Der Sündenfall begab sich im Jahre 2007. Damals beschloss die rotschwarze Koalition aus dubiosen Gründen, vierzehn Zwangsinteressenvertretungen eine verfassungsrechtliche Bestandsgarantie zu verpassen. Jetzt bedarf es einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit, um diesen bösen Spuk wieder zu beenden.
Der Ex-Vorstand von Böhler-Uddeholm, Claus Raidel, merkte damals kritisch an: "Hier nimmt sich eine Kammer-Nomenklatura aus dem Wettbewerb und sichert sich auf Kosten ihrer Beitragszahler ab. Das ist eine Katastrophe und demokratiepolitisch höchst bedenklich." Diesem Befund ist nichts hinzuzufügen.
In der Tat stellt die verfassungsgesetzliche Zementierung von wettbewerbsfeindlichen Monopolstrukturen – gleich ob sie auf der Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberseite angesiedelt sind – einen systemwidrigen Fremdkörper in einer Marktwirtschaft dar. Weshalb sollten Unternehmer oder Unselbständige – nicht selten gegen ihren Willen – zu einer Mitgliedschaft in einer Standesvertretung gezwungen werden? Leistet eine Interessenvertretung gute Arbeit, wirkt sie auf potentielle Klienten attraktiv und bedarf keiner Zwangsmitgliedschaft. Wie traurig muss es also um die Leistungen der Kammern bestellt sein, wenn sie es nötig haben, ihre Mitglieder zwangsweise zu binden?
Faktisch handelt es sich bei derartigen Zwangsvereinigungen um Kartelle oder kartellähnliche Verbindungen, deren alleiniger Zweck in der politisch motivierten Wettbewerbsbeschränkung zulasten der Konsumenten besteht.
So agieren etwa die Wirtschaftskammern im Interesse der bereits existierenden Platzhirsche und behindern jeden potentiellen neuen Konkurrenten an der Entfaltung seiner Aktivitäten. Das mindert das ansonsten mögliche Angebot auf dem Markt und wirkt damit indirekt preistreibend. Arbeiterkammern wiederum bilden, wie auch die Gewerkschaften, so sie Tarifvertragshoheit haben, de facto Arbeitspreiskartelle und erhalten nebenbei die Macht zur Vergabe von Lizenzen für den Broterwerb. Wer nicht Mitglied ist und sich ihren Lohndiktaten nicht unterwerfen will, ist damit zur beruflichen Untätigkeit und zum dauerhaften Bezug von Transfergeldern verdammt. Man fragt sich ernsthaft, weshalb dieser ungeheuerlich Machtmissbrauch bürokratischer Organisationen keinen stört! Jedenfalls werden die Kosten von Lohndiktaten so oder so mit dem Geld der Konsumenten und Steuerzahler bezahlt.
Welche üblen Konsequenzen Lohndiktate haben, besonders für gering qualifizierte Kräfte und Berufsanfänger, ist übrigens keine ungeklärte Frage, sondern sehr gut erforscht (siehe z. B. https://www.youtube.com/watch?v=6TGkfjaxFWs )!
Wer, ob als Selbständiger oder als Arbeitnehmer, sein Berufsleben als von paternalistischen Interessenvertretungen unabhängiger Einzelkämpfer bestreiten will, der sollte daran nicht gehindert werden dürfen. Das zugunsten der Zwangsmitgliedschaft stereotyp benutzte Trittbrettfahrerargument ist nichts weiter als eine plumpe Schutzbehauptung einer unproduktiven Funktionärsnomenklatura, die sich beim Wegfall der Zwangsmitgliedschaft zu einem gehörigen Teil um ehrliche Arbeit außerhalb ihrer geschützten Werkstätten umsehen müsste.
Wie nötig eine gründliche Entmachtung der Kammern ist, zeigt ein derzeit von der AK affichierter Slogan, in dem allen Ernstes das "Recht auf ein gerechtes Steuersystem" gefordert wird. Zur Forderung nach "gerechten Gruppenvergewaltigungen" ist es da nicht mehr weit. So viel Torheit darf einfach nicht länger unter einen Glassturz gestellt werden.
Die durch das Ergebnis der letzten NR-Wahlen geschaffenen Kräfteverhältnisse im Parlament bieten die Chance, den vor zehn Jahren eingeführten Kammerzwang abzuschaffen. ÖVP, FPÖ und NEOS besitzen zusammen die dafür nötige Mehrheit. Blau und Pink haben ohnehin jede Veranlassung, diesen Befreiungsschlag für die wirtschaftliche Entwicklung im Lande zu tun. So hat es nun also die ÖVP in der Hand, für mehr wirtschaftliche Freiheit zu sorgen.
Ob Wunderwuzzi Sebastian Kurz die mit Sicherheit zu erwartenden parteiinternen Widerstände dagegen zu brechen vermag?
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.