Warum die "Orbanisierung" aus dem Osten kommt

Die Alt-linken West-Europas fürchten sich vor nichts mehr als vor der "Orbanisierung": "Während sich die Zivilgesellschaft aus Budapest zurückzieht, blasen die EU-Gegner zum Angriff auf Brüssel. ’Für Orban ist die ungarische Politik bereits langweilig‘, hört man immer mehr in intellektuellen Kreisen in Budapest. … Sein nächstes Ziel hat er bereits im Visier. … Die kommende Europawahl, und er will dadurch das Gesicht der EU radikal verändern.

So konnte man es etwa im "Standard" lesen (15.5.2018). Orban – und das spürt die westeuropäische Alt-Linke instinktiv – hat so wie damals Cäsar (49 v. Chr) den Rubicon überschritten. Sind die Würfel bereits wieder gefallen?

Bereits sechs Wochen vor der souverän gewonnen Parlamentswahl (8.4.2018) richtete Orban mahnende Worte an die ungarische Opposition: "Wir wissen von de Gaulle, dass die Hoffnungslosigkeit Hass gebiert. Jedem der Sätze der oppositionellen Parteien entströmt Hass. Soweit ich es sehe, wird es keinen Mangel an Niederträchtigkeit, persönlichen Angriffen und an Heuchelei geben." (Orban: "Rede zur Lage der ungarischen Nation", 18.2.2018)

Der von Hass erfüllte "Pesterlloyd" verteufelte bereits einen Tag zuvor(!) den Inhalt von Orbans "Rede zum Nationalfeiertag" (15.3.18), die er noch nicht einmal kannte – unter Verwendung einer abartigen Propaganda-Sprache: "Orbán, der Erbschleicher der ungarischen Revolutionen, wird(!) in einer weiteren Warn- und Wahn-Rede wieder die Leichen Kossuths und Petöfis fleddern, ihr Erbe bespucken (…)." (Pesterlloyd am 14.3.2018)

Orbans historischer Anti-68er-Rollback

50 Jahre vorher, am Höhepunkt der Pariser 68er-Studentenrevolte, genau am 29. Mai 1968, fliegt der französische Staatspräsident De Gaulle fluchtartig per Helikopter ins deutsche Baden-Baden; die französische Gewerkschaft hat zu einer Massendemonstration aufgerufen. Nach einem zweistündigen Telefonat mit dem französischen Oberbefehlshaber Massud wendet sich das Blatt: Der Präsident fliegt wieder zurück nach Paris, hält (in Uniform gekleidet) eine Fernsehansprache und leitet jenen (vor)letzten Rollback gegen die 68er-Revolte ein: Die Neuwahlen im Juni gewinnen die Gaullisten überwältigend.

De Gaulles schärfster Gegner von damals: Der linke Studentenführer Daniel Cohn Bendit: Er hatte zum Generalstreik am 19. Mai sowie zur Einsetzung einer Räterepublik aufgerufen.

Allein: De Gaulles Rollback war bereits ein Rückzugsgefecht des konservativ-restaurativen Nachkriegseuropas. Ab nun machten sich die marktschreierischen 68er-Hobby-Revolutionäre auf zu ihrem erfolgreichen Gang durch die Institutionen des sogenannten "Schweinesystems" und sich in diesem bald wohlig wie Speckmaden zurecht. Gegen die Vertreter des traditionellen Europas (De Gaulle geboren 1890) liefen die Bendits Sturm, um schließlich nur mehr dessen Fassaden übrig zu lassen.

Heute ist den gebrechlich gewordenen und verunsicherten Alt-68er-Führungs-Eliten (Bildergalerie anklicken!) erneut wieder nur mehr eines geblieben: der Hass. Doch ist deren Gegner Viktor Orban plötzlich um eine Generation jünger: Wie einen säkularisierten Teufel fürchten sie ihn (1963 geboren – 55 Jahre jung), und sie verfolgen ihn mit (immer unwirksamerer) post-inquisitorischer Hass-Propaganda. Verkörpert doch Orban die spiegelverkehrte Anti-68er-Revolte aus dem Osten gegen die senil gewordenen, geistig ausgebluteten, dekadent-nihilistisch-pervertierten 68er-Nomenklateure der Cohn-Bendits. An dessen Stelle statt ergreift sie (wie vor dem Fall stehende Engel) die Angst vor dem Höllensturz aus ihrem selbstgerechten Gutmenschen-Olymp: Bendit heute als Krypto-Pädophiler geschmäht, geoutet vom rechts-nationalen Rachegott, Jean-Marie Le Pen.

Dagegen setzt Orban drei Werte: "Ich glaube an die einfachen Dinge. An die Arbeit, an die Familie und an die Heimat. Ich glaube daran, dass Ungarn ein Land ist, in dem die harte Arbeit belohnt wird, … dass die Familien – gleich einem Rückgrat – das Land halten, … dass die Mütter respektiert und hochgeschätzt werden müssen, … dass wir Ungarn dann eine Zukunft besitzen, wenn wir Ungarn bleiben. Wir pflegen unsere Sprache, verteidigen unsere ungarische und christliche Kultur, bewahren die Unabhängigkeit und die Freiheit Ungarns.” (Orban: "Rede zur Lage der ungarischen Nation", 18.2.2018)

Auf dieses ketzerische Gegenprogramm zu ihren eigenen verdorbenen Werten (Gewalt, Sexualität und Vergötterung der "Verdammten" dieser Welt) reagiert die Alt-68er-Linke mit panischem Entsetzen: "Jetzt, da die öffentliche Erinnerungswelle zum Jahre 1968 langsam anrollt, … gibt es welche, die das Rad der Geschichte gerne zurückdrehen würden. Vor 1968. … (Der) oberösterreichische FPÖ-Chef und stellvertretende Landeshauptmann Haimbucher, … macht sich her über die Utopisten von 1968‘: Die Zustände in Europa sind katastrophal … Das, was die 68er … angerichtet haben, kann man jeden Tag überall sehen.‘ Was er genau damit meint: ‚Die Werte, die uns wichtig sind, müssen vertreten werden: der Leistungsgedanke, die Wichtigkeit der Familie und das Erhalten der Traditionen.‘ … Was wurde angerichtet?" (Stuiber - DerStandard: "Volle Kraft zurück vor 1968")

Es ist die Angst vor einer Götterdämmerung: Wer Angst davor hat, die eigene Polit-Pensionisten-68er-Gedenk-Jubelveranstaltung könnte allein durch die Existenz Andersdenkender versaut werden, hat biographisch, geistig und auch politisch längst auf dem Altenteil den Tod vor Augen.

Wie ein bösartiges nietzscheanisches Ohmen muss es den aus der geschichtlichen Bahn zentrifugierten Alt-68ern erscheinen: "Dies 'Umsonst!' … unseres gegenwärtigen Nihilismus … Denken wir diesen Gedanken in seiner furchtbarsten Form: das Dasein; so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich wiederkehrend, ohne ein Finale in's Nichts: 'die ewige Wiederkehr'" (Nietzsche: "Der Wille zur Macht”).

Vier Faktoren deuten auf eine neue historische Epochen-Wende hin:

  1. Die Zeit ist reif.
  2. Die sich im Rollen befindende Gegen-68er-Revolution wurde nicht als solche wahrgenommen.
  3. Die bisherigen politischen Eliten sind nicht nur ideologisch, sondern auch biographisch-biologisch am Ende.
  4. Und: Ein epochal-historisches Ereignis von außen - die Flüchtlingskrise 2015 – verdichtet historische Zerfallsprozesse auf weniger als eine Dekade in Form einer Kataklypse.

Der große Unterschied: Orban und die West-Linke

Orban und ich: Beide sind wir beinahe Jahrgänger. Er geboren 1963 im ungarischen Szekesfehervar, dem Krönungsort des ungarischen Königs Stefan des Heiligen, ich 1962 im Vorarlberger Bregenz, Herkunftsort einer welthistorischen Größe freilich nicht.

Die große Divergenz zwischen Ost und West war jene Trennlinie, die der 68er-zersetzte Westen so stolz mit der Postmoderne und seinem ultra-libertinären "Anything Goes" titulierte. Zwei Generationen später hat sich diese aufgesetzte politische Meinungsführerschaft endgültig ausgelaugt, überholt und atrophiert.

Dem Osten gewährte das Schicksal jene westlich-libertinäre Sozialstaats-Schlaraffenland-Verweichlichung freilich nicht. Während der faschistische Totalitarismus in Schall, Rauch und Asche ein Ende fand, holte der kommunistische noch einmal tief Atem. Seinen vermeintlichen Hass-Gegner projizierten alle Linken seit jeher auf das Bürgertum, das nun Viktor Orban seit 1998 (erstes Kabinett) in seiner Heimat wieder aufzubauen begann.

Mit der blutig niedergeschlagenen Revolution von 1956 durchlitt Ungarn noch ein letztes Mal eine historische Tragödie. Zum Geburtsjahr Viktor Orbans, 1963, hatten die in Ungarn Verbliebenen allerdings bereits ein Arrangement mit den Kadar-Post-Stalinisten getroffen: Schweigen über das Massaker von '56 im Gegenzug zu den Annehmlichkeiten in der "lustigsten Baracke des Ostblocks" mit "Gulaschkommunismus".

Zwischen historischer Tragödie oder Farce gibt es noch das ungarische Lebensgefühl des Csardas: Es lebt aus der Spannung, unvermittelt, von einem Augenblick auf den anderen, aus tiefster Schwermut in lebensbejahend-trotzige Lebensfreude umzukippen.

1981: Orban dient als Soldat in einer ungarischen Eliteeinheit und wartet bangend auf den Abmarschbefehl nach Polen zur Niederschlagung des Solidarnosc-Aufstandes. Zu einem neuen "polnischen 56" kommt es aber nicht mehr…

1981: Ich schließe im selben Jahr wie Orban mein Abitur ab; mit dem Ersparten als Ferialpraktikant breche ich in Späthippie-Manier, mit Freundin, Gitarre und Fischerangel bewaffnet, ins Land der Mitsommernacht auf; danach folgen die üblich westlich-pubertären Sinnkrisen in abgeklatschter "Leiden des jungen Werther"-Manier, privat und im Studium: Peter-Pan-Komplex nennt man so was.

1989 halte ich endlich mein Magisterdiplom in Händen: Auf der anderen Seite der Weltkugel, auf dem "Platz des himmlischen Friedens" hatten unverbesserliche chinesische Alt-Stalinisten gerade eine friedliche Studentendemonstration brutalst niedergewalzt – noch einmal historische Tragödie.

1989 aber, im Wendejahr, hatte Orban mich (auf dem Pannenstreifen der Geschichte zurücklassend) gerade überholt: In seiner berühmten Rede auf dem Budapester Heldenplatz fordert er die russische Besatzungsmacht auf, sein Land zu verlassen. Kurz davor war er gerade Vater geworden: Während es in Kreisen der aufgeblühten westlich-dekadenten Bobo-Kultur schon längst Mode ist, die eigene feige Verantwortungslosigkeit betreffend Familiengründung unter allerlei fadenscheinigen Pseudobegründungen aus dem Ungeiste des Wohlfahrtstaates heraus zu verbrämen: "In diese Welt voller Atomgefahren werde ich keine Kinder setzen!"

Wir lebten schon lange in einer Welt der pseudo-revolutionären Farce und Dekadenz als Nachrülpser der Geschichte. Während es im wert-relativisierten Westen immer hunderte Ausreden gibt (das "Anything Goes" eben), konnte man im Osten nur auf wenigen Wegen (s)einen Weg gehen.

"Die 68er hat­ten (…) zehn Le­ben. Stu­den­ten­re­vol­te, K-Grup­pe, ein paar Häu­ser be­set­zen, da­nach fünf Jah­re Bhag­wan-Sek­te, ein Stu­di­um be­en­den, dann noch mal Kar­rie­re in der Po­li­tik. So vie­le Chan­cen – die gab es vor­her nicht, die gibt es auch heu­te nicht." (Die Tochter der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof)

1984 erleben die drögen österreichischen Wohlstands-Revoluzer-Studiosi noch einmal einen "kurzen Sommer der Anarchie" (Enzensberger), wenn auch mitten im Winter in der Kälte der Hainburger Au mit allem, was dazugehörte: Barrikadenbau, Zeltlager, sibirischer Kälte, Flower-Power-Gesangsel und Lagerfeuerromantik, und ein bisschen freie Liebe auf Strohballen; sogar kurzes Schnuppern in Stahlgewitter-Schlachtenlärm stand auf dem Programm, allerdings war auch das nur Farce.

Ein kleiner Polizeihubschrauber, der wie eine hysterische Hornisse immer wieder niedersausend uns zu vertreiben versuchte; schlecht ausgerüstete, frierende Dorfpolizisten mit (eher an Bratwürste erinnernden) Gummiknüppel; und wir unbedarfte Studiosi, gefangen in einem Kessel von unsicheren Polizeischülern, vor deren Blicken wir dann gezwungenermaßen herumkackten; ein staatsbekannter Neonaziführer, geschult in paramilitärischen Überlebenstechniken, hatte sich aus diesen Kessel natürlich längst verflüchtigt, warf uns aber werbewirksam von außen Räucherwürste herein.

Auch Farce-Tragödien spielten sich ab: Eine der schönsten linken Agitprop-Au-Lagerschönheiten weinte bittere Tränen: Hatte sie sich doch ausgerechnet in diesen Neonaziführer verknallt, was sie natürlich alles einem Super-Softie-Frauenversteher ausweinte: nämlich mir. Danach verschwand sie wieder von meiner Seite; wohin wagte ich mir kaum vorzustellen. Gerne hätte ich die Schöne-Linke zwar in meinem Zelt weiter erwärmt, woraus freilich nix wurde, weil ich zu wenig Haudegen-Biest gewesen war.

Aus den Lagerschönheiten von damals entpuppten sich 31 Jahre später jene traurig-schaurig-gealterten Sugarmamies als vereinsamte Single-Nachtschmetterling-Mottinnen, die jene neuen männlichen Heilsbringer-Gestalten an den Gestaden westeuropäischer Bahnhöfe beklatschend, an ihre Busen zu schließen bereit, umschwärmen sollten.

Irgendwann geht natürlich jede tolle Party zu Ende, und am verhasstesten macht sich jener, der die Sperrstunde auszurufen hat: Orban eben. Dessen wertkonservatives "Schluss mit lustig!" wurde zunächst von den westeuropäischen linken Dekadenz-Eliten peinlichst ignoriert und dann aufs Heftigste bekämpft. Politisch überlebt hat Orban die meisten davon schon jetzt…

Wird der Westen fallen? Warum?

"Unsere schlimmsten Alpträume werden wahr. Der Westen fällt, während Europa nicht einmal bemerkt, dass es besetzt wird. (…)

Anscheinend haben sich die Entwicklungsrichtungen (…) zwischen West- und Mitteleuropa voneinander getrennt. (…) In Westeuropa sind die alten, großen europäischen Nationen zu Einwanderungsländern geworden. Die Umwandlung der kulturellen Grundlagen, die Abnahme der Bevölkerung christlicher Kultur, die Islamisierung der Großstädte schreitet voran, und ich sehe jene politischen Kräfte nicht, die die Prozesse aufhalten wollten oder könnten, oder diese umkehren." (Orban: "Rede zur Lage an die Nation")

Mehr als 100 Jahre vorher hatte Friedrich Nietzsche bereits eine gespenstische Kulturdekadenz symptomatisiert: "Was ich erzähle, ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte. Ich beschreibe, was kommt, was nicht mehr anders kommen kann: die Heraufkunft des Nihilismus. … Unsere ganze europäische Kultur bewegt sich seit langem schon mit einer Tortur der Spannung, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wächst, wie auf eine Katastrophe los: unruhig, gewaltsam, überstürzt: einem Strom ähnlich, der ans Ende will, der sich nicht mehr besinnt, der Furcht davor hat, sich zu besinnen." (Nietzsche: Nachlass)

Nietzsche (so wie Merkel aus protestantischem Pfarrhause stammend) machte für den Niedergang Europas die "Sklaven-" und Schuldmoral des Christentums verantwortlich (in Hinblick auf Mama Merkels protestantisches Hausfrauen-Diktum "Wir schaffen das!", mit ihrer naiven Willkommenspolitik im Sinne einer pervertierten protestantischen Brotvermehrung).

Nach Oswald Spengler ("Der Untergang des Abendlandes") durchschreiten Kulturen vier Jahreszeiten, irgendwann treten sie unweigerlich in einen Niedergang ein. Deren Gesamtlebensdauer datiert Spengler in etwa auf eine Zeitspanne von etwa 1500 Jahren; den Beginn der abendländisch-christlichen Kultur setzt er mit 500/800 (Frankenherrscher/Karl der Große) an… Damit wäre der Westen langsam überfällig; die muslimische Kultur immerhin 600 Jahre jünger und vitaler. Klingt natürlich einfach, ich weiß!

Der Aufstieg des Christentums vollzog sich mit der Idee von Nächstenliebe, als Gegenentwurf zur antik-römischen Sklavenhalter-Gesellschaft. Im überzivilisierten Europa entartete diese Utopie zu christlich-säkularisierten Häresien: Mit der Aufklärung und ihrem "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!", und kulminiert schließlich im real-existierenden Sozialismus als Diesseits-Paradies-Ersatz.

Die westlichen Nanny-Sozialstaaten (mit sozialer Mindestsicherung, Sex-Kuschel-Einheiten für Sträflinge auf Krankenschein, Genderwahnsinn und anderen Absonderlichkeiten) haben mittlerweile ihren Endpunkt erreicht: In einer pervertiert(!)-christlich-säkularisierten Sozialstaats-Schlaraffenland-Kakotopie, gemischt mit Erlöserphantasien der und durch die "Pauperisierten" dieser Welt. Gerade sind die Wohlfahrtsstaats-Modelle dabei, ihre abgelaufene Bestimmung mit einer historisch sagenhaften Ausweitung auf letztere Klientel (die "Verdammten dieser Erde") in die Luft zu jagen.

Die Wohlfahrts-Party ist zu Ende. Orban hat die Sperrstunde eingeleitet. Doch die Abfeiernden wollen noch längst nicht nach Hause, die Morgenröte ignorieren sie weiterhin…

Ein weiterer Aspekt des Niedergangs: "Kulturen befinden sich" in einer "innere(n) Dynamik"; denn "anders als die Naturgesetze (bleibt) jede menschliche Ordnung voller Widersprüche". (Harari: "Eine kurze Geschichte der Menschheit") "Warum…" – so lautet die aus dem Geiste der nietzsche-anischen "Sklavenmoral" heraus gespeiste alt-linke Frage: "Warum hat gerade das christliche Europa nur die ganze Welt so schrecklich unterdrückt?"

Der österreichische Gutmenschen-Bundespräsident Van der Bellen benannte diesen Schuldimperativ unumwunden: "Wenn wir uns schon christliches Abendland nennen, haben wir auch die Verpflichtung zu helfen." Trotziger formulieren kann man kulturellen Selbsthass, gepaart mit Untergangssehnsucht nicht mehr.

"Warum treffen manche Gesellschaften katastrophale Entscheidungen?" (J. Diamond: "Kollaps") Weil die herrschenden Eliten unfähig sind, auf ungewohnte Herausforderungen mit neuen Denkansätzen zu reagieren, stattdessen forcieren sie altbekannte Muster zum Zwecke kurzsichtiger Herrschaftssicherung: "Die Werte, an denen die Menschen unter ungeeigneten Bedingungen am hartnäckigsten festhalten, sind genau jene, durch die sie zuvor ihre größten Triumphe über widrige Umstände gefeiert haben."

So verschwendeten die Altgrönland-Wikinger (in der sogenannten Kleinen Eiszeit im 14./15. Jhd.) ihre stark unter Druck geratenen Ressourcen mit dem Bau noch prunkvollerer Kathedralen, ihre bisherige Überlebensstrategie (Viehzucht) passten sie nicht jener der eingeborenen Eskimos (Fischfang) an. Heutzutage bemühen linke Gutmenschen-Eliten gegen die Katastrophe der Pauperismus-Refjutschie-Crisis die eingelernte Strategie, den überholten Sozialstaat nun auf globalisierte Ausmaße aufzublähen. Mit denselben fatalen Konsequenzen: "In der gesamten Geschichte führten Handlungen oder Untätigkeit selbstverliebter Könige, Häuptlinge und Politiker immer wieder zum Zusammenbruch von Gesellschaften." (Diamond)

Warum aber blieb der Osten gegen diese postmoderne kulturelle Implosion immun? Als ausgesetztes Randgebiet verharrte er immer in einem Zustand der fortgesetzten Bedrohung. Daraus ergibt sich das Paradoxon vom "Vorteil der (zeitlichen) Rückständigkeit": Osteuropa lehnt Techniken, die im hoch entwickelten West-EU-Kerngebiet Chaos auslösten (muslimische Einwanderung – Parallelwelten), bewusst ab (Abschottung); aus den ehemaligen Randgebieten entsteht so ein neuer Hegemonial-Kernraum, die Visegrad-4-Staaten. Nietzsche prophezeite den "letzten Menschen"; dieser erinnert gespenstisch an die real existierende Existenz des "christlich-demokratisch-sozialistischen" Gutmenschen, als schwächliche Dekadenz-Entartung im Sinne einer Gleichmacherei der Menschen untereinander und ihrer Sehnsucht nach einem möglichst risikolos-angenehmen Wohlfahrts-Vollkasko-Leben ohne den "struggle of life".

"Wehe! … Ich zeige euch den letzten Menschen … Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der Erdfloh; … Wir haben das Glück erfunden." – sagen die letzten Menschen und blinzeln." ("Also sprach Zarathustra")

Bis auf ein paar marginalisierte Linke konnte Nietzsches "letzter Mensch" im Osten nie Fuß fassen.

Das irdische Christentum, als Reich von dieser Welt, war (bisher jedenfalls) geopolitisch so erfolgreich, weil es zu trennen wusste zwischen privater Innerlichkeit und machtpolitischen Notwendigkeiten (so wie viele mittelalterliche Herrscherhäuser Familienmitglieder in Klöster schickten, während andere blutige Schlachten ausfochten). Diesen kulturellen Selbsterhaltungstrieb hat der "letzte Mensch" unter den korrumpierenden Erfahrungen des Sozialstaatsbetriebes während der letzten 60 Jahre verloren.

Hätte ich – für meine Person – nicht seit 1992 im Osten gelebt, ich wäre wohl als links sozialisierter und brain-gewaschener Gutmensch im Spätsommer 2015 am Wiener Hauptbahnhof gestanden und hätte wohl mitgeschrien. "We say it loud, we say it clear: Refugees are welcome here!"

"Du musst dein Leben ändern!" (Rilke: "Archäischer Torso")

Erst im Osten fand ich einen Ausweg aus der von Langeweile anästhesierten Wohlstands-Kakotopie: "Arbeiten, als würde man ewig leben. Und Leben, als würde man jeden Tag sterben." (Klosterweisheit) In Ungarn wünschen sich die Menschen, wenn sie anderen beim Arbeiten zusehen "Jo munkat!" – "Gute Arbeit!" in der westlichen Freizeits-Manie-Fun-Gesellschaft träumen Jugendliche von heute bereits von einem lückenlosen Übergang von der Schule ins Sozialsystem.

Eines meiner Schlüsselerlebnisse in Ungarn war ein Gespräch mit einem heute 75-Jährigen. Sein Vater verbrachte drei Jahre in Kadar-Umerziehungs-Lagern, dessen Verbrechen: Er hatte West-Radio aufgedreht. Als die kommunistischen Schergen in der Nacht aus dem berüchtigten schwarzen Auto ausstiegen, um den Vater zu verschleppen, blieb der Junge damals in seiner Angst allein, denn auch seine Mutter war im Krankenhaus.

Kann einer der wohlstandsverwahrlosten, westlichen, linken Gutmenschen-Bobos (mit ihrem Faschismus-Alarmismus-Warngejohle) sich vorstellen, in welch abgrundtiefes Gefühl von Verlassenheit dieser Junge damals hinabgestoßen wurde? Nur eine Ziege nahm er sich als Trost aus dem Stall zu sich ins Bett mit ans Herz, um dieses vor dem Erstarren zu bewahren.

Warum ist der Osten anders geblieben?

In "Liebe" erzählt der ungarische Schriftsteller Tibor Dery von der Entlassung eines politischen Häftlings zurück nach Hause zu seiner geliebten Familie:

"Die Frau lief zu ihm, (…) schmiegte sich mit dem ganzen Körper an ihn: "Mein Einziger", flüsterte sie.

"Wirst du dich an mich gewöhnen können?" fragte B.

"Nie habe ich einen anderen geliebt", sagte die Frau. "Ich war Tag und Nacht bei dir. Deinem Sohn habe ich Tag und Nacht von dir erzählt." (…)

"Liebe auch unseren Sohn", flüsterte sie noch (…).

"Ja", sagte B., "ich werde mich an ihn gewöhnen, werde ihn liebgewinnen". (…)

"Wirst du dich an mich gewöhnen können?", fragte er immer wieder.

"Mein Einziger", sagte die Frau.

"Schläfst du die Nacht bei mir?" (…) Bleibst du die ganze Nacht bei mir?"

"Ja", sagte die Frau. "Jede Nacht, solange wir leben."

Wie wäre es einem altlinken Herrn B. wohl widerfahren, wäre er nach sieben Jahren zurück zu seinem Sponti-Girl gekommen? "Tja Pech gehabt! Wir haben uns eben auseinandergelebt! Wege trennen sich eben! Du kommst schon wieder klar!"

Dafür rennen diese Psychotherapie-Absitzer auf Energetik-Coaching-Seminare, weil unfähig, Gelassenheit, Nachhaltigkeit, Resilienz und Gegenwärtigkeit in ihrem eigenen Leben umzusetzen. Im Osten wurde das zwangsläufig immer gelebt.

Für die jetzt im Strudel des historischen Rollbacks untergehenden westlich-libertinären Hass-Linken sehe ich keine Hoffnung mehr. Sie werden so wie er damalige DDR-Stasi-Scherge Erich Mielke nach dem Epochenbruch ausgelacht wieder zu dem mutieren, was sie ohne Macht waren: Historische Rülpser, kleinlaut um Gnade vor der Geschichte winselnd.: "Aber ich liebe doch alle Menschen!"

"Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche." (Gustav Mahler)

"Der gute Soldat kämpft nicht aus dem Grund, weil er das hasst, das ihm gegenübersteht, sondern weil er das liebt, was hinter ihm steht, weil er Ungarn und die ungarischen Menschen liebt.

Wir sind aus der christlichen Kultur hervorgewachsen, wir unterscheiden zwischen dem Menschen und seinen Taten. … Wir glauben auch weiterhin an die Kraft der Liebe, aber wir werden kämpfen … mit einem Gegner, der anders ist, als wir … Er versteckt sich, er ist … nicht national, sondern international, er glaubt nicht an die Arbeit, sondern spekuliert mit dem Geld, er hat keine eigene Heimat, da er das Gefühl hat, die ganze Welt gehöre ihm … Unsere Vorfahren haben sehr richtig gesagt: Ein feiges Volk besitzt keine Heimat‘ … Doch am Ende haben immer wir gesiegt. Wir haben den Sultan mit seinen Janitscharen nach Hause geschickt, den habsburgischen Kaiser mit seinen Soldaten, die Sowjets mit ihren Genossen, und jetzt schicken wir auch Onkel Gyuri (Soros) zusammen mit seinem Netzwerk nach Hause." (Orban: "Rede zur Lage der Nation")

Seine letzte Wahlrede hielt der ungarische Ministerpräsident in Szekesfehervar / Stuhlweißenburg: Hier wurden 43 ungarische Herrscher gekrönt, hier nahm Stefan der Heilige, 1000 n. Chr. die ungarische Krone von Papst Silvester entgegen, diese wurde von Orban aus dem Museum ins ungarische Parlament gebracht, den Bezug zur christlichen Nation hat Orban in der ungarischen Verfassung verankert.

Nicht einmal die Kommunisten konnten die Erinnerung an die nationale Geschichte Ungarns ausradieren, in Polen nicht den Katholizismus: Als der polnische Papst Johannes Paul II während einem seiner Polenbesuche dem polnischen Kriegsrechts-General Jaruzelski gegenübertrat, soll dieser am ganzen Körper gezittert haben…

"Über 90 Prozent der polnischen Bevölkerung sind mit Leib und Seele katholisch. Je stärker der staatliche Druck wurde, desto intensiver hielten sie zu ihrer Kirche … Der kommunistische Staat wurde von den Menschen zwar gefürchtet, aber nicht geachtet … Die Polen empfingen ihren‘ Papst mit einer Begeisterung, die alle Befürchtungen der Regierung übertraf. Mehr als zwei Millionen Menschen waren allein zu den öffentlichen Veranstaltungen gepilgert. (Zenit / Stricker)

Im Gegensatz dazu leidet die gesamte Linke unter einem Traditionsdefizit. Ihre "Geschichte" beginnt erst vor kümmerlichen 150 Jahren mit Marx; sie speist sich seither durch den Hass, einer negativen Sehnsucht nach Zertrümmerung von Traditionen und einer irrationalen Sehnsucht, eine eigene Tradition im Sinne einer pervertiert-dystopischen Schöpfung eines Neuen Menschen bewerkstelligen zu müssen.

"Wirk­lich – das ein­zi­ge Mit­tel ge­gen die Angst ist der Hass. … Ul­ri­ke Mein­hof hat sich in ei­nen Hass hin­ein­ge­stei­gert. Die Ideo­lo­gie der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on dehn­te sie bis ins Pri­vat­le­ben aus ) In der Kom­mu­ne 2 in Ber­lin wur­de auch der Weih­nachts­baum an­ge­zün­det … Ein Zi­tat von ihr: Die (Terrororganisation) RAF hat euch lieb." Den Satz muss man erst mal brin­gen." (Die Tochter der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof)

Mögen die Linken weiterhin ihre säkularisiert-pervertierten Religionsersatz-Hochämter der Gutmenschen-Kakotopie abfeiern, ihren Mummenschanz auf ihren Gay-Fuck-Parades, ihrem Live-Ball. Sollten aber doch die christlichen Traditionen Europas fallen, dann fällt auch der Westen, mit ihm allerdings auch die christlich-säkularisierten Häresien der 68er-Postmoderne.

Wer einmal jenes nationale Zusammengehörigkeitsgefühl erlebt hat, wenn sich in Ungarn zu Silvester-Mitternacht die Menschen im ganzen Land erheben, um die ungarische Nationalhymne zu singen, weiß welche nationale Kraft und Identität im Denken und Fühlen Osteuropas stecken. Diese Kraft setzt nun an zum Rollback gegen eine 68er Bewegung, die nicht einmal ein Wimpernschlag der Geschichte war, sondern nur ein vulgärer Rülpser.

Jener 72-jährige Überlebende des Kardarismus blickt beinahe 30 Jahre nach vollzogener Wende noch einmal desillusioniert-hoffnungsvoll zurück:

"Vielleicht" beginnt er mit dankbarem Unterton "Vielleicht war es für uns alle damals sogar noch besser, im finstersten Kommunismus gelitten zu haben. Denn selbst in seiner schlimmsten Form war dieser nie so pervertiert wie der dekadente, libertinäre Westen mit all seinem geistigen Dreck."

Dr. Elmar Forster ist Lehrer und lebt(e) seit 1992 als Auslandsösterreicher in Ungarn, Prag, Bratislava, Polen, Siebenbürgen (Rumänien). 

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