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Spanien: Mehr Dummheit als erträglich

Da kann man nur noch den Kopf schütteln: Spanien hat wirklich geglaubt, wenn man die Katalanen ordentlich demütigt, wenn man sie mit brutaler Polizeigewalt niederprügelt, wenn man ihre gewählten Politiker nach der Reihe einsperrt oder ins Exil vertreibt, und wann man sie dann wählen lässt, dann würden sie die Hand ihrer Unterjocher demütig küssen. Was für eine Unkenntnis der menschlichen Seele und politischen Psychologie! Es ist nach den Ereignissen der letzten Monate fast zwingend gewesen, dass die Volkspartei des spanischen Premiers Rajoy in Katalonien jetzt halbiert worden ist, dass auch eine neue Kraft der Mitte nicht die notwendige Stärke bekommen hat, um relevant zu werden, und dass genau so viel Katalanen für die Sezession sind wie vorher.

Jetzt steht Rajoy so klug wie zuvor da – nein, eigentlich noch belämmerter. Denn sein unflexibles Verhalten hat wahrscheinlich alle Wege zum notwendigen Kompromiss versperrt. Gewiss, der schuldige Faktor ist nicht Rajoy alleine, das ist die ganze spanische Volksseele, für die Ehre und Stolz immer schon über alles gehen. Mit diesem Stolz ist es unvereinbar, wenn sich ein Teil des Landes abspaltet. Daher findet Rajoy außerhalb Kataloniens auch durchaus massive Zustimmung für seine eiserne Härte. Was zusätzlich jede Kompromissbereitschaft erschwert.

Rajoys Problem ist es nur, dass Ehre und Stolz nicht nur ein Privileg des spanischen Mehrheitsvolks ist, sondern dass auch die Mehrheit der Katalanen davon geprägt ist. Katalonien ist überdies größer und vor allem wirtschaftsstärker als viele EU-Mitgliedsstaaten. Da kann man den Menschen nicht einmal den üblichen Schmäh verkaufen: Ihr seid zu klein, um unabhängig zu sein. Der stimmt ja auch bei Malta, Luxemburg oder Liechtenstein nicht. Das sind zum Teil die reichsten Länder der Welt.

Da hat auch Rajoys lächerliches Drohspiel nicht geholfen, dass er den Katalanen nach einer Abspaltung den Weg in die EU verbauen werde. Dass auch EU-Kommissionspräsident Juncker bei diesen absurden Drohungen voll mitspielt, war bei dessen Intelligenz fast zu erwarten gewesen, obwohl die EU sehr schlecht beraten wäre, wenn sie jetzt den Mitgliederverlust zur Dauereinrichtung machen wollte. Aber immerhin: Juncker verhandelt ja offensichtlich lieber mit der Türkei über einen Beitritt.

Wenn Rajoy nicht sofort einlenkt, alle politischen Gefangenen freilässt, sich mit dem geflohenen Wahlsieger Puigdemont trifft und mit den Katalenen konstruktive Gespräche führt, dann werden zwei Expresszüge voll aufeinanderdonnern. Dann droht, was es zwischen Katalanen und Spaniern schon mehrmals, zuletzt unter Franco, gegeben hat: ein neuer Bürgerkrieg.

Jetzt rächt es sich, dass das Recht in Europa – mit Ausnahme der Schweiz – noch immer einzig von der Staatsmacht, also von Politik und Höchstgerichten, ausgeht und nicht vom Volk. Dass die Menschen wie in der gesamten bisherigen Geschichte einfach als Besitz einer sich auf eine papierene Verfassung berufenden Staatsmacht behandelt werden – bis sie revoltieren. Es ist zu befürchten, dass es keine Lösung gibt, solange man nicht geistig einer Antwort auf diese Frage näherkommt.

Daher sollte jetzt eigentlich dringend von außen Vermittlung und Mediation kommen, bevor das Unheil endgültig ausbricht. Aber nur: von wem?

  • Von Juncker & Co? Die sind völlig von den Regierungschefs abhängig, also auch dem Spaniens. Die EU-Kommission hat nun ohnedies schon – völlig überschießend – Polen den Kampf angesagt, sie hat mit den Briten zu ringen. Sie kann daher, selbst wenn sie fähiger wäre, nichts tun, was die Madrider Regierung nicht will. Dazu kommen viele sonstige Konfliktfälle wie Ungarn und Griechenland. Da hat die Kommission absolut Null Bock, sich noch mit einem weiteren, noch dazu großen Mitgliedsland anzulegen (sie verhält sich ja auch Österreich gegenüber zuckersüß, sehr im Gegensatz zu 2000).
  • Von der katholischen Kirche, die solches in der Vergangenheit bei christlichen Ländern insbesondere des lateinischen Sprachraums mehrfach mit Erfolg getan hat? Aber deren heutiger Papst kämpft lieber gegen die Marktwirtschaft; und die Bischöfe der iberischen Halbinsel sind völlig geteilter Meinung, je nachdem, auf welcher Seite ihre Diözese liegt.
  • Von Europas mächtigster Politikerin, also Angela Merkel? Die wird das wohl bald gewesen sein. Merkel ist innenpolitisch jedenfalls schwer angeschlagen. Sie bringt nicht einmal mehr eine deutsche Regierung zusammen, weil sie partout gegen den Rechtsruck der Wähler schwimmen will.
  • Von Donald Trump? Der weiß wohl gar nicht, wo Katalonien liegt.
  • Von Emmanuel Macron? Der effekthaschende wie kluge Franzose bemüht sich lieber, afrikanische und asiatische Konflikte zu schlichten, als solche in der unmittelbaren Nachbarschaft Frankreichs. Hätte doch eine Vermittlung ohne grundsätzliche Klärung der Frage des Sezessions- und Selbstbestimmungsrechts nur sehr schlechte Aussichten. Da fängt er lieber gar nicht erst damit an, um sich nicht einen Misserfolg einzufangen.
  • Der beste Vermittler wäre wohl Vaclav Klaus. Denn der Tscheche hat einst die Sezession der nach Unabhängigkeit gierenden Slowaken mit Toleranz hingenommen und großer Umsicht ausverhandelt. Was heute dazu führt, dass Tschechen und Slowaken innigste Freunde sind; dass beide Länder entgegen den früheren Unkenrufen der zentralistisch denkenden Menschen derzeit voll aufblühen.

Ob Spanier und Katalanen auch diesen Weg gehen werden? Wohl nur, wenn ein Weihnachtswunder eintritt. Wohl nur, wenn Rajoy plötzlich erkennen könnte, dass eine friedliche und geordnete Sezession Kataloniens (und des dann sicher folgenden Baskenlandes) Spanien zwar geographisch kleiner, aber moralisch in jeder Hinsicht viel größer machen würde.

Ganz abgesehen davon, dass bei einem raschen Vernünftig- und Gemäßigtwerden Madrids gute Chancen bestehen, dass sich dann eine Mehrheit der Katalanen doch für einen Verbleib bei Spanien entscheidet. Dass der Zorn über die Präpotenz Madrids bald wieder abflaut. Freilich wird das nur dann passieren, wenn es um einen Verbleib wirklich auf Augenhöhe geht. wenn es ausgeschlossen ist, dass Madrid neuerlich hunderte Prügelpolizisten entsendet.

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