Zur Vorgeschichte: Es war einmal ein Schwiegersohn, der bei seinem Schwiegervater in Ungnade fiel. Daraufhin beschuldigte die kasachische Staatsanwaltschaft den Schwiegersohn des zweifachen Mordes und verlangte von der Republik Österreich die Auslieferung. In Österreich hatte sich der Schwiegersohn mit viel Geld eine neue Existenz aufgebaut. Österreich verweigerte die Auslieferung.
Im Jahr 2009 setzte das österreichische Parlament einen Untersuchungsausschuss im Zusammenhang mit dem Fall Aliyev ein. Gerüchten zufolge soll der kasachische Geheimdienst versucht haben, österreichische Abgeordnete zu beeinflussen. Das BVT bestätigte später diese Gerüchte.
Rakhat Aliyev schrieb über seine Verfolgung zwei Bücher: The Godfather-in Law, 2009, und Tatort Österreich, 2013.
Der österreichische Rechtsanwalt Gabriel Lansky vertrat einen kasachischen Opferverein namens Tagdyr und soll, so Profil, über diesen Verein 14 Millionen Euro verdient haben. Auch der Spiegel veröffentlichte einen Artikel mit Namen, Honoraren und pikantem e-mail-Verkehr aus besagter Kanzlei. Offensichtlich gab es einen Maulwurf in der Kanzlei Lansky, der interne Daten nach außen gespielt hat.
Schließlich wurden Rakhat Aliyev und zwei mutmaßliche Komplizen doch noch in Österreich verhaftet. Sein Verteidiger Wolfgang Brandstetter wurde österreichischer Justizminister. Aliyev starb unter mysteriösen Umständen im Gefängnis. Brandstetter hielt sich aus dem Fall heraus, um nicht den Anschein von Befangenheit zu erwecken.
Gerüchte wollten nicht verstummen, dass nach der sogenannten Neutralisierung Aliyevs irgendwo die Sektkorken geknallt haben sollen.
Brandstetter soll seinen Klienten anlässlich der Verhaftung damit getröstet haben, dass er im Gefängnis vor allfälligen ausländischen Verfolgern sicher sei. Der Tod seines Ex-Klienten muss sich beim Justizminister wie ein Schlag in die Magengrube angefühlt haben.
Relativ bald nach Prozessbeginn wurden die beide mutmaßlichen Komplizen enthaftet. Das Gericht gab seiner Verwunderung Ausdruck, dass die österreichische Staatsanwaltschaft Beweise der kasachischen Behörden ungeprüft übernommen habe.
Schließlich wurde auch gegen Lansky wegen des Verdachts der Unterstützung eines fremden Nachrichtendienstes ermittelt. Angeblich aus Gründen der Objektivität wurde dieses Verfahren in Linz geführt, wo es offensichtlich versandete. Nicht nur das. Offensichtlich wurde von Seiten des Gerichts auch angeordnet, dass die ermittelnde Behörde, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, die Lansky-Daten löschen muss.
Dass das BVT die angeordnete Löschung nicht vorgenommen habe, bezeugt offensichtlich wiederum ein Maulwurf – diesmal aus dem BVT. 2018 wird nun über Intervention des Innenministeriums die Staatsanwaltschaft Wien aktiv und erwirkt beim Journalrichter einen Haudurchsuchungsbefehl. Die Hausdurchsuchungen beim BVT sowie diversen Privatadressen von BVT-Angehörigen werden von einer Polizeieinheit zur Bekämpfung der Straßenkriminalität gesichert, der wiederum ein FPÖ-Gemeinderat vorsteht. Das ruft die Opposition auf den Plan.
Hierzu ein paar Anmerkungen:
- Geheimdienste sind dazu da, um Informationen zu sammeln. Zum Wesen der Geheimdienste gehört auch, dass sie mit Informationen handeln. Do ut des. Dass nicht alle Informationen zu Verurteilungen führen, versteht sich von selbst. Alles löschen zu müssen, was nicht (sofort) zur Verurteilung führt, kann die Arbeit von Geheimdiensten ziemlich erschweren.
- Anordnungen der Gerichte sind Folge zu leisten. Was heißt dies nun konkret im System unserer Montesquieuschen Gewaltenteilung? Kann nun jedes Strafgericht dem BVT und den übrigen Nachrichtendiensten vorschreiben, welche Daten sie zu speichern oder zu löschen haben? Wenn sich die Straflandesgerichte der Republik als Ersatz-Dienstaufsichtsbehörden gerieren, stellen sie die Funktion der Geheimdienste in Frage. Ist die Linzer Entscheidung möglicherweise ein Fall für die Generalprokuratur?
- Wenn Details einer Hausdurchsuchung inklusive des Sicherstellungsprotokolls Tage nach der Amtshandlung an die Öffentlichkeit dringen, stellt sich die Frage, wer hier Verschwiegenheitspflichten verletzt hat. Informationsflüsse zwischen den Sicherheitsbehörden und den Redaktionsstuben scheinen wie selbstverständlich vom Strafrecht ausgenommen zu sein.
- Wenn die Ministeriumsspitze erfährt, dass Daten einer Behörde in ihrem Wirkungsbereich widerrechtlich gespeichert worden sein sollen, kann sie auch anders als mit der Einschaltung der Staatsanwaltschaft reagieren. So könnte der Innenminister den Leiter des BVT zu sich bestellen und sagen: "Freund Gridling, ich höre, bei Ihnen werden Daten unerlaubt gespeichert. Sorgen Sie dafür, dass diese gelöscht werden!"
- Eine Begründung für die eilige Hausdurchsuchung – die in Wirklichkeit eine Behördendurchsuchung war – lautete: Man müsse schnell handeln, da die Verdächtigen die Möglichkeit hätten, die Daten per Fernlöschung zu entfernen. Wie bitte? Die Löschung wurde doch verlangt. Die Hausdurchsuchung sollte also verhindern, dass die Verdächtigen den gesetzmäßigen Zustand herstellen – was für eine originelle Begründung.
- Der Journalrichter soll den Hausdurchsuchungsbefehl gegen 22.00 Uhr unterschrieben haben. Das erscheint besonders bedenklich. Der Journalrichter muss unter besonderem zeitlichen Druck gestanden sein, wenn die Hausdurchsuchungen mit Staatsanwälten, IT-Personal und 58 Polizisten für den nächsten Morgen bereits durchgeplant waren. Wie soll er da ablehnen? Kaum wird er sich über jahrelang zurückliegenden Hintergründe oder die möglichen Konsequenzen seiner Entscheidung Gedanken gemacht haben. Im Übrigen beschäftigt sich der Journalrichter zu diesen Nachtzeiten oft mit der Verhängung der U-Haft über gewöhnliche Straßenkriminelle, sodass für ausführliches Aktenstudium kaum Zeit bleibt. Dass der Hausdurchsuchungsbefehl begründet war, ist nicht zu bezweifeln. Dafür gibt es bewährte Muster.
- Als Steuerzahler wundert man sich, dass eine aufwendige Hausdurchsuchung durchgeführt wird, wenn ein Missstand auch im Dienstweg beseitigt werden kann.
- Als Bürger wundert man sich, dass 58 Polizisten einer Einheit gegen Straßenkriminalität zur Absicherung einer Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit nichterfolgten Datenlöschungen herangezogen werden, wenn auf der Straße die Messerstecher Hochkonjunktur haben.
- Kann aus der BVT-Razzia ein Handlungsmuster für die Zukunft abgeleitet werden? Wird nun jedes Mal bei einer österreichischen Behörde, die zu viele Daten gespeichert haben könnte, eine Hausdurchsuchung durchgeführt werden? Dann könnte man für besorgte Bürger, denen man gerade keine Straftat nachweisen konnte, zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung eine zentrale Anlaufstelle zwecks Beantragung von Hausdurchsuchungen einrichten.
Bei all dem Theater, das derzeit gespielt wird, kann ich nur hoffen:
- Hoffentlich haben all jene Unrecht, die an eine Ermordung Aliyevs glauben.
- Hoffentlich haben all jene Unrecht, die im Opferverein Tagdyr den verlängerten Arm des kasachischen Geheimdienstes gesehen haben.
- Hoffentlich haben alle Recht, die sich für die Nachtruhe der Republik einsetzen.
Andernfalls würde der Eindruck entstehen, dass ein blauer Innenminister und ein türkiser Justizminister im Namen des Rechts dazu beitragen, die letzten Spuren zu beseitigen. Dann hätten wieder einmal die Falschen jeden Grund, die Sektkorken knallen zu lassen.
P.S.: Vielleicht ist es auch umgekehrt und die Staatsanwaltschaft Wien hat durch die BVT-Razzia die letzten Spuren gegen die OLG-Entscheidung aus Linz doch noch gesichert …
Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er Abgeordneter im Nationalrat gewesen.