Der 1902 in Wien geborene und 1994 verstorbene Sir Karl Popper ("companion of honours"), entwickelte eine Lerntheorie, die in den Schulen dieses Landes bisher viel zu wenig zur Kenntnis genommen wurde. Zahlreiche Lehrer glauben immer noch, dass die Schüler durch Lernen ein verlässliches Wissen erwerben können. Sie sind sich offensichtlich nicht dessen bewusst, dass neues Wissen die Korrektur alten Wissens impliziert.
Lernen verlangt das Entdecken von Irrtümern und den Ersatz von alten durch neue Vermutungen. Popper betrachtete die Entdeckung neuen Wissens als Folge eines kritisch rationalen Wettstreites. Ausgangspunkt des Lernens war für ihn die Erkenntnis des eigenen Nichtwissens. Falsche Theorien bezeichnete er als großartige Leistungen, da sie zu Kritik, zu Widerlegung, zu Irrtums- und Fehlerkorrektur anregen.
Der Lerntheoretiker Popper schätzte den "ionischen Geist" des Wettbewerbes der Fragestellungen und Hypothesen, den Geist des Zweifels, der Überprüfung von Vermutungen und der rationalen Entscheidung von Streitfällen. Es erfüllte ihn mit Freude zu forschen. Er vertraute auf die Vernunft und darauf, suchend das "Bessere" zu finden.
Popper liebte wie Sokrates das fortwährende, unermüdliche Fragen. Im pädagogischen Dialog (der lohnendsten Übung des Geistes!) pflegte er die Kunst des Entbindens und leistete als "Hebamme" Geburtshilfe, indem er seine Gesprächspartner zum selbständigen Denken anleitete. Auch seine Prüfungen erschütterten das vermeintliche Wissen anderer. Da er sie ins "Scheitern" stürzte, half er ihnen, ihre Irrtümer selbsttätig zu suchen und zu korrigieren/ihre Antworten als "Fehlgeburten" zu verwerfen.
Popper war davon überzeugt, dass Streitgespräche und Widerrede einen Impuls setzen, nachdenken und Argumente suchen lassen. Die Erkenntnis von Unwissenheit sah er als Ausgangspunkt für Neugier, für neue Fragen und für neue Antworten. Lernen verhalf ihm zur Einsicht, wie viel ihm noch zu lernen blieb.
Als Lehrer ersehnte Popper fragende, nach objektiver Wahrheit (als Übereinstimmung des Inhaltes einer Aussage mit den Tatsachen), nach Erklärungen und nach Lösungsvorschlägen suchende Schüler. Lernen war für ihn ein Ergebnis von Vermutungen und Widerlegungen, ein Resultat der Prüfung und der Kritik von Hypothesen. Popper wollte ein Lehrer sein, der keine ungefragten Antworten auf ungestellte Fragen gibt. Er ermutigte die Schüler zu konstruktiver Kritik und bot ihnen auch Gelegenheit, Kritik ertragen zu lernen.
Die europäische Tradition einer lernenden Wissensgesellschaft könnte doch in unseren Schulen mehr als bisher verbreitet werden. Sie verlangt allerdings von den Schülern (und Lehrern) mehr Sprach-, Denk-, Argumentations- und Dialogfähigkeit.
Wenn die Schüler erfahren, dass sie als Menschen auch irren und Fehler machen (dürfen), dann sind sie damit auch auf dem Weg zur Toleranz. Die Erkenntnis der eigenen menschlichen Unvollkommenheit und Würde ist eine Basis für die Duldsamkeit gegenüber anderen Menschen.
Der Verzicht auf Lernen durch kritisch-rationale Diskussion fördert die Entwicklung von Intoleranz und Fanatismus sowie von Gewalt gegen Sachen und Personen. Er stärkt auch die Feinde der lernenden Wissensgesellschaft, die Fanatiker, die meinen, dass ihr "Geist" über den Regeln steht.
Sir Karl Popper wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es keine Toleranz gegenüber intoleranten Fanatikern geben darf, da dies die Toleranz und den Rechtsstaat zerstört.
Die Offene Gesellschaft ist eine lernende Gesellschaft. Schaffen wir doch in den Schulen die Voraussetzungen für ein Leben in einer offenen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung! Poppers Lerntheorie könnte uns dabei helfen.
Daran und an ihn selbst zu erinnern ist mir ein Anliegen.
Josef Stargl ist AHS-Lehrer in Ruhe und ein Freund der Freiheit.