierte es einst Marquise de Pompadour, Mätresse von König Luis XV? "Nach uns die Sintflut."
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.