Die Sicherung von Spareinlagen ist spätestens seit Ausbruch der weltweiten Schulden- und Finanzkrise im Jahr 2008 ein Thema, das allerdings vorwiegend in Expertenzirkeln diskutiert und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Einerseits dank der enormen Konzentration auf dem Finanzsektor; viele Banken sind eben "too big to fail". Andererseits fühlte sich die EU-Nomenklatura 2015 wegen der weitgehenden Unbedarftheit vieler Sparer in Finanzangelegenheiten dazu herausgefordert, regulierend einzugreifen und die Spargroschen der kleinen Leute gegen Totalverluste abzusichern. Dieses Vorhaben scheint zwar im Prinzip segensreich zu sein, weist aber auch einige Ungereimtheiten und Gefahren auf.
Damit beschäftigt sich ein kürzlich präsentiertes Papier der Universität St. Gallen, konkret deren "Wirtschaftspolitischen Zentrums". Der aus Tirol stammende Ökonom Christian Keuschnigg beleuchtet darin die mit dem geplanten Vorhaben verbundenen Risiken und möglichen Fehlanreize.
Der Autor stimmt mit den im Zusammenhang mit der "Eurorettung" bereits vom Chef der EZB Mario Draghi formulierten Gedanken überein, dass jegliche Stabilitätsgarantie über jeden Zweifel erhaben sein muss, um wirksam zu sein ("Whatever it takes…"). Um eine glaubwürdige Sicherheitsgarantie für die Spareinlagen abgeben zu können, bedarf es demnach eines "Gläubigers der letzten Instanz", der (bis zum derzeit geltenden Limit von 100.000 Euro pro Sparer) dafür bürgt – notfalls, indem er die Notenpresse anwirft, um allenfalls in Not geratene Banken mit Liquidität ausstatten zu können. Diese Rolle, die derzeit den nationalen Notenbanken zukommt (die nationalen Einlagensicherungssysteme Deutschland und Österreichs sind bereits gut aufgestellt), soll nach den Plänen der EU-Kommission auf die Ebene der EZB verlagert werden.
Nur eine unzweifelhaft glaubwürdige Garantie bewirkt, dass sie niemals gezogen wird. Bislang, das muss der EZB unter Mario Draghi konzediert werden, hat diese "Bazooka" ihren Zweck erfüllt und serienweise Bankenpleiten im Gefolge des US-Immobiliendebakels tatsächlich, wenn auch um den hohen Preis hoher Verschuldung, verhindert.
Einlagensicherungssysteme funktionieren indes nicht ohne Nebenwirkungen: Zum einen wird damit den Sparern jede Eigenverantwortung bei der Auswahl ihrer Bank abgenommen; zum anderen könnten Banken dadurch ermutigt werden, erhöhte Kreditrisiken einzugehen (Problem des "Moral Hazard").
Keuschnigg warnt außerdem vor übergroßen Erwartungen im Falle einer neuerlichen internationalen Finanzkrise. Das System tauge zwar für den "Normalbetrieb", nicht aber wenn es auf breiter Front zu zeitgleich auftretenden Turbulenzen kommt. Denn dann reicht dessen Kapitalisierung keinesfalls aus.
Der Autor kritisiert überdies, dass EDIS auf eine Umverteilung und Quersubventionierung von den gut aufgestellten Ländern mit solide kapitalisierten Banken zu Ländern und Instituten mit vergleichsweise hohen Risiken und vielen faulen Krediten hinausläuft. Das aber widerspricht grundsätzlich dem Versicherungsprinzip, das – bei gleichen Beitragsleistungen – auf den Ausgleich gleich wahrscheinlicher Risiken zielt.
Die 100.000-Euro-Obergrenze der Einlagensicherung, die auf länderspezifische Unterschiede im Hinblick auf das BIP pro Kopf, das Durchschnittseinkommen oder das makroökonomische Umfeld keinerlei Rücksicht nimmt, sieht Keuschnigg ebenfalls kritisch. So bedeutet für Lettland die geltende Obergrenze eine Absicherung des 7,8-fachen BIP pro Kopf. In Luxemburg dagegen nur des 1,1-fachen. Das ist eine auf den ersten Blick erkennbare Schieflage. Auch der Umstand, dass prozentuell gleiche Vorsorgeleistungen für solide wie für marode Länder vorgesehen sind, widerspricht dem Versicherungsgedanken ganz grundsätzlich. Hohe Risiken sind nun einmal höher zu versichern, als geringe.
Ein weiteres Problem kommt hinzu: das Versicherungsprinzip fordert ex-ante-Vorsorgen. Bereits eigetretene Schadensfälle lassen sich eben grundsätzlich nicht nachträglich versichern. Deshalb aber erwächst ein erhebliches Problem daraus, wenn nun Länder, die große "Altlasten", also hohe Anteile an mutmaßlich uneinbringlichen Krediten mitführen (wie etwa Griechenland), zu denselben Konditionen ins Einlagensicherungssystem eingebunden werden sollen wie solche, bei denen das nicht der Fall ist.
EDIS in der geplanten Form würde Länder mit stabilen Banken zugunsten notleidender Volkswirtschaften belasten. Wir kennen das schon von den "Rettungsaktionen" für Griechenland und den Euro.
Im vorliegenden Papier stellt Keuschnigg ein versicherungstechnisch einwandfreies alternatives Modell vor, das den in den einzelnen Volkswirtschaften herrschenden, durchaus unterschiedlichen Bedingungen Rechnung trägt und das auf dem Prinzip des Risikoausgleichs und der Rückversicherung aufbaut.
Da in Europa die Zahl und der politische Einfluss jener Länder bei weitem überwiegt, deren Finanzlage als "kritisch" eingestuft werden muss, ist allerdings davon auszugehen, dass der bedenkenswerte Vorschlag des Studienautors, in den Kreisen des EU-Politbüros kaum Beachtung finden wird, das zwar unentwegt europaweite "Solidarität" beschwört, in Wahrheit aber zwangsweise Enteignung und Umverteilung meint.
Im Hinblick auf obige Ausführungen (und die verlinkte Studie eines renommierten Wissenschaftlers) erlaube ich mir, auf die folgenden Zeilen hinzuweisen, die ich vor exakt zwei Jahren an dieser Stelle – als die Idee der EU-weiten Einlagensicherung von Jean-Claude Juncker lanciert wurde – geschrieben habe:
Endkampf um die verbliebenen Reste der Marktwirtschaft
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.