Von Wüsten und Oasen

Die Mehrheit der staatsgläubigen Zeitgenossen ist davon überzeugt, dass eine hohe Steuerquote mit einer hochstehenden Zivilisation Hand in Hand geht. Sie haben, sofern sie in einem europäischen Wohlfahrtsstaat geboren wurden, auch nie etwas anderes gehört, als dass es die vornehmste Aufgabe des Staates sei, alle Lebensbereiche seiner Bürger zu regulieren und sie vor allen möglichen Fährnissen zu beschützen – insbesondere aber vor sich selbst. Und lückenlose Bevormundung kostet halt.

Der US-Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 1976 Milton Friedman nannte dieses Phänomen "die Tyrannei des Status quo": Wer die Freiheit nicht kennt, hält eben die Knechtschaft für ganz normal. Würde der Staat nicht nur das Bildungs-, Gesundheits- und Pensionssystem usurpiert haben, sondern zudem auch noch für die Textilproduktion zuständig sein, würden wohl die meisten von uns befürchten, nackt herumzulaufen zu müssen, wenn man ihm diese Aufgabe entzöge.

Als in Österreich im Jahr 1896 unter Finanzminister Eugen von Böhm-Bawerk die progressive Einkommensteuer eingeführt wurde, lag ihr Spitzensatz bei fünf (!) Prozent. Im Zuge der im Jahr 2016 beschlossenen Steuerreform, die von der rotschwarzen Koalition als Riesenfortschritt gepriesen wurde, wurde der Spitzentarif von 50 auf 55 Prozent – also auf das Elffache der ursprünglichen Höhe - angehoben. Der Fiskus maßt sich also an, mehr als die Hälfte von Teilen rechtmäßig erworbener Einkommen zu enteignen. Das Zivilisationsniveau im Land am Strome muss seit 1896 geradezu explodiert sein.

Wer aber nun meint, dass dank der unerhörten Raubzüge, die der Fiskus gegen seine Leistungsträger führt, der Staat finanziell bestens aufgestellt sein muss, liegt voll daneben! Die Staatsschuld hat sich seit den unseligen Tagen des Ausbruchs des Kreisky-Regimes anno 1970 von (umgerechnet) 3,42 Milliarden Euro auf 292 Milliarden erhöht, also auf den 87fachen Wert. 1970 waren das 12,5 Prozent des BIP; 2016 sind das 83,6 Prozent des BIP.

Jeder Erwerbstätige im Lande schleppt eine Schuldenlast von 70.000 Euro mit sich herum. Dieser Betrag übersteigt bei weitem die durchschnittlichen Nettoersparnisse der Bürger des Landes.

Wenn also bei Umverteilungsdebatten immer wieder darauf hingewiesen wird, wie "reich" das Land angeblich ist, sollte diese Zahlen nicht außer Acht lassen. Ist einer tatsächlich "reich", weil er sich bei der Bank Geld geliehen hat? Unfug! Und was die angeblich so unerhört ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen angeht: Klar ist, dass die horrenden Staatsschulden am Ende nicht von den armen Unterprivilegierten, sondern von den "Besserverdienern" und "Reichen" bezahlt werden müssen, denn einem im steuerfinanzierten Gemeindebau logierenden Wohlfahrtsjunkie kann man ja wohl schwer in die Tasche greifen.

Eine der Obsessionen von Umverteilungsfanatikern betrifft "Steueroasen", wie die Schweiz, Liechtenstein, Irland oder Singapur. Wüsten sind nach Ansicht dieser Herrschaften, demnach erstrebenswertere Orte als Oasen. Angeblich würden diese Oasen nämlich die Steuerbasis der übrigen Länder unterminieren, indem sie Unternehmen und reiche Privatpersonen geradezu magisch anzögen. Eigenartig: während der Staat Wettbewerbsbehörden unterhält, die peinlich genau darüber wachen, dass es zu keinen Absprachen unter Unternehmen kommt (Kartellverbot), soll nicht etwa ein Steuerkartell, sondern der Steuerwettbewerb unterbunden werden, weil er ruinös sei. Seltsame Logik.

Konsequenterweise wird eine Vereinheitlichung der Steuersysteme verlangt, wobei nicht die jeweils niedrigsten, sondern selbstverständlich die höchsten Tarife das Maß der Dinge bilden sollen. Subsidiaritätsprinzip? Staatsouveränität? Budgetgerecht als "Königsrecht" nationaler Parlamente? Fehlanzeige. Die Zentrale in Mordor – Pardon – Brüssel, soll entscheiden.

Schlecht wirtschaftende Staaten, die ihre Bürger – wie etwa in Österreich üblich – auspressen wie Zitronen, sollen auf diese Weise vor der Konkurrenz durch Wettbewerber mit schlanken und effizienten Strukturen wie in der Schweiz beschützt werden. Diese kommt mit einer 10 Prozent niedrigeren Steuerquote aus als Österreich und ist dennoch mit nur 33,1% des BIP verschuldet. Genialer Plan. Zumindest aus Sicht der Zentralbürokratie, die damit die Möglichkeit bekäme, ihre Bürger daran zu hindern, eine "Abstimmung mit den Füßen" zu veranstalten und allzu brutalen Steuervögten zu entfliehen.

Dass es in 100 von 100 Fällen Nettosteuerempfänger sind, die sich über die "Steuerflucht" der Begüterten alterieren, ist eine Pikanterie, die leider nur wenigen bewusst wird: Politiker und Bürokraten schaffen keine Werte und zahlen keine Steuern. Sie leben vielmehr ihr Lebtag von den Leistungen der in der Privatwirtschaft tätigen Nettosteuerzahler.

Was diese Politruks allesamt leider nie begreifen werden: Wohlstand entsteht durch Produktion – nicht durch Umverteilung! Und Produktion (und Wachstum) begünstigt, wer Leistung nicht zum Beispiel durch hohe Steuern bestraft. Der Staat kann sich über ökonomische Gesetze nicht hinwegsetzen. Die "Kraft des Willens" der politischen Klasse reicht einfach nicht aus, um Flüsse bergauf fließen zu lassen. Nicht umsonst herrscht in den Staaten mit der größten wirtschaftlichen Freiheit und den geringsten Steuern der höchste Wohlstand – und nicht etwa im sozialistischen Paradies Venezuela.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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