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Angela Merkel: Zeit für ein politisches Requiem?

Kann sich noch jemand an Professor Kirchhof erinnern? Er war jener Intellektuelle jenseits des linken Mainstreams, der Merkel den Wahlsieg 2005 und damit die Kanzlerschaft brachte. In der Koalition mit der SPD war für ihn und seine Ideen allerdings kein Platz und er verschwand in der politischen Versenkung.

Viele, die damals ihre Hoffnungen in das ehemalige Mädchen aus dem Osten mit ihrer unkonventionellen Art und ihren liberalen Politikansätzen legten, wurden bald enttäuscht. Angela Merkel – ein Irrtum. So betitelte schon 2011 Cora Stefan ein Buch, in dem sie die politische Frustration auf den Punkt brachte. Im Vorwort zitierte sie übrigens einen Maulwurf aus dem Kanzleramt, der an die Mitwirkung Merkels bei der Abwicklung der DDR erinnerte und in Richtung Bundesrepublik davor warnte, dass man so etwas nicht verlernt.

Cora Stefan analysierte auch treffend die Selbstinszenierung Merkels als TINA. There is no alternative. Mit jeder Krise machte sich Merkel unentbehrlicher. Ihre inner- und außerparteilichen Gegenspieler ließ sie derweil am Wegesrand liegen. Dass sich eine neue Oppositionspartei schon im Namen als Alternative bezeichnete, muss so gesehen wie eine Majestätsbeleidigung geklungen haben.

Gleichzeitig arbeitete Merkel konsequent an der Abwicklung der finanzpolitischen Souveränität, indem sie ihr Land scheibchenweise in Richtung Transfer- und Schuldenunion dirigierte. Zuletzt überließ sie auf diesem Weg sogar der SPD das Finanzministerium.

Ihren schwersten Fehler beging Merkel bekanntlich im Jahr 2015 mit dem Kontrollverlust über die eigenen Grenzen. Die Deutschen lieben es, von einem Extrem ins andere zu fallen. War es einst der übertriebene Nationalismus, war es diesmal der übertriebene Internationalismus. Einmal wollten sie den deutschen Lebensraum auf die ganze Welt ausdehnen, dann wiederum laden sie die ganze Welt in ihren Lebensraum ein.

Obwohl die meisten Menschen – auch in Deutschland – nicht daran glauben, dass die Welt am deutschen Wesen genesen werde, scheint Merkel nach wie vor an eine Art moralischer Überlegenheit ihrer Regierungstätigkeit zu glauben. Wer die eigene Menschlichkeit für etwas Besseres hält als das deutsche Recht, stellt sich über letzteres. L’Etat c’est moi.

Ich war im Herbst 2015 mit einer ÖVP-Delegation in Berlin zu Besuch bei den Kollegen der CDU. Auch hatten wir Gelegenheit, uns mit einigen CDU-Regierungsmitgliedern auszutauschen. Der klare Eindruck: je höher jemand in der Hierarchie hinaufklettert, desto größer werden die Illusionen. So gestand mir eine Angeordnete, dass sie direkt froh sei, eine Woche im Berliner Bundestag zu verbringen. Sie halte die Beschwerden in ihrem Wahlkreis angesichts der Flüchtlingspolitik kaum mehr aus. Auch als ich bei einer gemeinsamen Sitzung der ÖVP- und CDU-Abgeordneten konstatierte, dass wir nicht nur die fünfte, sondern bereits die achte, neunte und zehnte Kolonne durchgelassen hätten, erntete ich kein Wort der Kritik.

Mittlerweile sind fast drei Jahre ins Land gezogen. Die illegale Migration hat – teilweise allerdings zugunsten der legalen Migration (Türkei-Deal) – abgenommen. Die Völkerwanderung hat Europa lange noch nicht im Griff. Viel zu sehr haben hingegen die Schlepperbanden Europa im Griff. Erwartungsgemäß haben daher auch die Wahlvölker reagiert und teilweise ziemlich eindeutig ihre Meinungen artikuliert. Ein Land verlässt sogar die Europäische Union.

Deutschland allerdings, das jahrhundertelang ein Fleckerlteppich war, tut sich mit seinen Grenzen immer noch schwer. Hier streitet man allen Ernstes über die Frage, ob man Menschen, denen die Einreise verboten ist, an der Grenze zurückweisen dürfe.

Wer kann erwarten, dass irgendjemand auf der Welt die deutschen Gesetze achtet, wenn dies nicht einmal die eigene Bundesregierung tut. Zu signalisieren, dass jeder nach Lust und Laune ein- und ausreisen kann, kommt der Selbstaufgabe schon sehr nahe.

Deutschland, und damit auch Europa, steuert einem High noon in Sachen Zuwanderungspolitik zu. Merkels einzige Chance besteht darin, sich hinter ihre eigene Bevölkerung zu stellen und ihren Innenminister bedingungslos zu unterstützen. Sonst wird es eine Alternative geben.

Dass Österreich für die nächsten sechs Monate den EU-Vorsitz übernimmt und sich auf die Zuwanderungsfrage konzentriert, ist angesichts unserer illusionsfreien Regierung ein Hoffnungsschimmer.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er Abgeordneter im Nationalrat gewesen.

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